Recht und Steuern

A4a Nr.49

A4a Nr.49
§§ 31, 826 BGB, § 263 StGB, §§ 580 ff., 1053, 1059, 1060 ZPO Erschleichen eines Schiedsspruchs durch Betrug, Täuschung mittels falscher Bilanzen. Ablehnung der Vollstreckbarerklärung wegen Verstoßes gegen den ordre public oder sittenwidriger Schädigung
Der Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut hat dieselbe Wirkung wie jeder andere Schiedsspruch zur Sache (§ 1053 Abs. 2 ZPO). Für seine Voll­streck­bar­erklärung gelten die allgemeinen Vorschriften.
Wird ein Schiedsspruch durch Verfahrensbetrug erwirkt, so liegt ein Verstoß gegen den ordre public (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO) vor. Dieser Aufhebungsgrund wird aber durch die §§ 580 ff. ZPO konkretisiert: Er unterliegt wie die Resti­tu­tions­gründe vor dem staatlichen Gericht den Einschränkungen der §§ 581 ff. ZPO. Voraussetzung für die Aufhebung des Schiedsspruchs oder die Ablehnung seiner Vollstreckbarerklärung ist demnach, dass wegen des Betrugs eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder ein Strafverfahren aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen kann.
Unabhängig davon ist analog § 1059 Abs. 2, § 1060 Abs. 2 S. 1 ZPO der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs abzulehnen, soweit zugunsten des Antragsgegners der Einwand der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB) greift. Dies ist der Fall, wenn der Schiedsspruch durch eine vom Antragsteller begangene oder ihm gemäß § 31 BGB zurechenbare sittenwidrige vorsätzliche Schädigung erschlichen wurde, z.B. wenn der Antragsgegner mittels unrichtiger Bilanzen über die Geschäftsergebnisse der streit­gegen­ständ­lichen Gesellschaft getäuscht wurde, und wenn er durch die so erreichte Übernahme der Gesellschaftsanteile zu einer überhöhten Vergleichs­summe - und durch einen entsprechend gefassten Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut - geschädigt wurde.
Der Antragsgegner darf in diesem Fall gemäß § 826 BGB an der Übernahme festhalten und als Schadensersatz den Betrag beanspruchen, um den er im enttäuschten Vertrauen auf die Richtigkeit der Bilanzen die Gesellschaftsanteile zu teuer erworben hat. In Höhe dieses Betrages ist die Vollstreckbarerklärung unter Teil-Aufhebung des Schiedsspruchs abzulehnen. Der Ablauf der Fristen gemäß §§ 1059 Abs. 3, § 1060 Abs. 2 S. 3 ZPO steht dem nicht entgegen.
BGH Beschluss vom 2.11.2000 - III ZB 55/99; NJW 2001, 373; BGHZ 145, 376 = RKS A 4 a Nr. 49
Aus dem Sachverhalt:
Die Ast. veräußerte einen Teil ihrer Gesellschaftsanteile an der S-Limited an die Ag. und räumte ihr eine Option auf den Erwerb einer weiteren 35%-igen Beteiligung ein. Die Ag. übte die Option aus, trat aber später zurück. In einem Schiedsverfahren schlossen die Parteien einen Vergleich, wonach die Ast. gegen Zahlung von 725.000 DM ihre sämt­lichen Anteile an der S-Ltd. an die Ag. übertrug. Die Vergleichssumme war auf Grund testierter Bilanzen ermittelt worden. Die Ag. erkannte diese Bilanzen im Vergleich als ordnungsgemäß erstellt und inhaltlich richtig an. Das Schiedsgericht hielt den Vergleich in Form eines Schieds­spruchs mit vereinbartem Wortlaut (§ 1053 Abs. 1 S. 2 ZPO) fest. Die Ast. begehrt von der Ag. Zahlung und beantragt, den Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären. Die Ag. macht geltend, die Ast. habe sie bei dem Ab­schluss des Vergleichs mittels unrichtiger Bilanzen arglistig getäuscht, sie hat im Prozess die Anfechtung des Vergleichs erklärt und gegen den Schiedsspruch sitten­widrige vorsätzliche Schädigung (§ 826 BGB) eingewendet.
