Repassieren war passé

Vor 30 Jahren machte Gerd Worch aus dem VEB Dienstleistungsbetrieb Hettstedt die Elektrofunk GmbH. Das Unternehmen betreibt einen Euronics-Markt, einen Vodafone-Shop und ein Breitbandkabelnetz, installiert und repariert Elektroanlagen, Profiküchen, Unterhaltungselektronik und Hausgeräte, reinigt Fenster und Gebäude. Jetzt hat der 70-jährige Inhaber die Geschicke des Unternehmens in die Hände seiner Kinder gelegt.
Der 22. Dezember 1990 war es, da muss Gerd Worch gar nicht erst in seine Unterlagen schauen. An diesem Tag erhielten er und sein damaliger Firmenpartner Albrecht Detzner die Privatisierungsurkunde von der Treuhand – als eines der zehn ersten Unternehmen im südlichen Sachsen-Anhalt. Vorausgegangen waren Monate der Umstrukturierung: Immobilien wurden verkauft, Geschäftsbereiche ausgelagert, Vermögensteile zusammengeführt. Dennoch war es ein zähes Ringen mit der Treuhand, erinnert Worch sich: „Ich bin alle vier Wochen nach Halle gefahren und bei den Verantwortlichen vorstellig geworden – lange ohne Erfolg.“

Die Wende brachte erst einmal Ratlosigkeit

Gerd Worch, der an der Ingenieurschule in Eisleben Elektronik studiert hatte, war zwölf Jahre lang Produktionsleiter im VEB Dienstleistungsbetrieb Hettstedt. Solche Dienstleistungsbetriebe gab es überall in der DDR – zu den Geschäftsbereichen im Raum Hettstedt gehörten die Reparatur elektrischer Haushalts-, Küchen- und Rundfunkgeräte, die Reinigung von Glasflächen, eine Autowerkstatt mit Bauschlosserei und Dreherei, eine Elektroabteilung, ein Fotoatelier, eine Uhrenwerkstatt, eine Wäscherei, eine Reparaturabteilung für Damenstrumpfhosen und eine Vertriebsorganisation mit Annahmestellen. Dann kam die politische Wende, und mit ihr erst einmal Ratlosigkeit: „Wir standen mit 300 Mitarbeitern da, und über Jahrzehnte gewachsene Kundenbeziehungen hatten plötzlich keinen Bestand mehr“, erzählt Worch, der von der Treuhand zum Geschäftsführer bestellt worden war.
Worch wollte das Unternehmen retten und so viele Arbeitsplätze wie möglich erhalten. Kurzerhand fuhr er nach Göttingen, nahm Kontakt zur dortigen Handwerkskammer auf, besuchte Kfz- und Elektrobetriebe. Seine Erkenntnis: Will die Firma überleben, muss sie radikal umgebaut werden. „Autowerkstatt, Wäscherei und Fotoatelier haben wir ausgelagert“, sagt er. „Und dass niemand mehr eine Strumpfhose zum Repassieren bringt, wenn man sie jederzeit günstig kaufen kann, war uns ohnehin klar.“

