7. Rechtsstandort und Rechtssicherheit
- 7.1 Wettbewerbsrecht: Marktwirtschaft stärken, Fairness fördern, Vergaberecht vereinfachen
- 7.2 Wirtschaftsrecht: Regulierung zielorientiert und verhältnismäßig einsetzen
- 7.3 Sicherheit in der Wirtschaft: Mehr Rechtssicherheit statt Kriminalisierung der Wirtschaft
- 7.4 Datenschutz: Umsetzung vereinfachen, Durchsetzung vereinheitlichen
- 7.5 Kollektive Rechtsdurchsetzung: Strategische Klagen limitieren und Prozessfinanzierung regulieren
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7.1 Wettbewerbsrecht:
Marktwirtschaft stärken, Fairness fördern, Vergaberecht vereinfachen
Im Zentrum jeder marktwirtschaftlichen Ordnung stehen Rahmenbedingungen, die einen fairen Wettbewerb aller Marktakteure sicherstellen. Denn faire Wettbewerbsbedingungen ermöglichen es den Unternehmen, durch Investitionen und Innovationen von Produkten und Prozessen am Markt erfolgreich zu sein. Unternehmen sollten rechtssicher beurteilen können, was sie im Wettbewerb tun dürfen und was nicht. Es gilt den Wettbewerb zu stärken und Verzerrungen zu verhindern. Dafür ist das Wettbewerbsrecht der Rahmen.
Für fairen Wettbewerb ist zudem eine effektive Rechtsdurchsetzung notwendig. Die gut funktionierende zivilrechtliche Durchsetzung auch von Verbraucherschutzgesetzen, soweit neben den Wettbewerbern auch Verbraucher geschützt werden, darf nicht durch die Einführung einer behördlichen Rechtsdurchsetzung gefährdet werden.
Auch bei öffentlichen Aufträgen ist Wettbewerb wichtig – dieser sollte durch ein einfacheres Vergaberecht sichergestellt werden.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen:
- Einhaltung des Wettbewerbs- und Kartellrechts
- Gleichbehandlung privater und öffentlicher Unternehmen bei der Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen sowohl aus steuerlicher als auch wettbewerbsrechtliche Sicht
- Öffentliches Auftragswesen schlank und bieterfreundlich gestalten:
- bundesweite Vereinheitlichung der Vergabeverfahren durch ersatzlose Aufhebung landesrechtlicher Regelungen (u.a. Thüringer Vergabegesetz)
- Stärkung des Wettbewerbs durch ein bundesweites, verpflichtendes Veröffentlichungsmedium für öffentliche Aufträge – auch unterhalb der EU-Schwelle
- Verzicht auf Sonderregelungen und vergabefremde Kriterien (z.B. soziale und ökologische Kriterien, vergabespezifischer Mindestlohn)
- Stärkung der Kundenkompetenz statt Überregulierung und Einschränkung von Werbeaussagen
- Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch bundeseinheitliche Regelungen zur Ausnahme vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Erweiterung der Ausnahmetatbestände bei berechtigtem Interesse
7.2 Wirtschaftsrecht:
Regulierung zielorientiert und verhältnismäßig einsetzen
Unternehmen brauchen einen klaren, eindeutigen Rechtsrahmen, in dem sie agieren können. Das ist eine grundlegende Voraussetzung jeder marktlichen Ordnung. Unscharfe Regulierungen etwa durch Gesetze, die rechtsunsichere Begriffe verwenden, verunsichern Unternehmen und führen bei diesen zu vermeidbarem, teilweise erheblichem Beratungsaufwand. Das gilt für die nationale Ebene ebenso wie für die europäische. Die EU sollte sich auf eine klare und eindeutige Rechtssprache fokussieren. Nur so kann ein Wirtschaftsumfeld geschaffen werden, in dem sich die Betriebe wieder verstärkt auf die Umsetzung und Weiterentwicklung ihrer Unternehmensziele fokussieren können. Europäischer und nationale Gesetzgeber sollten bei jedem Gesetzgebungsprozess prüfen, ob Gesetze und Verordnungen überhaupt erforderlich sind, ob die vorgesehenen Regelungen geeignet sind und ob die Maßnahmen in Bezug auf die ausgelösten Belastungen der Unternehmen (und Bürger) verhältnismäßig sind. Der Fokus sollte darauf liegen, unnötige bürokratische Belastungen zu vermeiden und den Wettbewerb nicht zu behindern.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen
- Ausweitung von Auskunfts-, Informations-, und Dokumentationspflichten kritisch hinterfragen und auf ein Mindestmaß zurückführen; Eingriffsbefugnisse überprüfen; Aufwand-Nutzen-Relation und Verhältnismäßigkeit dabei stets im Blick behalten
- Europäisches Wirtschaftsgesetzbuch nur mit dem Ziel der Reduzierung der Komplexität des Wirtschaftsrechts
- Stärken Deutschlands als Gerichtsstandort, auch für außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren, durch Angebote des Schiedsgerichtshofs bei der DIHK
- Flexibilität bei internationaler Vertragsgestaltung erhöhen
- Gewerbefreiheit stärken
- Widersprüche zwischen Rechtsgebieten ausräumen, z.B. Anerkennung von Personengesellschaften auch im Gewerberecht
- Verantwortliche Unternehmensführung im Sinne einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung rechtlich erleichtern
- Die digitale Unternehmensgründung zur attraktiven Option ausgestalten
- Registermodernisierung unternehmensnah und unbürokratisch vorantreiben
- Europäische Gesellschaft für KMU zur Erhöhung der Akzeptanz und Attraktivität im europäischen Binnenmarkt einführen
- Produkthaftungsrecht mit Augenmaß modernisieren
