Recht und Steuern

A3 Nr. 23

Nr. 23 Art. 234 EG-Vertrag: Vorlageberechtigung eines (belgischen)Schiedsgerichts
EinSchiedsgericht ist kein „Gericht eines Mitgliedsstaates”, das berechtigtist, dem Europäischen Gerichtshof Fragen gemäß Art. 234 Abs. 1 a - c EGV zwecksVorabentscheidung vorzulegen.
Europäischer Gerichtshof, Urteil der Vierten Kammer vom 27.1.2005 -C-125/04; Deutsches Verwaltungsblatt 2005, 435 = RKS A 3 Nr. 23
Art. 234 EG-Vertrag (Konsolidierte Fassung durch den Vertrag von Nizza):
Der Gerichtshof entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung dieses Vertrags,
b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe derGemeinschaft und
der Europäischen Zentralbank,
c) über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenenEinrichtungen, soweit
diese Satzungen dies vorsehen.
Wird eine derartige Frage dem Gericht eines Mitgliedstaates gestellt undhält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlaß seines Urteils fürerforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einemeinzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mitRechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so istdieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet.
Aus den Gründen:
(11) Zunächst ist zu prüfen, ob das Collège d–Arbitrage de la Commission deLitiges Voyages als Gericht i.S. von Art. 234 EGV anzusehen ist.
(12) Um zu beurteilen, ob die vorliegende Einrichtung den Charakter einesGerichts eines Mitgliedstaats i.S.v. Art. 234 EGV hat, berücksichtigt der EuGHeine Reihe von Kriterien, wie den gesetzlichen Ursprung der Einrichtung, ihrePermanenz, den obligatorischen Charakter ihrer Gerichtsbarkeit, diekontradiktorische Natur des Verfahrens, die Anwendung von Rechtsnormen durchdie Einrichtung, und ihre Unabhängigkeit (vgl. u.a. Urteile v. 17.9.1997 -C-54/96 - Dorsch Consult, Slg. 1997, I-4961 Rd-Nr. 23, und die dortzitierte Rechtsprechung; und vom 30.5.2002 - C-516/99 - Schmid, Slg. 2002,I-4573 Rd-Nr. 34).
(13) Nach der Rechtsprechung des EuGH stellt ein vertraglichesSchiedsgericht kein Gericht eines Mitgliedstaats i.S.v. Art. 234 EGV dar, dafür die Vertragsparteien weder eine rechtliche noch eine tatsächlicheVerpflichtung besteht, ihre Streitigkeiten vor ein Schiedsgericht zu bringen,und die öffentlichen Stellen des betreffenden Mitgliedstaates weder in dieEntscheidung, den Weg der Schiedsgerichtsbarkeit zu beschreiten, einbezogensind noch von Amts wegen in den Ablauf des Verfahrens vor dem Schiedsrichtereingreifen können (vgl. Urteile v. 23.3.1982 - Rs. 102/81, «Nordsee» DeutscheHochseefischerei, Slg. 1982, 1095 Rd-Nr. 10 - 12, und vom 1.6.1999 - C-126/97 -Eco Swiss, Slg. 1999 I-3055 Rd-Nr. 34).
(14) Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, daß im Ausgangsverfahren dieAnrufung des Collège d–Arbitrage auf einer zwischen den Parteien geschlossenenSchiedsvereinbarung beruht.
(15) Das belgische Recht schreibt die Anrufung dieses Schiedsgerichts nichtals einziges Mittel zur Beilegung eines Rechtsstreits zwischen einem Einzelnenund einem Reisevermittler vor. Zwar muß sich ein ordentliches Gericht, das miteinem Rechtsstreit befaßt wird, der Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist,nach Art. 1679 Abs. 1 des belgischen Code Judiciaire für unzuständig erklären.Doch ist die Gerichtsbarkeit des Collège d–Arbitrage insoweit nichtobligatorisch, als sich ein Einzelner bei Fehlen einer Schiedsvereinbarungzwischen den Parteien für die Entscheidung des Rechtsstreits an dieordentlichen Gerichte wenden kann.
EuGH 27.1.2005 RKS A 3 Nr.23 S. 2
(16) Da im Ausgangsverfahren für die Vertragsparteien weder einerechtliche noch eine tatsächliche Verpflichtung besteht, ihre Streitigkeitenvor ein Schiedsgericht zu bringen, und die öffentlichen Stellen desbetreffenden Mitgliedsstaats (Belgien) nicht in die Entscheidung, den Weg derSchiedsgerichtsbarkeit zu beschreiten, einbezogen sind, ist das Collèged–Arbitrage de la Commission de Litiges Voyages nicht als Gericht einesMitgliedsstaats i.S.von Art. 234 EGV anzusehen.
(17) Daraus ergibt sich, daß der EuGH für die Beantwortung der vomCollège d–Arbitrage de la Commission de Litiges Voyages vorgelegten Fragennicht zuständig ist.
Hinweis: Die Zahlen in Klammern sind die Rand-Nummern, nach denen dieEuGH-Entscheidungen zitiert werden.
Kriterien für ein „Gericht eines Mitgliedsstaats” i.S.v. Art 234EG-Vertrag (siehe Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl. Köln 2003 Art.234 Rd-Nr. 23):
-- Unabhängigkeit
-- Tätigkeit auf gesetzlicher Grundlage, nicht auf Grund einerParteivereinbarung
-- ständige Einrichtung
-- Existenz transparenter Verfahrensvorschriften
-- Anwendung von Rechtsnormen, keine Entscheidungen nach Billigkeit
-- Zuständigkeit für Rechtsprechung und nicht nur Rechtspflege, zB. nichtAmtsgericht
als Handelsregister-Gericht.