Recht und Steuern

A3 Nr. 36

A 3 Nr. 36 
1.Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Schiedsverfahren erfordert, dass das Schiedsgericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht. Zudem müssen die Parteien Gelegenheit haben, sich zu allen tatsächlichen Erwägungen zu äußern, auf die die Entscheidung des Schiedsgerichts gegründet werden soll. Der Schiedsspruch muss eine Stellungnahme zu den wesentlichen Angriffs- und Verteidigungsmitteln enthalten. Diese Regeln gelten für inländische und ausländische Schiedsverfahren. Werden die Regeln verletzt, ist dem Schiedsspruch jedenfalls dann die Anerkennung zu versagen, wenn die Entscheidung auf dieser Verletzung beruhen kann.
2. Auch zu Vorfragen muss das Schiedsgericht den Parteien ausreichende Stellungnahme ermöglichen. Eine Vorfrage, von deren Beantwortung die Begründetheit einer schiedsbefangenen Forderung abhängt, kann auch dann vom Schiedsgericht incidenter entschieden werden, wenn die Schiedsabrede sich nicht auf die Vorfrage erstreckt; dies gilt jedenfalls dann, wenn die Parteien alle sich aus ihrem Vertrag ergebenden Streitigkeiten dem Schiedsgericht zugewiesen haben und dieses ausdrücklich klarstellt, „dass seine diesbezüglichen Erwägungen keine Ausschlusswirkung (res judicata) erzeugen und keine Partei gehindert ist, diese Vorfrage von einem anderen Gericht endgültig beurteilen zu lassen.“
OLG Naumburg Beschl.v. 4.3.2011 – 10 Sch 04/10; SchiedsVZ 2011, 228 = RKS A 3 Nr. 36
Aus dem Sachverhalt:
Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin und die Antragsgegnerin schlossen u.a. zur gemeinsamen Durchführung eines von der Stadtwerke L. GmbH erteilten Auftrags über die Planung, Lieferung, Montage und Inbetriebnahme einer Biogas-Anlage einen sog. Konsortialvertrag. In dessen Zi. 16 – Schiedsgericht – vereinbarten die Konsorten: Alle sich aus diesem Vertrag ergebenden Streitigkeiten werden von einem Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer in Paris nach deren Schiedsordnung durch drei Schiedsrichter endgültig entschieden. Das Schiedsgericht hat nach Schweizer materiellem Recht zu urteilen. Das Schiedsgericht soll in Zürich tagen, Verfahrenssprache ist deutsch.
Nachdem die Konsorten die mit den Stadtwerken L. vertraglich vereinbarten Termine nicht eingehalten hatten, kam es zwischen ihnen zum Streit über die Fragen der Ursachen und Haftung für die Verzögerungen. Das Schiedsgericht verpflichtete die Antragsgegnerin durch Schiedsspruch vom 11.6.2010 u.a. zur Zahlung von 438 359 €. Das Gericht erklärte den Schiedsspruch für vollstreckbar. Die Antragsgegnerin macht geltend:
  • Das Schiedsgericht habe sich zu Unrecht für zuständig erklärt, indem es die Frage des Bestehens eines Vertragsstrafenanspruchs der Stadtwerke L. gegen das Konsortium fälschlich als selbst zu entscheidende Vorfrage beurteilt habe; 
  • das Schiedsgericht habe über Streitpunkte entschieden, die dem schiedsrichterlichen Verfahren nicht unterworfen waren, indem es auch tatsächlich über über diesen vertraglichen Anspruch im Außenverhältnis geurteilt habe;
  • das Schiedsgericht habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, indem es den Parteien keinen Hinweis zur Entscheidungserheblichkeit der genannten „Vorfrage“ erteilt habe.
