Geteilte Fragen schaffen Kraft

Thies Schröder ist einer der Initiatoren für die klimapolitischen Grundsatzpositionen der IHK Halle-Dessau. Für ihn ein Mosaikstein, um zu guten Lösungen beim Umbau der Wirtschaft zu kommen.
Was war Auslöser für die klimapolitischen Grundsatzpositionen?
Thies Schröder: Unternehmerisches Handeln und klimapolitische Verantwortung sind nicht mehr voneinander zu trennen. Deshalb ist heute praktisch jedes Unternehmen von der Transformation betroffen, unabhängig von Branche und Größe. Die Fragen danach, wie Veränderung gelingt, wo Investitionen sinnvoll und erfolgversprechend sind, werden alltäglich. Vor diesem Hintergrund war es nötig, sich zu all dem konzentriert zu verständigen, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam über mehr gute Lösungsideen zu verfügen – für viele nutzbar. Als IHK im mitteldeutschen Revier war es zudem wichtig, die Interessen der Wirtschaft in der öffentlichen Debatte zum Kohleausstieg und Strukturwandel zu bündeln.
Was sind die Kernforderungen und an wen richten sie sich?
Schröder: Zunächst: Die Positionen sind kein Forderungskatalog nach dem Motto „Macht mal!“. Sie wollen vor allem dafür sensibilisieren, die Dinge ganzheitlich zu betrachten und besser zu sortieren. Ein wichtiger Grundsatz dabei ist beispielsweise, Emissionsvermeidung international technologieoffen und mit marktwirtschaftlichen Elementen zu organisieren und Anpassungen lokal anzugehen. Nur so kommen wir zu tragfähigen Lösungen. Das kann ich an dem eigenen Beispiel Ferropolis erklären: Wenn ich allein den Maßstab anlege, alles Handeln müsse zu 100 Prozent klimaneutral sein, wären Großveranstaltungen für uns nicht mehr durchführbar. Denn da entsteht ein großer ökologischer Fußabdruck. Damit entfiele aber unsere Geschäftsgrundlage. Der Weg liegt zwischen den Extremen Nullvariante oder Business as usual. Wir gehen schrittweise den Weg zum Ziel der Klimaneutralität. Etwa, wenn wir Logistikketten bei Großveranstaltungen optimieren oder neue Photovoltaikanlagen mit Speichern koppeln. Den ökologischen Fußabdruck verringern und dabei ökonomische, ökologische und soziale Aspekte miteinander verbinden, das ist erfolgversprechend – und „nachhaltig“ im besten Wortsinn. Folglich gehört dieses Zusammenspiel auch zu den zentralen klimapolitischen Positionen der IHK. Wie übrigens auch die, im Wandel Versorgungssicherheit zu erhalten. Wir plädieren dafür, Entwicklungsziele als Leitplanken zu verstehen, zwischen denen sich Veränderung schrittweise vollziehen kann, ohne zum Kahlschlag traditioneller Industrien zu führen. Letzteres ist gerade für unsere Region existenziell, wo vieles rund um die Chemie eng miteinander verflochten ist. Letztlich sind die klimapolitischen Positionen damit auch an uns selbst als Unternehmer gerichtet, Traditionelles neu zu denken.
Sie haben erwähnt, die Transformation technologieoffen und mit marktwirtschaftlichen Instrumenten gestalten zu wollen. Warum sind Sie überzeugt, dass damit eine größere Veränderungsdynamik möglich ist als mit klaren und verbindlichen gesetzgeberischen Vorgaben?
