Seite 24 - Wirtschaftsmagazin

WIRTSCHAFTSMAGAZIN · 9/2014
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Entenküken sind nicht gelb
Dass scheinbar gesichertes Alltagswissen oft falsch ist,
legte Volker Wissemann von der Universität Gießen humorvoll dar.
VON GABRIELE REINARTZ
H
ätten Sie es gewusst?
Spinat ist gar nicht so
gesund, wie immer
behauptet wird. Schokolade
enthält weit mehr Eisen als das
gepriesene Gemüse. Ein Apfel
kann gar nicht wurmstichig
sein, weil es sich bei den kleinen
Tierchen um Maden handelt.
Und Rosen haben Stacheln und
keine Dornen, auch wenn uns
das der gute alte Goethe seit
über 200 Jahren glauben
machen will.
Mit diesen und vielen weite-
ren Irrtümern räumte in seiner
Festrede der Hochschuldozent
Volker Wissemann in humor-
voller Weise auf und erntete am
Ende großen Applaus für seinen
Vortrag. Die Zuhörer lernten,
dass scheinbar gesichertes All-
tagswissen oft falsch ist und wir
von der Werbung stark beein-
flusst sind. Entenküken sind
eben nicht gelb wie das Quiet-
scheentchen im Bad uns glau-
ben machen will, sie sind in
Wirklichkeit braunschwarz.
Und auf unseren satten Wiesen
grasen nicht, wie tatsächlich
einige (Stadt-)Kinder aufgrund
der Schokoladenwerbung ver-
muten, lilafarbene Kühe. Diese
und andere falsche Annahmen
kommen laut Wissemann
dadurch zustande, dass wir die
Natur vornehmlich durch die
Medien wahrnehmen.
Kinder kennen im Schnitt
nur fünf Pflanzen. Von einigen
Bäumen und Sträuchern sind
ihnen die Namen zwar geläufig,
doch nicht, wie sie aussehen.
Die Situation sei desaströs,
bemängelte Wissemann. Dies sei
umso bedauerlicher, als wir eine
schöne Natur vor allem im
Urlaub als äußerst wichtig anse-
hen, weil sie in unseren Augen
für pure Erholung stehe. In
unserer Gesellschaft mache sich
aber eine Naturentfremdung
breit, so der Botaniker, weil wir
durch ihre Vielfalt schlichtweg
überfordert seien.
Es mangelt an Fach-
kenntnissen im Alltag
Überfordert mit der Natur
waren wir Menschen eigentlich
schon immer. Im 16. Jahrhun-
dert waren unsere naturwissen-
schaftlichen Kenntnisse, formu-
lieren wir es mal so, sehr „über-
sichtlich“. Unser Wissen über die
Natur entwickelte sich erst durch
intensives Betrachten und regen
Informationsaustausch über das
Entdeckte. So entstanden auch
die botanischen Gärten, von
denen der älteste in Deutschland
in Gießen zu finden ist. Im 19.
Jahrhundert dagegen „blühte“
die Stadt regelrecht auf; viele
Forscher, allen voran Justus Lie-
big, folgten dem hervorragen-
den Ruf der hiesigen Universität.
In Gießen prallte sozusagen das
geballte Wissen aufeinander.
Dieser Wissenszuwachs war
enorm groß, zu groß im Grunde
genommen. Denn die Menschen
konnten die Fülle der Informa-
tionen nicht verarbeiten, und so
drifteten sie ab ins Schablonen-