Aus den Gründen:
1.Mit ihrem Vorbringen, das Schiedsgericht habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, indem es den Parteien keinen Hinweis zur Entscheidungserheblichkeit der genannten „Vorfrage“ erteilt habe, hat die Antragsgegnerin keinen Erfolg.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Schiedsverfahren erfordert, dass das Schiedsgericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (BGH 18.1.1990 – III ZR 269/88 IPRax 1991, 244; 26.9.1985 – III ZR 16/84 = RIW 1985, 970, 973 = RKS A3 Nr. 14; BVerfGE 54, 86, 91; 59, 330, 333). Der Schiedsspruch muss eine Stellungnahme zu den wesentlichen Angriffs- und Verteidigungsmitteln enthalten (Senat 29.9.1983 – III ZR 213, 82 = WM 1983, 1207, 1208). Zudem müssen die Parteien Gelegenheit haben, sich zu allen tatsächlichen Erwägungen zu äußern, auf die die Entscheidung des Schiedsgerichts gegründet werden soll (BGHZ 85, 288, 291 = RKS A 3 Nr. 9; 24.10.1962 VII ZR 89/61 = KTS 1962, 240, 241; 26.10.1972 – VII ZR 232/71 = WarnRspr 1972, 676, 679). Diesbezüglich gelten für inländische und ausländische Schiedsverfahren dieselben Regeln (Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann § 1044 Anm. 3 D i.V.m. § 1041 Anm. 7; Schlosser in Stein/Jonas § 1044 Rn. 47). Werden sie verletzt, ist einem Schiedsspruch jedenfalls dann die Anerkennung zu versagen, wenn die Entscheidung des Schiedsgerichts auf dieser Verletzung beruhen kann (BGHZ 3, 215, 219; BGHZ 31, 43, 46ff).
Dass das Schiedsgericht den Anspruch der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör entgegen diesen Grundsätzen verletzt hat und die Entscheidung hierauf beruhen würde, ist nicht erkennbar. Vielmehr ist das Bestehen eines Vertragsstrafenanspruchs der Stadtwerke L. gegen das Konsortium wesentlicher Kern des von der Antragstellerin im Schiedsverfahren geltend gemachten Teilanspruchs, der mehr als ein Drittel der Haupforderung ausmacht. Vor diesem Hintergrund musste der Antragsgegnerin bewußt sein, dass es für diesen Teilanspruch wesentlich auf den zugrundeliegenden Vertragsstrafenanspruch ankam.
Nach den von den Parteien eingereichten Schriftsätzen und Anlagen hierzu hatte die Antragsgegnerin im Schiedsverfahren auch ausreichend Gelegenheit zur Äußerung. So hat das Schiedsgericht im Schiedsspruch ausgeführt, dass die Terminpönale von den Stadtwerken zu Recht einbehalten worden sei. Dazu ist die Meinung der Antragsgegnerin zitiert: „Schließlich haben sich die Stadtwerke L unrechtmäßig auf den Pönaltermin berufen…“. Dass diese Darlegung des beiderseitigen Parteivortrags durch das Schiedsgericht im Schiedsspruch selbst unzutreffend wäre, ist weder dargelegt noch erkennbar. Auch nach dem eigenen Vortrag der Antragsgegnerin hat diese im schriftlichen Schlussvortrag vor dem Schiedsgericht darauf hingewiesen, dass sich der geltend gemachte Ausgleichsanspruch danach richtet, dass die Pönalvereinbarung mit den Stadtwerken nach deutschem Recht wirksam und begründet ist….
Nach alledem ist festzuhalten, dass die Antragsgegnerin im Schiedsverfahren ausreichend Gelegenheit hatte, zu der sog. Vorfrage des Bestehens eines Vertragsstrafenanspruchs Stellung zu nehmen, und diese auch genutzt hat, Gegenteiliges hat sie nicht bewiesen.
Dass die materiell-rechtliche Bewertung dieser „Vorfrage“ durch das Schiedsgericht die Antragsgegnerin insoweit überrascht hat, als ihrer Argumentation nicht gefolgt wurde, ist keine schützenswerte Rechtsposition; diese Bewertung vorzunehmen ist vielmehr ureigenste Aufgabe eines jeden Gerichts.
