Recht und Steuern

A3 Nr. 32

A 3 Nr. 32 § 1032 Abs. 2 ZPO, § 103 Insolvenzordnung – Verfahren vor dem Schiedsgericht: Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit, entscheidender Zeitpunkt. Bindung des Insolvenzverwalters an Schiedsabrede des Gemeinschuldners
1. Nach § 1032 Abs. 2 ZPO kann bei Gericht bis zur Bildung des Schiedsgerichts Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens gestellt werden. Entscheidend ist insoweit der Eingang bei Gericht, nicht die Zustellung des Antrags an die Gegenseite.
2. Zwar ist der Insolvenzverwalter grundsätzlich an eine von dem Gemeinschuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossene Schiedsabrede gebunden.                  
3. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn es um Rechte des Insolvenzverwalters geht, die sich nicht unmittelbar aus dem vom Gemeinschuldner abgeschlossenen Vertrag ergeben, sondern auf der Insolvenzordnung beruhen und daher insolvenzspezifisch sind, mithin der Gemeinschuldner nicht befugt ist, über sie zu verfügen oder Einfluss darauf  zu nehmen, wann, in welcher Weise und bei welcher Stelle sie geltend gemacht werden. Insbesondere gilt dies für die Insolvenzanfechtung und für das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO.
BGH Beschl.v. 30.6.2011 – III ZB 59/10 WM 2011, 1474 = RKS A 3 Nr. 32
Aus den Gründen:
1.[10] (OLG Saarbrücken SchiedsVZ 2008, 313, 315; MünchKomm/Münch ZPO 3. Aufl. § 1032 Rd-Nrn 3, 28, 32; Musielak/Voit ZPO 8. Aufl. § 1032 Rd-Nr. 10; Schroeter SchiedsVZ 2004, 288, 290). Bereits der Wortlaut – Antragstellung – legt nahe, dass es auf den erstgenannten Zeitpunkt ankommt; das Gesetz spricht insoweit nicht davon, dass der Antrag bis zur Bildung des Schiedsgerichts auch dem Antragsgegner zugestellt worden sein muss. Dies entspricht dem Sinn und Zweck des § 1032 ZPO, wonach die Frage der Gültigkeit und Durchführbarkeit einer Schiedsvereinbarung „möglichst frühzeitig“, d.h. bei dem zuerst angegangenen Gericht, geklärt werden sollte (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts, BT-Drucks. 13/5274, S. 38). Zuerst „angegangen“ ist aber das Gericht, bei dem zuerst der Antrag eingeht. Der Gesetzgeber hat bewusst (vgl. BT-Drucks. aaO.) ein Antrags- und kein Klageverfahren geschaffen. Für das Verhältnis zwischen der staatlichen Gerichtsbarkeit und der Schiedsgerichtsbarkeit fehlt es dementsprechend auch an einer auf Rechtshängigkeit – Erhebung der Klage durch Zustellung der Klageschrift (§ 261 Abs. 1, § 253 Abs. 1 ZPO) – abstellenden Regelung wie im Klageverfahren. (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Vielmehr bestimmt § 1032 Abs. 3 ZPO, dass ein schiedsrichterliches Verfahren auch dann eingeleitet oder fortgesetzt werden und ein Schiedsspruch ergehen kann, wenn ein gerichtliches Verfahren nach Absatz 2 anhängig ist. Käme es aber im Rahmen des Absatzes 2 nicht auf den Eingang bei Gericht (Anhängigkeit), sondern auf die Zustellung an den Antragsgegner (Rechtshängigkeit) an, wäre mithin ein Antrag erst ab diesem Zeitpunkt von Bedeutung, bestünde kein Bedürfnis, bezüglich eines bis zur Rechtshängigkeit unerheblichen Antrags in Absatz 3 eine Bestimmung über das Verhältnis zwischen staatlichem und schiedsrichterlichen Verfahren  zu treffen. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber im Übrigen auch in § 1040 Abs. 3 S. 3 ZPO, der das Verhältnis des Schiedsverfahrens zum staatlichen Verfahren auf Überprüfung eines Zuständigkeits-Zwischenentscheids des Schiedsgerichts regelt, den Begriff der „Anhängigkeit“ und nicht den der „Rechtshängigkeit“ verwendet.