Aus den Gründen:
Die Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs richtet sich nach § 1060 Abs. 2 ZPO in der Fassung des Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetzes (SchiedsVfG) vom 22.12.1997 (BGBl. I 3224); denn der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist am 28.1.1999, also nach In-Kraft-Treten des SchiedsVfG am 1.1.1998 anhängig geworden (vgl. Art. 4 § 1 III, Art. 5 I aaO.). Diese Bestimmung gilt auch für den hier vorliegenden Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut (§ 1053 Abs. 1 S. 2 ZPO n.F.), der in den bei In-Kraft-Treten des Gesetzes begonnenen, aber noch nicht beendeten Schiedsverfahren an die Stelle des schiedsrichterlichen Vergleichs getreten ist (Art. 4 § 1 II 1, Art. 5 I SchiedsVfG). Er hat dieselbe Wirkung wie jeder andere Schiedsspruch zur Sache (§ 1053 Abs. 2 S. 2 ZPO). Für seine Vollstreckbarkeit gelten die allgemeinen Vorschriften (vgl. Begr. der BReg. zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts BT-Dr 13/5274 S. 54).
Gemäß § 1060 Abs. 2 S. 1 ZPO ist der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schieds­spruchs unter Aufhebung des Schiedsspruchs abzulehnen, wenn einer der „in § 1059 Abs. 2 ZPO bezeichneten Aufhebungsgründe” vorliegt.
Aufhebungsgründe des § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sind allerdings nicht geltend gemacht worden. Dies gilt auch für die Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung, die möglicherweise als Aufhebungsgrund i.S.d. Nr. 1 d in Betracht gekommen wäre. Soweit die Ag. sich in diesem Verfahren auf eine Täuschung durch die Ast. berufen hat, diente dies erklärtermaßen nur zur Begründung ihres Einwands aus § 826 BGB. Ob einer Anfechtung des Vergleichs der Gesichtspunkt der Bestätigung (§ 144 BGB) entgegensteht, kann demnach dahingestellt bleiben.
Nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO kann der Schiedsspruch aufgehoben werden, wenn das Gericht feststellt, dass die Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht. Die Aufhebungsgründe des § 1059 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sind im Verfahren der Vollstreckbarerklärung - von Amts wegen (BGHZ 142, 204 [206] = NJW 1999, 2974 = LM H. 11/1999 § 1065 = RKS A 4a Nr. 43) - auch nach Ablauf der für den Aufhebungsantrag bestimmten Fristen (§ 1059 Abs. 3 ZPO) zu berücksichtigen (Begr. BT-Dr 13/5274 S. 61; Musielak/Voit ZPO 2. Aufl. 2000 § 1060 Rd-Nr. 9; Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit 6. Aufl. 2000 Kap. 27 Rd-Nr. 9; Lachmann Hdb. der Schiedsgerichtspraxis 1998 Rd-Nr. 594); das gilt unabhängig davon, ob derselbe Grund die Aufhebung sowohl nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 ZPO als auch nach Nr. 1 rechtfertigt, im letzteren Fall aber wegen Fristablaufs gem. § 1063 Abs. 2 S. 3 ZPO präkludiert ist (Musielak/Voit § 1060 Rd-Nr. 11 a.E.).
Der Aufhebungsgrund des Verstoßes gegen den ordre public (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO) wird durch die §§ 580 ff. ZPO konkretisiert, soweit sich im Schiedsverfahren Dinge ereignet haben, die einen Restitutionsgrund darstellen. Die früher als § 1041 Nr. 6 ZPO a.F. einen eigenständigen Aufhebungsgrund bildenden Restitutionsgründe sind im verfahrensrechtlichen ordre public aufgegangen (Begr. BT-Dr 5274 S. 59; Musielak/Voit § 1059 Rd-Nr.28; Schwab/Walter Kap. 24 Rd-Nr. 51). Im Streitfall greift ein solcher in § 580 ZPO gesetzlich umschriebener Aufhebungsgrund i.S.d. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO letztlich nicht durch.
