Südwestfalen: Wasserkraftregion mit Potenzial
Südwestfalen ist NRWs Wasserkraftregion Nummer Eins. Schon seit Jahrhunderten. Nach einer aktuellen Studie der Bezirksregierung Arnsberg hat sie das Potenzial, noch weiter zuzulegen. Doch es gibt von Seiten des Gewässerschutzes starke Gegenströmungen. Die Anlagenbetreiber sind verunsichert. Ende März 2014 haben Experten und Betroffene dieses Spannungsfeld in der SIHK diskutiert.
An sich könnte alles so einfach sein: Seit dem Mittelalter nutzen Betriebe hier die Kraft des Wassers. Heute wird 60 Prozent der nordrhein-westfälischen Wasserkraft im Regierungsbezirk Arnsberg erzeugt.
Warum, das liegt auf der Hand: Die Topografie stimmt, und Wasserkraftanlagen sind technisch reif, langlebig und effektiv. Fließendes Wasser ist im Gegensatz zu Kohle und Öl unerschöpflich und im Gegensatz zu Sonne und Wind kontinuierlich vorhanden.
Christine Elhaus, Leiterin des Dezernates 54 „Wasserwirtschaft“ bei der Bezirksregierung Arnsberg, stellte in der Gemeinschaftsveranstaltung der SIHK und der IHK Arnsberg die Kernpunkte der eingangs erwähnten Studie „Ermittlung des erschließbaren Restpotenzials der Wasserkraft im Regierungsbezirk Arnsberg“ vor. Zurzeit erzeugen im Arnsberger Bezirk 213 Wasserkraftanlagen mit einer Leistung von 102 Megawatt (MW) jährlich etwa 313 Gigawattstunden (GWh). In ganz NRW sind es 520 GWh.
Nach Betrachtung aller 3.500 Querbauwerke kommen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass durch Veränderungen an 2.355 dieser Standorte die Leistung um 31 MW (30 Prozent) und die Jahresarbeit um 113 GWh, also 36 Prozent, gesteigert werden könnte. Von diesem theoretisch-technischen Potenzial ist, so die Forscher, etwa die Hälfte (15 MW) tatsächlich in der Praxis umsetzbar, 8 MW über die Verbesserung vorhandener Anlagen und 7 MW durch Neuanlagen an vorhandenen Querbauwerken.
Von der Politik ist der Ausbau der Wasserkraft gewollt. Wasserkraft ist CO2-sparend und damit klimafreundlich. Das passt bestens in die aktuelle politische Landschaft, wobei man natürlich beachten muss, dass die Wasserkraft gerade einmal einen Anteil von 3,4 Prozent zum aktuellen Strommix Deutschlands beiträgt (Stand 2013) und deshalb alleine sicherlich nicht das Klima retten kann.
Im NRW-Koalitionsvertrag zwischen der SPD und den Grünen ist das Primat der erneuerbaren Energien fest verankert. Und Umweltminister Remmel hat beim Arnsberger Energiedialog Wasserkraft am 5. März sehr deutlich positioniert: Er wolle bald bei der Einweihung einer neuen Wasserkraftanlage „ein rotes Bändchen“ durchschneiden. „Der rote Teppich ist ausgerollt“, rief er dem Auditorium zu.
Diese Sichtweise hat eine rechtliche Basis im Wasserhaushaltsgesetz (WHG), das in § 35 einen expliziten Prüfauftrag für Behörden enthält, die bestehenden Querbauwerke, die nicht geschliffen werden sollen, auf ihre Eignung für die Wasserkraftnutzung hin zu prüfen. Die Wasserkraftanlage als Chance!
So weit, so gut. Aber es gibt auch mächtige Gegenströmungen. Andere betrachten die Wasserkraft als Gefahr für Fisch und Fluss. Und auch sie können sich auf das WHG berufen. Im Rahmen der Umsetzung der EU-Wasserrahmen-Richtlinie, in deren Mittelpunkt der Fischschutz und die Renaturierung der Flüsse und Seen stehen, sind im WHG die Mindestwasserführung und Durchgängigkeit festgeschrieben worden. Das heißt: Der Anlagenbetreiber muss soviel Wasser an der Anlage vorbeifließen lassen, dass die ökologische Funktionsfähigkeit des Gewässers sichergestellt ist (§ 33 WHG). Und er muss dafür sorgen, dass Fische ihre natürlichen Wanderbewegungen weitestgehend ungehindert vollführen können, ohne Schaden zu nehmen (§ 34 WHG). Die Wasserkraftanlage als Gefahr für Fisch und Fluss!
