Apfelkuchen für Kanzler Kohl
Seit 106 Jahren, über vier Generationen und durch fünf politische Systeme führt die Familie Pirl das Hotel „Zum Stein“ in Wörlitz. Sie überstand die Jahrhundertflut 2002 und meistert aktuell die Corona-Krise. Ihr Erfolgsgarant: die einzigartige Verbindung von Natur und Kultur.
Sie alle waren da: die Bundespräsidenten Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier, die Bundeskanzler Helmut Kohl und Gerhard Schröder, die Schauspieler Herbert Grönemeyer und Nastassja Kinski, sogar die niederländische Königin Beatrix. Nicht jeder dieser Prominenten war direkt im Hotel „Zum Stein“ untergebracht, zumindest aber wurden alle von Familie Pirl versorgt – Kanzler Kohl beispielsweise mit Apfelkuchen während der Gondelfahrt im Park 1996, Königin Beatrix und ihre Gäste 2012 mit einem Festessen im Wörlitzer Schloss.
Erholungsort für die wachsende Industriestadt
Das Hotel „Zum Stein“ ist eine Institution im Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Vor über einem Jahrhundert, 1914, eröffnete Ewald Pirl das Gasthaus am Rande des Wörlitzer Parks. Als Oberkellner im Berliner Adlon hatte er sein Handwerk gelernt – und er besaß die segensreiche Weitsicht, dass die Bewohner der aufstrebenden Industriestadt Dessau bald Erholung im Grünen suchen würden. Seitdem ist das Lokal stetig gewachsen: Zunächst wurde eine Tanzdiele angebaut, es folgten die ersten Fremdenzimmer. Auch zu DDR-Zeiten blieb das Haus im Familienbesitz, weil es weniger als zehn Mitarbeiter hatte – die kritische Größe, um einer Verstaatlichung zu entgehen. „Unsere Familie hat es geschafft, das Hotel durch fünf politische Systeme zu führen“, sagt Michael Pirl, der heute die Geschäfte gemeinsam mit Bruder Christian in der nunmehr vierten Generation leitet.
22 Jahre alt war Michael, als sich mit der Euphorie der deutschen Wiedervereinigung 1990 auch die Frage stellte, wie es mit dem Unternehmen weitergehen sollte. „Meinen Eltern und mir war schnell klar: Wer bestehen will, muss investieren“, erzählt der heute 53-Jährige. Innerhalb einer Woche waren sowohl der Bau- als auch der Kreditantrag bewilligt, eine für heutige Maßstäbe unfassbar kurze Zeit. Die Pirls bauten komplett um, aus und neu – mit großem Restaurant und 20 Hotelzimmern. In den folgenden Jahren entstand ein regelrechter Hotelkomplex mit weiteren 67 Zimmern, Seminar- und Fitnessräumen, Kaminhalle, Sonnendeck, ganzjährig nutzbarem Außenpool, Wintergarten und großzügiger Lobby. Ein wichtiger Schritt für das Haus war der Beitritt zur Vereinigung der Ringhotels 1993, zu dem sich Famile Pirl nach intensivem Erfahrungsaustausch mit befreundeten Hoteliers aus Niedersachsen entschlossen hatte. „Wir wollten den großen Hotelketten etwas entgegensetzen und mit einem Siegel werben, das für höchste Qualität privat geführter Häuser steht“, erzählt Michael Pirl. „So kurz nach der Wende haben wir uns damit einem gewaltigen Erfolgsdruck ausgesetzt, aber wir profitieren bis heute von dieser Entscheidung.“
Schicksalsschläge: erst Flut, dann Ebbe
Dass es nicht immer politische Einflüsse sind, die über Wohl und Wehe eines Unternehmens entscheiden, haben die Pirls unmittelbar erfahren müssen: 2002 stand die Wörlitzer Elbaue während der Jahrhundertflut wochenlang unter Wasser, Deiche
Michael (links) und Christian Pirl vor der Insel Stein im Wörlitzer Park. Die Insel war namensgebend für das Hotel, das die Brüder gemeinsam führen.
© TRENDBLENDE
drohten zu brechen und noch größeren Schaden anzurichten. Anstatt über ausbleibende Gäste zu klagen, packten die Pirls an und versorgten Helfer und Rettungskräfte rund um die Uhr mit Speisen und Getränken. 18 Jahre später dann Ebbe statt Flut – mit dem Corona-Lockdown versiegte der Touristenstrom schlagartig. „Den 19. März 2020 werden wir so schnell nicht vergessen“, sagt Michael Pirl. „Es war eine Vollbremsung von Einhundert auf Null.“ Doch Pirl ist Optimist, lässt keinen Zweifel daran, dass sich das Geschäft schnell wieder beleben wird: „Das Reiseverhalten der Deutschen wird sich ändern, viele werden Ferien im eigenen Lande oder sogar in ihrer Region machen. Kurzurlaube gewinnen an Bedeutung. Davon werden wir langfristig profitieren.“
Verbindung von Kultur und Natur
Profitieren wird das Vier-Sterne-Hotel vor allem deshalb, weil es wie gemacht ist für Menschen, die die Natur ebenso schätzen wie die Kultur: In maximal 35 Kilometern Entfernung liegen gleich vier von der UNESCO ausgezeichnete Stätten – die Lutherstadt Wittenberg, das Bauhaus und die Meisterhäuser in Dessau, das Gartenreich Dessau-Wörlitz und nicht zuletzt die einzigartige Flusslandschaft des Biosphärenreservats Mittelelbe. Die Pirls richten ihre Arrangements konsequent auf die kultur- und naturaffinen Gäste aus, bieten Abendgondelfahrten auf dem Wörlitzer See mit italienischem Essen, organisieren klassische Konzerte im Park, laden zum Bauhaus- Abend mit Fünf-Gänge-Menü und Live-Musik der 20- er Jahre. Und wann immer es geht, darauf legt Michael Pirl besonderen Wert, stammen die kulinarischen Leckerbissen aus der Region: Fisch aus der Elbaue, Rinder aus Vockerode und eigener Schlachtung, Wein von Saale und Unstrut. „Wer erfolgreich sein will, muss seine Wurzeln kennen“, sagt er. „Das gilt für die Tradition des Familienbetriebs, das gilt aber auch für die Herkunft unserer Produkte.“
„Wer erfolgreich sein will, muss seine Wurzeln kennen.“
Michael Pirl
Hotel Zum Stein – Pirl KG
Gegründet:
1914 als Restaurant und Gartenlokal „Zum Stein“
Standort:
Wörlitz
Mitarbeiter:
80 (davon 14 Auszubildende)
Umsatz:
Mehr als 5 Millionen Euro jährlich
www.hotel-zum-stein.de
Gegründet:
1914 als Restaurant und Gartenlokal „Zum Stein“
Standort:
Wörlitz
Mitarbeiter:
80 (davon 14 Auszubildende)
Umsatz:
Mehr als 5 Millionen Euro jährlich
www.hotel-zum-stein.de
Matthias Münch