[11] Die Anträge sind nicht nachträglich unzulässig geworden. Vielmehr geht das Gesetz bei einem zulässig vor Bildung des Schiedsgerichts gestellten Antrag von einem anschließenden Nebeneinander des staatlichen und schiedsrichterlichen Verfahrens aus. Durch § 1032 Abs. 3 ZPO soll lediglich gewährleistet werden, dass das Schiedsverfahren nicht durch die Einleitung eines staatlichen Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO von vornherein blockiert wird. Dies bedeutet aber nicht, dass das staatliche Verfahren mit Einleitung oder Fortsetzung des Schiedsverfahrens unzulässig wird (vgl. nur BT-Drucks. aaO.). Letzteres würde im Übrigen dazu führen, dass entgegen den gesetzgeberischen Intentionen dem Verfahren nach § 1032 Abs. 2 in der Praxis keine Bedeutung zukäme. Auch wäre die Regelung in Abs. 3, wonach ein vor Bildung des Schiedsgerichts beim staatlichen Gericht gestellter Antrag (§ 1032 Abs. 2 ZPO) das Ergehen eines Schiedsspruchs nicht hindert, überflüssig, weil ein solcher Fall kaum je eintreten könnte, da nach Bildung des Schiedsgerichts der Antrag sofort als unzulässig verworfen werden müsste, also zum Zeitpunkt des Erlasses des Schiedsspruchs ein Antragsverfahren regelmäßig gar nicht mehr anhängig wäre. Vor diesem Hintergrund entspricht es der ganz herrschenden Meinung, dass beide Verfahren parallel nebeneinander laufen, wobei das Schiedsgericht – wegen des Vorrangs der staatlichen Gerichte, letztverbindlich die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens zu beurteilen (vgl.nur BT-Drucks. aaO. S26, 44; § 1040 Abs.3 Satz 2 ZPO; § 1061 Abs. 1 ZPO i.V.m. Art. V Abs. 1 Nr. 1c, Abs. 2a UNÜ) – zu prüfen hat, ob es sein Verfahren bis zur Entscheidung des staatlichen Gerichts aussetzt oder ruhen lässt (vgl. nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 69. Aufl. § 1032 Rd-Nr. 10, MünchKomm/Münch ZPO aaO., Rd-Nr. 28, 33f; Musielak/Voit  aaO. Rd-Nr. 10, 15f; Prütting in Prütting/Gehrlein ZPO 3. Aufl. § 1032 Rd-Nr. 7; Hk-ZPO/Saenger  4. Aufl. § 1032 Rd-Nr. 18; Stein/Jonas/Schlosser ZPO 22.Aufl. § 1032 Rd-Nrn. 21, 22; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 28. Aufl. § 1032 Rd-Nr. 6; Zöller/Geimer ZPO 28. Aufl. § 1032 Rd-Nr. 26f.; siehe auch OLG Saarbrücken aaO.; Schroeter aaO. S. 291; Sponheimer in Festschrift Kaefer  S. 357, 361, 372).
[12] Die Gegenrüge der AGg, es fehle am Rechtsschutzinteresse; denn die Schiedsrichter hätten zwischenzeitlich W. als Schiedsort bestimmt und in Ö. werde eine Entscheidung deutscher Gerichte über die Zulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1032 Abs. 2 ZPO) nicht anerkannt, ist bereits deshalb unbegründet, weil dem ASt. das Rechtsschutzinteresse zumindest insoweit nicht abgesprochen werden kann, als er durch eine Entscheidung nach § 1032 Abs. 2 ZPO, die auch bei einem ausländischen Schiedsort möglich ist (§ 1025 Abs. 2 ZPO), die Anerkennung und Vollstreckung eines ö. Schiedsspruchs in Deutschland verhindern könnte (§ 1061 Abs. 1 ZPO  i.V.m. Art. V UNÜ). Soweit die AGg. auf den in der BR-Drucksache 833/10 enthaltenen Vorschlag zur Neufassung der VO (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („Brüssel I“) und die dort in Art.29 Abs. 4 enthaltene Regelung zum Verhältnis ausländischer Schieds- und innerstaatlicher Gerichtsbarkeit verweist, kann dahinstehen, inwieweit diese Norm, sollte sie Gesetz werden, für Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO von Bedeutung wäre; für die derzeitige Rechtslage ist der Entwurf ohne Relevanz.
