KATHI kehrt heim
30 Jahre Marktwirtschaft – Unternehmergeschichten aus Mitteldeutschland
Antrag, Stempel und Verwaltungsakt: Der Begriff Reprivatisierung klingt technokratisch. Tatsächlich war das Anfang der 1990er Jahre in vielen Fällen so. Aber nicht selten verbergen sich dahinter herzergreifende Geschichten – so wie die der Familie Thiele.
Rückblende: 30. März 1989
Rainer Thiele, damals 45 Jahre alt und Leiter der Markt- und Bedarfsforschung im Kombinat VEB „Nahrungsmittel Kaffee Halle“, besucht seine Mutter Käthe. Sie sieht voraus, dass der Arbeiter- und Bauernstaat schon bald am Ende sein würde. Deshalb fordert sie ihren Sohn auf, er soll die Firma zurückholen. Er verspricht es. Einen Tag später stirbt sie, und Rainer Thiele hat nun ein Herzensanliegen. Die Firma, das ist KATHI. 1951 hatte Käthe Thiele den nach ihr benannten Nahrungsmittelbetrieb zusammen mit ihrem Mann Kurt in einer halleschen Garage gegründet, die Kathi-Nährmittelfabrik Kurt Thiele KG. Ihre Geschäftsidee war so einfach wie genial: Wer in der frühen DDR backen wollte, hatte es nicht leicht – wenn es Mehl gab, fehlten der Zucker oder die Stärke oder umgekehrt. Warum also nicht alle Zutaten zusammen in einer Backmischung anbieten? 1953 brachten die Thieles ihr „Tortenmehl“ heraus, rund 20 Jahre bevor in Westdeutschland ein ähnliches Produkt auf den Markt kam. Der Klassiker ist übrigens bis heute im Sortiment. Mittelstand und Unternehmertum, das gab es auch im real existierenden Sozialismus. Aber wer zu erfolgreich war, der bekam Grenzen gesetzt.
Rainer Thiele, damals 45 Jahre alt und Leiter der Markt- und Bedarfsforschung im Kombinat VEB „Nahrungsmittel Kaffee Halle“, besucht seine Mutter Käthe. Sie sieht voraus, dass der Arbeiter- und Bauernstaat schon bald am Ende sein würde. Deshalb fordert sie ihren Sohn auf, er soll die Firma zurückholen. Er verspricht es. Einen Tag später stirbt sie, und Rainer Thiele hat nun ein Herzensanliegen. Die Firma, das ist KATHI. 1951 hatte Käthe Thiele den nach ihr benannten Nahrungsmittelbetrieb zusammen mit ihrem Mann Kurt in einer halleschen Garage gegründet, die Kathi-Nährmittelfabrik Kurt Thiele KG. Ihre Geschäftsidee war so einfach wie genial: Wer in der frühen DDR backen wollte, hatte es nicht leicht – wenn es Mehl gab, fehlten der Zucker oder die Stärke oder umgekehrt. Warum also nicht alle Zutaten zusammen in einer Backmischung anbieten? 1953 brachten die Thieles ihr „Tortenmehl“ heraus, rund 20 Jahre bevor in Westdeutschland ein ähnliches Produkt auf den Markt kam. Der Klassiker ist übrigens bis heute im Sortiment. Mittelstand und Unternehmertum, das gab es auch im real existierenden Sozialismus. Aber wer zu erfolgreich war, der bekam Grenzen gesetzt.
Ein Stück weiter zurück: 14. April 1972
Zusammen mit Sohn Rainer sitzt Kurt Thiele im damaligen Kathi-Verwaltungsgebäude im Osten von Halle. Im Jahr zuvor ist der junge Mann, der im Fernstudium an der Universität Leipzig seinen Abschluss als Diplom-Wirtschaftswissenschaftler gemacht hatte, in die Firma seiner Eltern eingetreten.
Zusammen mit Sohn Rainer sitzt Kurt Thiele im damaligen Kathi-Verwaltungsgebäude im Osten von Halle. Im Jahr zuvor ist der junge Mann, der im Fernstudium an der Universität Leipzig seinen Abschluss als Diplom-Wirtschaftswissenschaftler gemacht hatte, in die Firma seiner Eltern eingetreten.
„Wir waren überzeugt: Was in der DDR Bückware war, hat das Zeug zur starken Marke.” Rainer Thiele
Rainer Thiele erzählt: Vier Stasi-Schergen – „unterste Kategorie“ – stürmen in den Raum und drängen Vater Thiele, sofort die „freiwillige“ Umwandlung der Firma in Volkseigentum zu unterzeichnen. So ganz ohne Vorboten kam diese Enteignung nicht, Kurt Thiele trifft sie trotzdem hart. Er bricht zusammen. Sein damals 28-jähriger Sohn Rainer verhandelt weiter mit der Stasi. Vier Jahre wird er noch Direktor des VEB „Backmehlwerk Halle“ bleiben dürfen, dann drängt ihn der Staat wegen „antisozialistischer Einstellung“ aus dem Betrieb.