2.Auch mit ihrem Vorbringen, das Schiedsgericht habe über Streitpunkte entschieden, die dem schiedsrichterlichen Verfahren nicht unterworfen waren, indem es die Vorfrage des Bestehens des Vertragsstrafenanspruchs der Stadtwerke L. gegen das Konsortium fälschlich selbst beurteilt habe, hat die Antragsgegnerin keinen Erfolg.
Die Frage des tatsächlichen Bestehens dieses Vertragsstrafenanspruchs hat das Schiedsgericht nicht selbst beurteilt, jedenfalls nicht im Sinne einer – endgültigen – Entscheidung; namentlich ist diese Frage auch nicht als Teil des eigentlichen Schiedsspruchs (Tenors) in die Entscheidung eingeflossen.
Damit hat sich das Schiedsgericht bei seiner Entscheidung im Rahmen des schiedsrichterlichen Verfahrens gehalten, wie es die Parteien umfassend in Ziffer 16 des Konsortialvertrages vereinbart hatten.
Im Gegenteil hat das Schiedsgericht diese Frage des tatsächlichen Bestehens eines Vertragsstrafenanspruchs – wie es die Antragsgegnerin, allerdings zu Unrecht, rügt – ausdrücklich als „Vorfrage“ bezeichnet und in diesem Zusammenhang sogleich ausgeführt,dass es selbst zur Beurteilung aller relevanten Vorfragen zuständig sei.
Letzteres ist zutreffend. Dabei ist an dieser Stelle nochmals darauf zu verweisen, dass die Parteien in der o.a. Vertragsklausel im Rahmen zulässiger Privatautonomie ausdrücklich „alle sich ergebenden Streitigkeiten“ dem Schiedsgericht zugewiesen haben – dies beinhaltet somit grundsätzlich auch nicht etwa eine Beschränkung auf Streitigkeiten im Innenverhältnis. Zugleich hat das Schiedsgericht aber auch ausdrücklich Wert auf die Feststellung gelegt, „dass seine diesbezüglichen Erwägungen keine Ausschlusswirkung (res judicata) erzeugen“; keine Partei sei gehindert, eben diese Frage von einem anderen Gericht … endgültig beurteilen zu lassen.
Damit hat das Schiedsgericht insgesamt den ihm zur Entscheidung vorgegebenen Umfang zutreffend beurteilt, nämlich einerseits gem. Ziffer 16 des Konsortialvertrags alle sich aus diesem Vertrag ergebenden Streitigkeiten endgültig zu entscheiden, andererseits dabei entstehende materiell-rechtliche Vorfragen oder auch Tatbestandsvoraussetzungen inzidenter zu beurteilen.
Dabei kann die letztgenannte Einordnung dahinstehen. Denn auf die Unterscheidung, ob das Bestehen eines Vertragsstrafenanspruchs bei der Schiedsentscheidung über den als „Spitzenteilung“ bezeichneten Anspruch der Schuldnerin eine Vorfrage darstellt oder aber wie nach Auffassung der Antragsgegnerin eine Tatbestandsvoraussetzung, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Erkennbar ist dies nämlich keine Frage des hier nur im vorgegebenen Umfang zu erörternden prozessualen Rechts, sondern im Streitfall des Schweizer materiellen Rechts, weil jedenfalls am Ende dieser Argumentation nach Bejahung der Anspruchsvoraussetzungen durch das Schiedsgericht als Rechtsfolge der Anspruch der Schuldnerin auf die „Spitzenteilung“ steht.
Auf dessen zutreffende oder nicht zutreffende Beurteilung durch das Schiedsgericht kann sich die Antragsgegnerin aber nach der abschließenden Aufzählung möglicher Einwendungen gegen einen Schiedsspruch nach Art. V UNÜ gerade nicht berufen.