[13] Die Anträge sind nicht deshalb unbegründet, weil die Schiedsabrede in dem „Cross Patent License Agreement“, durch  das sich die Vertragspartner gegenseitig Lizenzen an ihren jeweiligen Halbleiterpatenten gewährten (Art. 9.1):  „Alle Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten oder Differenzen, die zwischen den Parteien aus oder in Bezug auf  oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder dessen Verletzung entstehen …“ sämtliche im Zusammenhang mit dem  Agreement anfallenden Fragen und insoweit auch die streitgegenständliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien erfasst.
2.[14] (vgl. bereits zum Konkursverwalter RGZ 137, 109, 111; BGH Urteil vom 28.2.1957 = BGHZ 24, 15, 18 = WM 1957, 483; zum Insolvenzverwalter Senat, Beschlüsse vom 20.11.2003 ZInsO 2004, 88, vom 17.1.2008 WM 2008, 597 = NJW-RR 2008, 558 und vom 29.1.2009 BGHZ 179, 304 Rdn. 11 = WM 2009, 749).
3. (vgl. zur Konkursanfechtung BGH Urt.v. 17.10.1956 = NJW 1956, 1920, 1921 = WM 1956 1406). Soweit die AGg. unter Hinweis auf die  Kommentierung von Uhlenbrock/Hirte (InsO 13. Aufl. § 143 Rdn. 66) diese Rechtsprechung durch § 1030 Abs. 1 ZPO  n.F. überholt hält, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar setzte § 1025 Abs. 1 ZPO a.F. für die Schiedsfähigkeit eines Anspruchs voraus, dass die Parteien berechtigt waren, über den Gegenstand des Streits einen Vergleich abzuschließen. Nunmehr ist in § 1030 Abs. 1 S. 1ZPO diese Einschränkung entfallen; sie gilt nach S. 2 nur noch für nichtvermögensrechtliche Ansprüche. Die Änderung betrifft aber nur die objektive Schiedsfähigkeit von Ansprüchen und besagt deshalb unmittelbar nichts dazu, ob und in welchem Umfang ein Dritter an eine Schiedsabrede gebunden ist. Dementsprechend ging es, soweit in der zitierten Entscheidung zur Konkursanfechtung (BGH 17.10.1956 aaO.) davon gesprochen wurde, dass der Gemeinschuldner keinen Vergleich über den Anfechtungsanspruch schließen könne, nicht um die Frage, ob der Anspruch aus Konkursanfechtung i.S.d. § 1025 ZPO a.F. einem Vergleich zugänglich ist, sondern darum, wem die Verfügungsbefugnis über den Anspruch zusteht.      § 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO ändert deshalb auch nichts an dem Grundsatz, dass der Insolvenzverwalter – ebenso wie vormals der  Konkursverwalter – an eine vom Gemeinschuldner abgeschlossene Schiedsvereinbarung nicht gebunden ist, soweit streitgegenständlich ein selbständiges, der Verfügungsgewalt des Schuldners entzogenes Recht des Insolvenzverwalters ist.(vgl. zur Insolvenzanfechtung Senat, Beschl.v. 20.11.2003 und 17.1.2008 jeweils aaO.; siehe auch Baumbach  aaO. § 1029 Rdn. 26; MünchKomm/Münch aaO. § 1029 Rdn. 50; Musielak/Voit aaO. § 1029 Rdn.8; Prütting aaO. § 1025 Rdn. 9; HkZPO/Saenger  aaO. § 1029 Rdn. 22; Stein/Jonas/Schlosser  aaO. § 1029 Rdn. 35; Zöller/Geimer aaO. § 1029 Rdn. 65). Dieser Grundsatz gilt auch für das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO (Musielak/Voit aaO. § 1029 Rdn. 8 und § 1030 Rdn. 8 und § 1030 Rdn. 2; vgl. zu § 17 KO RGZ aaO.). Denn insoweit handelt es sich – wie nicht zuletzt § 119 InsO bestätigt, wonach Vereinbarungen unwirksam sind, durch die im Voraus die Anwendung des § 103 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird – um keine Befugnis, die ursprünglich der Gemeinschuldnerin zustand und die deshalb Gegenstand von vertraglichen Vereinbarungen einschließlich einer entsprechenden Schiedsabrede hätte sein können, sondern um ein gesetzlich dem Insolvenzverwalter zustehendes Recht.