Durchs Feuer gegangen
Schuhe, sie stehen für ein trauriges Kapitel der mitteldeutschen Wirtschaftshistorie: Bis zu 30.000 Paar täglich wurden einst im Weißenfelser Kombinat gefertigt. Doch 1992 lief die Produktion dort aus. Und trotzdem ist hier eine Erfolgsgeschichte zu erzählen: In der Lutherstadt Eisleben stellt EWS „Die Schuhfabrik“ e.K. Feuerwehrstiefel und Sicherheitsschuhe her – und ist auf dem Weltmarkt erfolgreich.
Die Schuhfabrik präsentiert ihre Chronik prominent. Wer das Bürogebäude an der Eisleber Klosterstraße betritt, schaut auf eine große Tafel mit den wichtigsten historischen Daten. Der oberste Eintrag lautet: „1945: Gründung der
EWS-Inhaber Jörg Schlichting präsentiert Feuerwehrstiefel der Serie „Pink Fire“, ein Alleinstellungsmerkmal der Eisleber Schuhfabrik.
© Michael Deutsch
Produktivgenossenschaft ‚Mansfelder Schwerbeschädigter‘ e.G.m.b.H.‘“ Diese Firma, in der zunächst hauptsächlich Kriegsversehrte arbeiteten, hatte sich 1950 auf die Schuhproduktion spezialisiert und war 1952 zur Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) „PROGEMA“ umfirmiert. 20 Jahre später wurde der Betrieb verstaatlicht und schließlich 1981 in das Schuh-Kombinat eingegliedert.
Aber anders als dieses hat die Fabrikation in der Lutherstadt überlebt. „Wir haben nie aufgehört zu produzieren.“ Jörg Schlichting sagt das sichtlich stolz. 1999 trat der 57-Jährige ins Unternehmen ein. Der gebürtige Zittauer hatte Außenwirtschaft studiert und dann lange in der DDR-Schuhindustrie gearbeitet. Er war dort der jüngste Fachdirektor. Nach dem Mauerfall hatte er sich unter anderem im Import-/Export- Geschäft betätigt.
Dann seine Rückkehr zu den Wurzeln: Schlichting kann Schuhe. 2005 übernahm er die Eisleber Fabrik als Eigentümer.
Die Geschichte, die er über die vergangenen 30 Jahre seines Unternehmens erzählt, ist eine von brenzligen Situationen und zündenden Ideen.
Mutige Gründer mit Ambitionen
Seine Vorbesitzer, ehemalige Führungskräfte des volkseigenen Betriebes um Schuhingenieur und Geschäftsführer Klaus Kirschner (†) hatten sich schon Anfang Juli 1990 mit dem Eisleber Werk selbstständig gemacht und sich auf normgerechte Arbeits- und Sicherheitsschuhe spezialisiert. Ihr Betrieb wurde reprivatisiert, sie gründeten die EW-Schuh GmbH. Das „EW“ steht – so weist es die Erinnerungstafel in der Klosterstraße aus – für „Eisleber Workshoe“ und ist somit ein Beleg für die internationalen Ambitionen der Neugründer auf ihrem Weg in die Marktwirtschaft.
Wie mutig dieser Schritt damals war, belegt das Schicksal der anderen aus dem ehemaligen DDR-Kombinat entstandenen Betriebe. Zunächst konnten sie noch Schuhe in Auftragsarbeit für die westdeutsche Marke „Salamander“ fertigen, ab 1991 wurde die Produktion jedoch abgewickelt. Mehr als 40.000 Menschen, die zuvor insgesamt im Kombinat beschäftigt waren, verloren ihren Arbeitsplatz. Als letztes Unternehmen stellte der ehemalige VEB „Banner des Friedens“ in Weißenfels den Betrieb ein.