Die Ag. hat einen Sachverhalt behauptet, wonach der mit der Ast. geschlossene Vergleich und der diesen festhaltende Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut (§ 1053 Abs. 1 S. 2 ZPO) durch einen von dem Vertreter der Ast. verübten Betrug (§ 263) erwirkt worden wäre (§ 580 Nr. 4 ZPO). Einer der Gesellschafter der Ast. und deren Vertreter im Schiedsverfahren, V., habe sie beim Abschluss des Vergleichs arglistig getäuscht. Er habe den mit der Aufstellung und dem Testat der Bilanzen der S-Ltd. beauftragten Wirtschaftsprüfern verheimlicht, dass die S-Ltd. die früher geleasten Fahrzeuge gekauft und dazu ein Darlehn aufgenommen habe. Der hierdurch verursachte Buchungsfehler habe bewirkt, dass die Bilanzen, die Grundlage der im Schiedsverfahren vereinbarten Vergleichssumme gewesen seien, nicht das Geschäftsergebnis widergespiegelt hätten. V. sei der Effekt der Verbesserung des Betriebsergebnisses der S-Ltd. durchaus bewusst gewesen. Wären die für den Vergleich maßgeblichen Bilanzen nach den Grund­sätzen ordnungsgemäßer Buchführung aufgestellt worden, hätten sie statt stetiger Gewinne überwiegend Verlust ausgewiesen und der vergleichsweise für die S-Ltd. zu zahlende Kaufpreis hätte 0 DM betragen. Von diesem Sachverhalt ist für die rechtliche Prüfung auszugehen. Denn das OLG hat insoweit Feststellungen nicht getroffen. Es hat vielmehr ausdrücklich offengelassen, ob eine arglistige Täuschung vorlag und ob die Ast. sich das Verhalten von V. zurechnen lassen muss.
Wäre, wie nach dem Vortrag der Ag. nahe liegt, der Schiedsspruch durch Verfahrens­betrug von V. als Vertreter der Ast. erwirkt worden, dann wäre der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 4 ZPO und damit ein Aufhebungsgrund i.S.d. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO an sich gegeben. Dieser unterläge aber wie die Geltendmachung von Restitutionsgründen in Bezug auf Verfahren vor dem staatlichen Gericht den Ein­schrän­kungen der § 581 f. ZPO (Musielak/Voit § 1059 Rd-Nr. 28; Schwab/Walter Kap. 24 Rd-Nr. 51; Stein/Jonas/Schlosser ZPO 21. Aufl. 1994 § 1041 Rd-Nr. 38; Wais in Schütze/Tscherning/Wais Hdb. des Schiedsverfahrensrechts 2. Aufl. 1990 Rd-Nr. 546; Maier in MünchKomm-ZPO 1992 § 1041 Rd-Nr. 19; ebenfalls zu § 1041 Nr. 6 ZPO a.F.; BGH NJW 1952, 1018 = LM § 139 BGB Nr. 6). Sie führen hier dazu, dass die im Restitutionsgrund des § 580 Nr. 4 ZPO liegende ordre-public-Widrigkeit dem Schieds­spruch nicht entgegengesetzt werden kann. Wegen des behaupteten Verfahrens­betrugs ist weder eine rechtskräftige Verurteilung ergangen noch festgestellt, dass die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen konnte (§ 581 Abs. 1 ZPO).
Analog den in § 1059 Abs. 2 ZPO bezeichneten Aufhebungsgründen ist der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs gem. § 1060 Abs. 2 S. 1 ZPO abzulehnen, wenn zugunsten der Ag. der Einwand der sitten­widrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB) greift. Denn der Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs ist - über den Wortlaut des § 1059 Abs. 2 ZPO hinaus - nach Ablauf der in § 1059 Abs. 3 ZPO bestimmten Fristen auch in den Fällen zulässig, in welchen die Urteilserschleichung oder das Gebrauch­machen von dem rechtskräftigen Urteil eines staatlichen Gerichts als sitten­widrige Schädigung des Gegners i.S.d. § 826 BGB gewertet würde (vgl. Musielak/Voit, § 1059 Rd-Nr. 26 m.Hinw. auf die Begründung S. 60; Zöller/Geimer ZPO 21. Aufl. 1999, § 1059 Rd-Nr. 69; Stein/Jonas/Schlosser § 1041 Rd-Nr. 38; RG HRR 1928 Nr. 1946; a.A. wohl Schwab/Walter Kap. 24 Rd-Nr. 2 a.E.). Dieser Schadens­ersatz­anspruch kann einredeweise geltend gemacht werden (BGHZ 42, 194 [204] = NJW 1964, 2350 = LM § 328 ZPO Nr. 16; Musielak § 322 Rd-Nr. 96).
