WIRTSCHAFTSMAGAZIN · 3/2014
22
WIRTSCHAFT UND POLITIK
Ehegattensplitting
Der ungerechte Klapperstorch?
I
st die Geburtenrate in einer
Gegend davon abhängig, wie
viele Klapperstörche es dort
gibt? Und ist die massenhafte
Aufzucht von Klapperstörchen
vielleicht sogar geeigneter, die
Realisierung von Kinderwün-
schen zu fördern als das Ehegat-
tensplitting?
Auf eine solche Schnapsidee
könnte kommen, wer das Fazit
des Wirtschaftsforschungsinsti-
tut Prognos zur Wirkung des
Ehegattensplittings auf die
Geburtenrate in Deutschland
liest. Unter der Überschrift
„
Ehegattensplitting hilft fast
nicht“ stellt Prognos laut FAZ
vom 3. Februar 2014 fest: „Das
Ehegattensplitting hat kaum
Einfluss auf die Realisierung
vorhandener Kinderwünsche.“
War es Ende der 50er Jahre
ein Anliegen des Gesetzgebers,
mit Hilfe des Ehegattensplittings
die Geburtenrate in Deutschland
zu erhöhen? Nein, aber offen-
sichtlich scheinen das weder die
Gutachter von Prognos noch
deren Auftraggeber zu wissen,
sonst hätten sie nicht eine derar-
tige Kausalität überprüft. Was
führte zum Ehegattensplitting in
seiner heutigen Form?
Bis 1957 wurden die Ein-
künfte von Eheleuten durch
Zusammenveranlagung kumu-
liert der Einkommensteuer
unterworfen. Das Bundesverfas-
sungsgericht entschied dann,
dass eine solche Regelung Ehe-
leute benachteilige. Der pro-
gressive Steuertarif sei auf die
Individualbesteuerung eines
Steuerpflichtigen als Einzelper-
son angelegt. Bei der Kumulati-
on von Einkommen der Eheleu-
te ergebe sich eine steuererhö-
hende Wirkung, die sich gegen
die eheliche Gemeinschaft rich-
te. Diese steuerliche Benachtei-
ligung laufe darauf hinaus,
nichteheliche Gemeinschaften
zu begünstigen, was mit Artikel
6,
Absatz 1 Grundgesetz nicht
vereinbar sei.
Vergleicht man zum Beispiel
einen Junggesellen mit einem
Jahreseinkommen von 50 000
Euro mit demselben Einkommen
eines Ehepaares, dann ist offen-
sichtlich, dass das Ehepaar
weniger leistungsfähig ist. So
haben Verheiratete Verpflich-
tungen übernommen, die der
Alleinstehende oder der in einer
losen Beziehung Lebende nicht
zu tragen braucht: Zu denken
wäre an den familienrechtlichen
Zugewinnausgleich oder den
Ehegattenunterhalt, der die Ehe-
partner zum Beispiel im Fall der
Arbeitslosigkeit eines Partners
verpflichtet, sich gegenseitig
finanziell zu unterstützen.
Eine Abschaffung des Ehe-
gattensplitting würde vor allem
kleinen und mittleren Einkom-
mensbeziehern schaden, wie
Bundesverfassungsrichter a. D.
Paul Kirchhof 2002 hervorhob:
„
Das Splittingverfahren vermei-
det insbesondere, dass Eheleute
mit mittlerem und kleinem Ein-
kommen gegenüber Eheleuten
mit hohem Einkommen benach-
teiligt werden, die durch ver-
tragliche Aufteilung ihres
Gesamteinkommens die Steuer-
progression mit dem gleichen
Effekt wie beim Ehegattensplit-
ting senken könnten, was für
die Masse der Arbeitnehmer
nicht möglich sei.“
Das Ehegattensplitting hatte
somit nie die Funktion, den Kin-
dernachwuchs zu erhöhen. Es
leistet vielmehr einen unver-
zichtbaren Beitrag zu mehr
Steuergerechtigkeit.
■
Foto: I. Jakob-Diedolph
Foto: © stefankr77 - Fotolia.com