Dr. Andreas Hoffmann vom Büro für Umweltplanung, Gewässermanagement und Fischer in Bielefeld hat diese Sichtweise mit eindrucksvollen Unterwasser-Sonaraufnahmen untermauert, die das Verhalten von Fischen vor dem Rechen und die Gefährdung der Tiere deutlich machten. Botschaft: Es gibt sie wirklich, die zum Teil massive Gefahr für Fische durch Wasserkraftanlagen. Die meisten Probleme, so Hoffmanns Fazit, sind jedoch technisch lösbar. Aber um soweit zu kommen, ist es wichtig, zu forschen und den oftmals sehr emotional ausgetragenen Diskurs durch objektive Informationen zu versachlichen.
Als Betreiber einer Wasserkraftanlage und Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke (AGW) NRW, Düsseldorf, gehört Gunnar Lohmann-Hütte zu dem Personenkreis, der in diesem Spannungsfeld erfolgreich wirtschaften muss. Der Geschäftsführer der Friedr. Lohmann GmbH in Witten betonte, dass die Betreiber sich ihrer Mitverantwortung für Durchgängigkeit und Fischschutz bewusst seien. Viele negative Auswirkungen, so auch sein Koreferent Philipp Hawlitzky, Geschäftsführer der AGW NRW, ließen sich durch gute Planung und technische Maßnahmen reduzieren. Kritik übte Lohmann-Hütte an der Genehmigungs- und Überwachungspraxis. „Hier fehlten oftmals klare Spielregeln“, so der Unternehmer. Unverständnis zeigte er für die geplante Belastung von Eigenverbräuchen mit 70 Prozent der EEG-Umlage, die eine Verletzung des Bestandsschutzes darstelle.
Auch in der Diskussion wurde deutlich: Die Betreiber stehen zu ihrer Umweltverantwortung. Es geht aus ihrer Sicht jedoch nicht an, dass sich von heute auf morgen Bedingungen ändern und damit vielleicht die Wirtschaftlichkeit einer ganzen Anlage in Frage steht. Investitionen in Wasserkraft sind hohe Investitionen. Wenn man dafür entscheidet, dann braucht man Sicherheit und Kalkulierbarkeit, verlässliche Leitplanken!
Elhaus sieht in der Praxis das Repowering bestehender Anlagen als zumeist unproblematisch an. Ähnlich bewertet sie die Aktivierung der Ausleitungsstandorte an bestehenden Wasserkraftanlagen. Schwieriger werde es, neue Anlagen an bestehenden Querbauwerken zu genehmigen. Sehr zu begrüßen sei in diesem Zusammenhang, dass Minister Remmel in Arnsberg eine ergänzende Förderung für die Herstellung der Durchgängigkeit bei der Reaktivierung von Querbauwerken als Wasserkraftstandorte in Aussicht gestellt habe.
Für Moderator Stefan Prott vom Büro für Wasserkraft der Energieagentur NRW ist das konstruktive Zusammenwirken aller Beteiligten das A und O sowie eine intensive Beratung potenzieller Betreiber und verstärkte Forschungsanstrengungen.
Wie geht es weiter? - Von den Potenzialstandorten werden zurzeit die augenscheinlich konfliktärmsten ermittelt. Am Ende soll eine Aktionsplan Top 10 plus stehen, damit der Minister so schnell wie möglich ein rotes Bändchen durchschneiden kann. Das setzt natürlich voraus, dass für die Projekte Investoren gefunden werden können, die hier eine wirtschaftliche Chance sehen. Ein kleiner Anreiz könnte ja vielleicht ein verbessertes Förderregime sein, Basis auf jeden Fall verlässliche Rahmenbedingungen in Politik, Recht und Vollzug.