Auch ein wichtiges Datum: 1. Juli 1991
Wenn der heute 77-jährige Thiele diese Geschichte erzählt, ist zu sehen, wie sie ihm zu Herzen geht. Er hat das Vermächtnis seiner Mutter mehr als erfüllt. Noch 1990 ist er als Prokurist wieder bei KATHI eingestiegen und hat die Rückübertragung bei der Treuhandanstalt beantragt. Die ließ ihn lange warten, gefährlich lange. Handelspartner kündigten schon an, die Produkte wegen der unklaren Besitzverhältnisse wieder aus dem Sortiment zu nehmen. Die Marktwirtschaft empfing Rainer Thiele nicht mit offenen Armen. Aber mit ein wenig Hilfe eines westdeutschen Geschäftsfreundes, der für anwaltliche Unterstützung sorgte, war es am 1. Juli 1991 soweit: Die Treuhand übertrug Rainer Thiele das Unternehmen zurück. Am selben Abend, als er feiern will, erlitt Rainer Thiele einen Herzinfarkt. Seine Frau schafft ihn rasch ins Krankenhaus, er überlebt. Aber kämpfen musste er weiterhin.
Wenn der heute 77-jährige Thiele diese Geschichte erzählt, ist zu sehen, wie sie ihm zu Herzen geht. Er hat das Vermächtnis seiner Mutter mehr als erfüllt. Noch 1990 ist er als Prokurist wieder bei KATHI eingestiegen und hat die Rückübertragung bei der Treuhandanstalt beantragt. Die ließ ihn lange warten, gefährlich lange. Handelspartner kündigten schon an, die Produkte wegen der unklaren Besitzverhältnisse wieder aus dem Sortiment zu nehmen. Die Marktwirtschaft empfing Rainer Thiele nicht mit offenen Armen. Aber mit ein wenig Hilfe eines westdeutschen Geschäftsfreundes, der für anwaltliche Unterstützung sorgte, war es am 1. Juli 1991 soweit: Die Treuhand übertrug Rainer Thiele das Unternehmen zurück. Am selben Abend, als er feiern will, erlitt Rainer Thiele einen Herzinfarkt. Seine Frau schafft ihn rasch ins Krankenhaus, er überlebt. Aber kämpfen musste er weiterhin.
Das KATHI-Werk in der Berliner Straße im Osten Halles.
© IHK Halle-Dessau/Michael Deutsch
Denn die nächsten Jahre wurden für die KATHI Rainer Thiele GmbH nicht leicht. Die alten Ostprodukte sind anfangs bei den Verbrauchern nicht gefragt. Doch die Firma hat einen jungen und ehrgeizigen neuen Vertriebler, Sohn Marco, Jahrgang 1971. Der erzählt: „Wir haben den Kofferraum voller Schachteln geladen und die Supermärkte in der Region abgeklappert.“ Die Thieles waren überzeugt: Was in der DDR vormals „Bückware“ war, hat das Zeug zur starken Marke. Sie sollten recht behalten. KATHI ist gewachsen. 1994 nimmt Rainer Thiele für Neuinvestitionen einen Kredit von 14 Millionen D-Mark auf – bei einem Jahresumsatz von drei Millionen. Die Bank hat überzeugt, dass die Firma nach kurzer Zeit auf dem Markt schon Gewinne schrieb. Heute ist die Firma bei Backmischungen in Ostdeutschland Marktführer und mit gut 14 Prozent Marktanteil bundesweit die Nummer zwei. Der Jahresumsatz nähert sich der 30-Millionen-Euro-Marke. 2009 hat Rainer Thiele die Geschäftsführung abgegeben. Der neue Chef treibt die Produktentwicklung voran: Inzwischen gibt es auch Kekse, Waffeln und demnächst auch Puddingmischungen. Und er verhandelt auf einem härter werdenden Markt mit den großen Handelsfirmen. „Ich bin immer noch mit ganzem Herzen Vertriebler“, sagt Marco Thiele. Denn Rainer Thiele hat auch seinen zweiten Herzenswunsch verwirklicht: Er hat KATHI in der Familie weitergegeben – an die nun dritte Generation.
KATHI Rainer Thiele GmbH
Gegründet:
1951 als Kathi-Nährmittelfabrik Kurt Thiele KG
Standort:
Halle (Saale)
Mitarbeiter:
90 (davon 14 Auszubildende)
Marktanteil Kuchenmischungen:
44,7 Prozent (2019)
www.kathi.de
Gegründet:
1951 als Kathi-Nährmittelfabrik Kurt Thiele KG
Standort:
Halle (Saale)
Mitarbeiter:
90 (davon 14 Auszubildende)
Marktanteil Kuchenmischungen:
44,7 Prozent (2019)
www.kathi.de
Markus Rettich