Schröder: Weil es für jeden Erfolg nötig ist, Marktbetrachtungen in Veränderungsprozesse einzubeziehen. Was wir nicht brauchen, sind die erwähnten scheinbaren Entweder-Oder-Lösungen und eine Regulatorik, die Dynamik und notwendige Flexibilität auf dem Weg zum Ziel außer Acht lassen. Kleinteilige Ge- und Verbote führen nicht zum Ziel. Deshalb widerspricht für mich beispielsweise der umstrittene temporäre Zubau von Gaskraftwerken auch nicht dem Gesamtziel der Klimaneutralität. Wir müssen aber aufpassen, dass daraus nicht Lock-In-Effekte entstehen. Wir müssen also die neue, innovativere Gasinfrastruktur samt CO2-Abscheidung auch dann noch nutzen, wenn andere Energieträger und -speicher längst kostengünstiger sind, weil wir die Infrastruktur nun einmal angeschafft haben. Das andere Denken hat den Klimaschutz zu lange gebremst. Insgesamt wünsche ich mir in der Debatte mehr transparente Kommunikation, die erklärt, was wer womit in welchem Zeitraum erreichen will.
Wie nützlich ist das Vernetzen im Veränderungsprozess?
Schröder: Sich besser zu vernetzen fördert zunächst die Erkenntnis, dass es um mich herum viele andere Unternehmer gibt, die ähnliche Fragestellungen umtreiben. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen öffnet es Türen, an Wissen zu gelangen. Im Forum Rathenau zum Beispiel versuchen wir das zu koppeln mit Kompetenzen der angewandten Wissenschaften. Je weiter wir hier vorankommen, desto mehr hilfreiche und nützliche Querverbindungen entstehen. Bisher wurden Abfall, Chemie oder Energie als getrennte Sektoren gedacht. Wenn wir jetzt über die Kohlenstoffwirtschaft der Zukunft diskutieren, stehen die Kopplungen zwischen den Branchen im Mittelpunkt. Und wir entdecken neue Wertschöpfungsquellen, wenn wir über den Tellerrand schauen.
Wo setzen Sie im Forum Rathenau inhaltliche Schwerpunkte, wie können sich Unternehmen hier und bei der IHK an der Debatte beteiligen?
Schröder: Wir setzen im Forum Rathenau auf Angebote für außerschulisches Lernen, vermehrt auch für alle Altersgruppen, und bieten etwa mit unserem Carbon Cycle Culture Club (C4) eine Plattform, bei der sich Unternehmen und Wissenschaftler begegnen und miteinander ins Gespräch kommen. Aktuell suchen wir in Unternehmen nach Herausforderungen, die das Potenzial für Gründungen haben. Im Herbst schauen wir dann in Bootcamps, was sich daraus entwickeln lässt. Innovationen denken wir von den Markt- und Technologieanforderungen her, für diese werden dann Teams zusammengestellt, die neue Gründungsideen denken. All das vernetzen wir in der Region, auch mit den vielfältigen Aktivitäten der IHK. Denn: Geteilte Fragestellungen schaffen Kraft.
Zur Person: Thies Schröder ist Geschäftsführer der Ferropolis GmbH, Projektleiter des Forum Rathenau, Vorsitzender der Energieavantgarde Anhalt und des Bundesverbandes Industriekultur e.V. und Vizepräsident der IHK Halle-Dessau.
In ihren klimapolitischen Grundsatzpositionen spricht sich die Vollversammlung der IHK Halle-Dessau für eine ökonomisch, ökologisch und sozial ausgewogene – mithin „nachhaltige“ – Klimapolitik aus. In neun Kapiteln beschreibt die regionale Wirtschaft, wie Klimaschutz, -anpassung und Wettbewerbsfähigkeit miteinander in Einklang gebracht werden können:
  1. Eine technologisch und sozial ergebnisoffene Debatte ist essenziell für eine erfolgreiche Klimapolitik!
  2. Klimapolitik muss effektiv, effizient und nachhaltig sein!
  3. Effektivität und Effizienz müssen ganzheitlich betrachtet werden!
  4. Effektive und effiziente Vermeidung sind mit Marktinstrumenten zu realisieren!
  5. Klimapolitik muss „arbeitsteilig“ ausgestaltet sein! Vermeidung ist eine globale, Anpassung eine lokale Aufgabe!
  6. Vermeidung allein reicht nicht!
  7. Internationale Abstimmung ist unverzichtbar!
  8. Versorgungssicherheit dar nicht aufs Spiel gesetzt werden!
  9. Innovationen setzen Investitionen voraus!