Nach den im OLG-Beschluss wiedergegebenen Vorbringen der Ag. hat die Ast. den auf dem Vergleich beruhenden Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut durch eine von V. begangene und ihr gem. § 31 BGB zurechenbare sittenwidrige vorsätzliche Schädigung (§ 826 BGB) erschlichen: V. habe die Ag. mittels unrichtiger Bilanzen über die von der S-Ltd. erzielten Geschäftsergebnisse arglistig getäuscht und sie durch das so erreichte Einverständnis mit einer - zumindest zu hohen - Vergleichssumme und einem ent­sprechend gefassten - materiell unrichtigen - Schiedsspruch mit vereinbartem Wort­laut geschädigt.
Der Annahme eines Schadensersatzanspruchs gem. § 826 BGB steht nicht entgegen, dass die Ag., nachdem sie die Unrichtigkeit der Bilanzen erkannt hatte, an der im Schieds­spruch bestimmten Übernahme der Anteile an der S-Ltd. festgehalten und deren Kundenstamm und Anlagevermögen in ihr Unternehmen eingegliedert hat. Im Fall einer Haftung des Verkäufers wegen arglistiger Täuschung des Käufers gem. § 826 BGB (bzw. culpa in contrahendo; § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB) hat der Verkäufer den Käufer so zu stellen, wie er ohne die Täuschung gestanden hätte. Der Käufer kann Rück­gängig­machung des auf Grund der arglistigen Täuschung geschlossenen Vertrags verlangen oder am Vertrag festhalten und lediglich zusätzlich Schadensersatz bean­spruchen. Hält der Käufer am Vertrag fest und macht er seinen durch die Täuschung veranlassten Mehraufwand geltend, dann kommt als ersatzfähiger Schaden auch der Betrag in Betracht, um den er im Vertrauen auf die Richtigkeit der vom Verkäufer gemachten Angaben zu teuer gekauft hat, ohne dass er nachweisen muss, dass sich der - insoweit nicht schutzwürdige - Verkäufer bei wahrheitsgemäßen Angaben auf einen geringeren Kaufpreis eingelassen hätte (BGHZ 69, 53 [58f.] = NJW 1977, 1536 = LM § 276 [Fc] BGB Nr. 5; BGH NJW-RR 1988, 328 [329]; NJW-RR 1989, 306 [307]; NJW 1999, 2032 = LM H. 7/1999 § 768 BGB Nr. 18 = WM 1999, 678 [681]).
Dementsprechend kann die Ag. an der Übernahme der S-Ltd. festhalten, ohne dass ihr dies als anspruchshindernde „Bestätigung” des anfechtbar herbeigeführten Vergleichs­schlusses und des darauf beruhenden Schiedsspruchs mit vereinbartem Wortlaut auszulegen ist; sie kann gem. § 826 BGB den Betrag beanspruchen, um den sie im enttäuschten Vertrauen auf die Richtigkeit der Bilanzen die Anteile an der S-Ltd. zu teuer erworben hat. In Höhe dieses Betrags wäre die Vollstreckbarerklärung unter teilweiser Aufhebung des Schiedsspruchs abzulehnen (vgl. BGH Urt.v. 6.4.1961 - VI-I ZR 7/60 S. 4f, insoweit in NJW 1961, 1627 = LM § 1025 ZPO Nr. 16 nicht abgedr.; Stein/Jonas/Schlosser § 1041 Rd-Nr. 38).
Das OLG wird im weiteren Verfahren auf Grund mündlicher Verhandlung (§ 1063 Abs. 2 ZPO) Feststellungen zu treffen haben, ob die Ag. durch V. arglistig getäuscht wurde und sich die Ag. dessen Verhalten als sittenwidrige vorsätzliche Schädigung zurechnen lassen muss. Die Höhe des der Ag. entstandenen Schadens wäre ggf. durch Schätzung gem. § 287 ZPO zu ermitteln (vgl. BGHZ 69, 53 [58f.] = NJW 1977, 1536 = LM 276 [Fc] BGB Nr. 5).