WIRTSCHAFTSMAGAZIN · 10/2014
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AUFMACHER
haben wir gar nicht“, ergänzt Steffes-Mies.
Man sei kein „Fernsehbier“, das mit erhebli-
chem Werbeaufwand auf bundesweite
Märkte zielt. Bier aus der Alsfelder Land-
brauerei gibt es nur in Hessen und in
angrenzenden Gebieten von Thüringen,
Rheinland-Pfalz und im südlichen Nieder-
sachsen. Zwei Drittel des Absatzes läuft über
den Lebensmittel- und Getränkehandel,
etwa ein Drittel geht in die regionale Gastro-
nomie.
Doch wenn sich neue Chancen mit Pro-
duktinnovationen bieten, dann schlägt man
sie auch nicht aus. Vor fünf Jahren begann
die Alsfelder Brauerei, Bier aus dem Urkorn
Emmer und aus Dinkel zu brauen, beides aus
Vogelsberger Bio-Anbau. Heute hat die
Brauerei sechs verschiedene Bio-Biere im
Angebot, die mittlerweile für zehn Prozent
der Produktion stehen und auch überregio-
nal verkauft werden. Doch was bringt einen
Händler in Hamburg oder Berlin dazu, Als-
felder Landbier in sein Sortiment aufzuneh-
men? „Die finden unsere Story gut“, ant-
wortet Resch: Eine 156 Jahre alte Brauerei,
Wasser aus den Tiefen des Vogelsberger Vul-
kangesteins und was könne einem denn
Besseres passieren, als Bier mit Mineralwas-
ser zu brauen? „Bei den Bio-Bieren sehen
wir im Moment keine Grenzen“, fährt Resch
fort, auch von den Ressourcen her sei die
Produktion noch lange nicht begrenzt. Zur
Grundwasserentnahme braucht man eine
Genehmigung, aber „die Menge, die wir för-
dern, könnten wir noch um den Faktor Drei
erhöhen.“ Das Mineralwasser wird – zweites
Standbein der Brauerei – auch als solches
abgefüllt und vermarktet, und es dient als
Grundlage für ein Sortiment von Limonaden
und alkoholfreien Getränken. Die Anteile
von Bier und Nicht-Bier an der Produktion
sind etwa gleich groß.
Doch in der Unternehmensidee der Als-
felder Landbrauerei steckt noch mehr, wie
sich beim Gang durch die Brauerei zeigt.
„
Wir versuchen generell, bei Allem mög-
lichst Ressourcen schonend zu arbeiten“,
erläutert Resch. Abgefüllt wird ausschließ-
lich in Mehrweg-Glasflaschen, für Resch
auch Ausdruck der „Einheit von Produkt
und Verpackung“. Deshalb verwendet die
Alsfelder Brauerei „nicht gebrandete Pool-
Flaschen“, die von verschiedenen Brauerei-
en genutzt werden können und damit erst
einen sinnvollen Mehrwegkreislauf möglich
machen. Nur die Etiketten müssen immer
gewechselt werden, hier nehmen die Alsfel-
der schlichtes mattes, nicht mit Aluminium
beschichtetes Papier, das sich später besser
recyceln lässt, denn „man muss es schon
ehrlich meinen“, schließt der Getränkepro-
duzent.
Vision von Backwaren-App
zum Vorbestellen
Die Lebensmittelindustrie gilt als defen-
sive Branche, die relativ schwach auf kon-
junkturelle Schwankungen reagiert. Das
bestätigte sich ganz deutlich im Krisenjahr
2009:
Während das verarbeitende Gewerbe
in Hessen ein Umsatzminus von 13 Prozent
verbuchte, konnte die Ernährungsindustrie
laut aktuellen „Branchenprofil Ernährungs-
industrie“ der Hessen Agentur „sogar ein
geringfügiges Plus von 0,5 Prozent ver-
zeichnen“. Offenbar gelte immer noch das
alte Motto: „Essen und Trinken hat immer
Konjunktur“. Indes: Dem Marktwachstum
der Ernährungsindustrie in Deutschland
sind enge Grenzen gesetzt, denn die Märkte
sind gesättigt, schreibt der Themenreport
„
Die Ernährungsindustrie“ der Gesellschaft
für Wirtschaftliche Strukturforschung, gws.
Im Wettbewerb würden deshalb Produkt-
oder Prozessinnovationen strategisch immer
bedeutsamer. Und das muss nicht unbedingt
ein millionenschweres Projekt wie in Hun-
gen sein. „Hauptsache ist doch die Idee, die
Vision, die man hat“, sagt Günter Mack,
Bäckermeister aus Butzbach. Vor 20 Jahren
noch betrieb er eine Dorfbäckerei in Nieder-
Weisel, heute leitet er einen Betrieb mit 140
Mitarbeitern, zehn Verkaufsstellen und zwei
Cafés mit „Drive In“ zum Verkauf von Brot
und Backwaren.
Elf Uhr vormittags im Café Mack im
Butzbacher Gewerbegebiet Ost, 60 bis 70
Gäste im Gastraum, nur noch wenige Plätze
sind frei. Großeltern spendieren ihren
Enkeln ein Frühstück im Café, eine Gruppe
Rentner hat beim Bäcker einen „Stammtisch
9.30
Uhr“, ein junger Mann checkt bei frei-
em WLAN-Zugang seine Mails. Fünf Bedie-
nungen haben alle Hände voll zu tun, selten
steht weniger als ein halbes Dutzend Kun-
den an der Verkaufstheke. „Das ist immer
so“, erzählt Mack. Seine Vision entstand um
1995
herum, als ihm klar wurde: „Die Lage
im Wohngebiet ist nicht mehr zukunftsfä-
hig für eine Bäckerei.“ Wie werde denn
heute eingekauft? Lebensmittelhandel,
Getränkemarkt, Baumarkt, Discounter –
„
alle kommen mit dem Auto“, und so setzte
Mack 2008 seinen neuen Betrieb mit Groß-
bäckerei und Gastraum mitten dazu. Ein
helles Café mit hoher Holzdecke und Glas-
wänden, außen grün bepflanzt. Und, was
vor sechs Jahren völlig neu war: der Brot-
kauf als „Drive In“, wie bei den Fastfood-
Restaurants in der Nähe, aber hier heißt das
„
Mack-Drive“. Genutzt wird es von jedem,
dem es zu umständlich ist, für den Brotkauf
auszusteigen: Eine Mutter fährt vor, die
Kinder auf dem Rücksitz; ein Geschäftsrei-
sender telefoniert, während er das Wechsel-
geld entgegen nimmt; eilige Handwerker
lassen sich belegte Brötchen in den Werk-
stattwagen reichen.
"
Tradition" - Die Alsfelder Brauerei gibt es
seit über 150 Jahren (1).
Neben Bieren werden auch alkoholfreie
Getränke hergestellt und abgefüllt (2).
Geschäftsführer Dieter Resch setzt bei der
Produktion auf regionale Rohstoffe (3).