Auch die Eisleber mussten durchs Feuer gehen, berichtet Schlichting. Der angestammte Markt im Osten war zusammengebrochen. Zwar stand ihnen die Welt nun offen, ihre Arbeitsschuhe waren konkurrenzfähig. Aber die Kosten, die globalen Märkte zu erschließen, zwangen die Schuhfabrikanten aus der Lutherstadt schließlich in die Knie. Ihr Unternehmen geriet Ende der 1990er Jahre in Schieflage und ging 2001 in die Insolvenz.
Neustart mit „goldenem Kern“
Damit hätte die Geschichte der Schuhproduktion in Mitteldeutschland zu Ende sein können. Dass es nicht so kam, lag an zwei der damals handelnden Personen. Der auch in Halle (Saale) ansässige Hamburger Insolvenzverwalter Peter Knöpfel sah trotz allem eine Perspektive für die Schuhfabrik und hielt die Produktion drei Jahre lang aufrecht. Und der damalige Prokurist Schlichting hat die sich bietende Chance genutzt. Der neue Eigentümer hat, wie er selbst sagt, auf den „goldenen Kern“ des Unternehmens gesetzt: Schlichting hat das Unternehmen weiter spezialisiert. Seine EWS „Die Schuhfabrik“ e.K. stellt Feuerwehrstiefel und Sicherheitsschuhe für heiße Arbeitsumfelder her. Die Markterschließung hat das Unternehmen erfolgreich bewältigt.
Einen Wendepunkt sieht Schlichting im Jahr 2010. Damals kommen die Eisleber Produktentwickler auf die Idee, auch Arbeitsschuhe modisch zu gestalten. Feuerwehrstiefel aus Eisleben sind keine klobigen Knobelbecher, sondern ein stylisches Premium-Produkt. Seit 2015 läuft die Werbung über die gängigen Social-Media-Kanäle. Schlichtings Idee: die Feuerwehrleute selbst zu Fans der Produkte machen, um sie damit als Werbebotschafter zu gewinnen. Rund 25.000 Follower hat EWS auf Facebook.
Inzwischen beliefert die Schuhfabrik Kunden in 22 Ländern. 45.000 Paar produzieren die insgesamt 26 Mitarbeiter der Firma pro Jahr. Mit dem untergegangenen Kombinat ist das nicht zu vergleichen, aber auf dem Nischenmarkt für Feuerwehrstiefel mischen die Eisleber in der Weltspitze mit. „Wir sind ein ‚Global Player‘ in Miniatur“, sagt Schlichting.
Einen Schaft nähen – Handarbeit in Perfektion.
© Michael Deutsch
Die Corona-Pandemie 2020 brachte eine neue Herausforderung. Wenn internationale Lieferketten reißen, Messen ausfallen und Märkte wegbrechen, dann geraten Produktion und Vertrieb gleichermaßen unter Druck. Aber Schlichting ist Optimist: „Wir wissen, was wir wollen und was wir können.“ Er ist überzeugt, dass die Eisleber Schuhfabrik sicher auch durch dieses Feuer gehen wird, und lässt auch gleich Taten folgen: Mit der Produktoffensive 2021 startet EWS damit, neue hochwertige Feuerwehrstiefel auf dem Markt zu etablieren.
„Wir sind ein ‚Global Player‘ in Miniatur.“
Jörg Schlichting
EWS Die Schuhfabrik e.K.
Gegründet
1945 (wiederbegründet 1990 und 2005)
Standort:
Lutherstadt Eisleben
Mitarbeiter:
26
Jahresproduktion:
45.000 Paar
Umsatz:
ca. vier Millionen Euro jährlich
www.ews-schuhfabrik.de
Gegründet
1945 (wiederbegründet 1990 und 2005)
Standort:
Lutherstadt Eisleben
Mitarbeiter:
26
Jahresproduktion:
45.000 Paar
Umsatz:
ca. vier Millionen Euro jährlich
www.ews-schuhfabrik.de
Markus Rettich