- Sichern der gesetzlichen Interessenvertretung der Wirtschaft unter Mitwirkung der Unternehmen in unabhängigen Selbstverwaltungen – Ablehnung jeder Art der Fachaufsicht
7.3 Sicherheit in der Wirtschaft:
Mehr Rechtssicherheit statt Kriminalisierung der Wirtschaft
Für die deutsche Wirtschaft ist es wichtig, auf rechtssichere Rahmenbedingungen vertrauen zu können. Gleichzeitig erwarten Unternehmen angemessenen Schutz vor kriminellen und auch nachrichtendienstlichen Aktivitäten. Sie sind bereit, den Staat zu unterstützen, z. B. bei der Geldwäscheprävention, wollen dabei aber nicht unangemessen belastet und selbst kriminalisiert werden.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen
- Bewusstsein für Sicherheitsrisiken stärken
- Geldwäschevorschriften risikoangemessen straffen
- Gewerbliche Schutzrechte wirksam durchsetzen
- Rechtssicherheit für Compliance schaffen
- Kein Unternehmensstrafrecht schaffen, aber Compliance berücksichtigen
7.4 Datenschutz:
Umsetzung vereinfachen, Durchsetzung vereinheitlichen
Die EU strebt an, mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) weltweites Vorbild für ein fortschrittliches Datenschutzrecht und ein entsprechend hohes Datenschutzniveau zu sein. Bei der Umsetzung der ambitionierten Vorgaben stoßen jedoch viele Unternehmen an ihre Grenzen. Die von der EU bewusst als Kompromiss eingeführte Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen führt in der Praxis zu Verunsicherung. Die Rechtsunsicherheiten bremsen die Unternehmen dabei aus, neue Geschäftsmodelle und Innovationen weiterzuverfolgen. Datenschutzrechtliche Regelungen sollten daher übersichtlich, verständlich, transparent und systematisch verfasst sein.
Die global vernetzten Wirtschaftsbeziehungen sind für Unternehmen in Deutschland und Europa von fundamentaler Bedeutung. Dafür ist der internationale Datentransfer essenziell. Aber nur für wenige Drittstaaten gibt es Angemessenheitsbeschlüsse der EU. In allen anderen Fällen sollen die Unternehmen das Datenschutzniveau in einem Drittland selbständig beurteilen – was häufig nicht möglich ist.
Bei der Entwicklung des Datenschutzrechts innerhalb Europas und auf internationaler Ebene sollten daher Praktikabilität und Umsetzbarkeit der Datenschutzbestimmungen im Fokus stehen. Dazu gehört auch, dass Forschung und Entwicklung als Grundlage unternehmerischer Entscheidungen nicht durch einen fehlverstandenen Datenschutz ausgebremst werden. Das durch die DSGVO angestrebte Ziel einer Harmonisierung und Rechtsvereinheitlichung sollte zudem stringenter verfolgt werden. Unklarheiten zwischen neuen Regulierungen in der Datenökonomie und der DSGVO sollten ausgeräumt werden, damit Europa einen Spitzenplatz bei den Zukunftsthemen KI und Datenökonomie einnehmen kann.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen
- Balance zwischen dem erforderlichen Schutzniveau und der Förderung von datenbasierten Innovationen und Technologien finden
- Dokumentations-, Informations- und Nachweispflichten, insbesondere für KMU erleichtern
- Rechtssicherheit und Klarheit unmittelbar in der DSGVO schaffen statt in langwierigen behördlichen und gerichtlichen Verfahren
- Internationale Datenschutzvereinbarungen vorantreiben, schneller über Datenschutzniveau in Drittstaaten informieren und Angemessenheitsbeschlüsse bearbeiten
- Harmonisierung stringenter verfolgen
- künftige E-Privacy-VO praxisnah und kohärent zur DSGVO ausgestalten
- Datenschutz und Datenökonomie in Einklang bringen
7.5 Kollektive Rechtsdurchsetzung:
Strategische Klagen limitieren und Prozessfinanzierung regulieren
Kollektive Klageinstrumente halten Einzug in vielen europäischen Rechtsordnungen. Dabei finden die Interessen und Risiken für die Unternehmen im Einzelnen und die Wirtschaft im Ganzen nur noch selten Gehör, obwohl diese Instrumente erhebliche Gefahren und Missbrauchspotenziale bergen. Als Beschleuniger wirkt v. a. die Möglichkeit, Klagen durch Prozessfinanzierer fremdfinanzieren zu lassen. Transparenzpflichten fehlen, ebenso Vorgaben für die Mittelherkunft selbst oder die Einflussmöglichkeiten des Investors. Damit wird die prozessuale Gleichheit der Parteien („equality of arms”) stark in Frage gestellt. Bislang agieren Prozessfinanzierer und finanzierte Streitparteien in einem nahezu gänzlich unregulierten Feld.
Eine eigenständige Kategorie bilden strategische Klagen, die – nicht selten auch in Teilen staatlich finanzierten – NGOs vornehmlich zur Durchsetzung politischer Ziele dienen. Breite Bekanntheit haben zuletzt Klimaklagen erreicht, vom Bundesverfassungsgericht über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bis hin zu dutzenden Verfahren allein in Deutschland, weltweit handelt es sich um mehrere hundert Klagen. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, die erforderlichen politischen Abwägungen vorzunehmen.
Folgende Leitlinien sollten das wirtschaftspolitische Handeln bestimmen
- Nachbesserungsbedarf bei der Verbandsklagerichtlinie und dem deutschen Umsetzungsgesetz
- Keine Prozessfinanzierung im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes
- Chancengleichheit als Regulierungsmaxime in der Prozessfinanzierung
- Standards für Prozessfinanzierung festsetzen