Mit der D-Mark in der Tasche standen die Leute Schlange

Die neue GmbH startete schnell durch. Glas- und Gebäudereinigung wurden miteinander verbunden, für den Bereich Elektroinstallation und Großküchen wurde ein völlig neuer Kundenkreis erschlossen, Unterhaltungselektronik und Hausgeräte wurden nicht mehr nur repariert, sondern nun auch verkauft.
Waschmaschinen, Mikrowellen, Geschirrspüler, Fernseher oder Videorekorder waren der absolute Umsatzrenner zu dieser Zeit. „Die Leute standen Schlange“, erzählt Worch. „Sie hatten die D-Mark in der Tasche und wollten sich mit Technik aus dem Westen eindecken.“ Als Läden dienten sieben einstige Gewerberäume des DDR-Dienstleitungsbetriebs, später wurde der Verkauf in zwei Fachgeschäften in der Bahnhofstraße und am Markt konzentriert.
Im turbulenten Jahr 1990 wurde Elektrofunk auch zum Kabelnetzbetreiber. Im Auftrag des Rates des Kreises – noch waren die bundesdeutschen Verwaltungsstrukturen nicht übernommen – schloss sie die Wohngebiete links und rechts der Ascherslebener Straße an ein Leitungsnetz an und ermöglichte den Fernsehanschluss für 3500 Haushalte. „Man wollte auf diese Weise wohl vermeiden, dass an jedem Balkon eine Satellitenschüssel hängt“, sagt Gerd Worch. Zwischen 2006 und 2009 wurden Leitungen und Steuerungstechnik komplett erneuert, 2017 begann der Umbau des Netzes auf Glasfaserkabel, die einmal direkt bis in die Wohnungen führen sollen. Worch: „Wenn wir aktuell von 200 Mbit pro Sekunde sprechen, dann kommen die auch wirklich bei den Nutzern an.“
„Schwierige Phasen meistert man nur mit loyalen Mitarbeitern.“
Gerd Worch

Nach Tiefschlag 2013: Unternehmen startet wieder durch

Über ein Jahrzehnt gedieh das Unternehmen, dann geriet der Bereich Elektroinstallationen in Schieflage – und mit ihm die gesamte GmbH. „Einige Gründe haben wir selbst zu verantworten, andere sind schlicht den Strukturen im Baugewerbe geschuldet“, sagt Gerd Worch. „Hier herrscht ein gnadenloser Preiskampf, Sie müssen eine Menge Material vorfinanzieren und auf die Zahlungsmoral der Auftraggeber hoffen.“ Die Elektrofunk GmbH muss Insolvenz anmelden, stellt jedoch erfolgreich einen Antrag auf Eigenverwaltung. Ein halbes Jahr später ist es überstanden. Mit 51 Beschäftigten startet das Unternehmen ein zweites Mal durch. „Eine solch schwierige Phase meistert man nur mit engagierten und loyalen Mitarbeitern“, sagt Worch. „Und damit meine ich nicht nur die, die geblieben sind, sondern auch jene, die gehen mussten.“
Heute hat das Unternehmen 70 Beschäftigte und steht auf vier gesunden Beinen: Der zum Euronics-Verbund gehörende Fachmarkt ist 2013 von der Bahnhofstraße in das Mansfeld-Center im Ortsteil Walbeck gezogen und bietet neben dem Verkauf von Elektrogeräten, Unterhaltungselektronik, Mobilfunk- und Telekommunikationstechnik auch den Reparatur- und Montageservice. Am Hettstedter Markt unterhält das Unternehmen, ebenfalls seit 2013, außerdem einen modernen Vodafone-Shop. Die Gebäudereinigung – einschließlich Winterdienst und Schädlingsbekämpfung – ist mit 45 Beschäftigten der größte Geschäftsbereich. Der Bereich Elektrotechnik & Großküchen hat sich erfolgreich auf Installationen, Reparaturen und Wartungsarbeiten spezialisiert. Und der Kabelnetzbetrieb ist längst in ein neues Zeitalter der digitalen Telefonie und des Highspeed-Internets gestartet.
Anfang 2020 hat Gerd Worch die Geschäftsführung in die Hände seiner Kinder gelegt. Sohn Mario ist seit 1996 im Unternehmen und leitet den Bereich Technik, Tochter Alexandra, seit 2002 im Geschäft, ist für Verwaltung und Finanzen verantwortlich. Nach wie vor aber ist der Senior, inzwischen 70 Jahre alt, einmal wöchentlich in der Firma, bringt seine Erfahrung ein, hilft bei Problemen. „Es fällt nicht leicht loszulassen“, sagt er. „Das Unternehmen ist mein Lebenswerk.“
Elektrofunk GmbH
Gegründet:

1990 als D/W Elektrofunk GmbH
Standort:
Hettstedt
Mitarbeiter:
70 (davon 5 Auszubildende)
Umsatz:
3,4 Millionen Euro (2019)
www.elektrofunk.de
Matthias Münch