INTERVIEW MIT MARIO FRANKE

Toleranz, Wertschätzung und Digitalisierung

Als Unternehmer, er ist Geschäftsführer der Pößnecker Electrotechnical Solutions GmbH, liegen Mario Franke die jungen Menschen in der Region besonders am Herzen. Er investiert viel, um sie für technische Berufe zu begeistern und wurde dafür 2020 auch mit dem bundesweit ausgeschriebenen IHK-Bildungspreis ausgezeichnet. Als Vorsitzender des IHK-Ausschusses Bildung und Fachkräfte setzt er sich dafür ein, dass es in Ostthüringen attraktive Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten gibt.

Die Verfügbarkeit von Fachkräften und das Qualifikationsniveau von Schulabgängern gehören zu den am schlechtesten bewerteten Standortfaktoren in Ostthüringen. Welche Impulse müssen Unternehmen und Politik setzen, um erfolgreich entgegenzuwirken?

Zwei Aspekte halte ich für wesentlich. Zum einen muss viel mehr in Digitalisierung und Automatisierung investiert werden – sowohl in der Produktion als auch bei Handel, Gastronomie oder Dienstleistungen steht Deutschland hinter anderen europäischen Ländern deutlich zurück. Wir müssen sehr viel offener sein für neue Technologien. Viele einfache Prozesse, für die uns bereits jetzt die Arbeitskräfte fehlen, könnten längst digitalisiert sein. In meinem eigenen Unternehmen habe ich beispielsweise in Automatisierung investiert, um nicht mehr besetzbare Stellen auszugleichen. Digitalisierte Bestell- und Bezahlprozesse, wie ich sie im Ausland kennengelernt habe, wären auch für unsere Gastronomen und Händler eine Möglichkeit, Fachkräftemangel zu kompensieren. 
Ein weiterer Aspekt ist eine stärker auf das spätere Berufsleben orientierte, zeitgemäße Schulbildung. Hier können auch wir Unternehmer gemeinsam mit engagierten Lehrern einen wichtigen Beitrag leisten. Dass Schulen eine zeitgemäße technische und personelle Ausstattung erhalten, ist Aufgabe des Staates. Es müssten auch viel mehr Praktika und Möglichkeiten angeboten werden, damit Schüler sich in verschiedenen Berufsfeldern ausprobieren können und am Ende der Schulzeit wissen, in welchem Beruf sie arbeiten wollen. Da finde ich beispielsweise die Angebote des IHK-Schülercolleges eine tolle Sache. Mein Unternehmen bietet seit Jahren eine „Robotik AG“ an. An sieben Tagen, meist samstags kommen Schüler ins Unternehmen und arbeiten an einem gemeinsamen Projekt, lernen so am konkreten Beispiel, Schulwissen in der Praxis anzuwenden und zu erweitern. 
Offenheit und Toleranz: Jeder soll eine Chance bekommen. Für diese Werte stehen wir.

Welche Faktoren beeinflussen die Berufswahl von Jugendlichen – Wie wird eine Ausbildung in einem Unternehmen interessant für sie?

Jugendliche wollen ernst genommen werden. Authentisch und offen zu sein – damit habe ich die besten Erfahrungen gemacht. Dazu gehört Ehrlichkeit. Keine polierten Werbeaussagen, sondern „reiner Wein“ zu Anforderungen und Alltag in den angebotenen Ausbildungsberufen. Realistische Einblicke ins Unternehmen gehören ebenso dazu, wie der direkte Kontakt. Ich investiere viel Geld und Personalkapazität in Berufsorientierungsangebote, ob nun im IHK-Schülercollege, auf Bildungsmessen oder im Direktkontakt mit den Schulen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dieses Geld ist besser angelegt, als in teuren Werbeanzeigen. Natürlich achten die jungen Leute auch darauf, wie authentisch der künftige Chef agiert, ob er hinter seinen Aussagen, hinter seinen Mitarbeitern steht. Achtung, Anerkennung, Wertschätzung sind wichtig, jenseits von Schulnoten, Herkunft oder anderen Faktoren. Ein: „Mit den Schulnoten kannst Du bei mir nur das oder das tun“, geht heute gar nicht mehr. Viel wichtiger ist, Chancen und Perspektiven zu zeigen. Deshalb finde ich auch die aktuelle Ausbildungskampagne der IHK so gut: Sie ist eine lebendige und nachvollziehbare Werbung für Ausbildung. Sie lässt die Jugendlichen zu Wort kommen. Gleichzeitig wirbt sie für Offenheit und Toleranz. Jeder soll eine Chance bekommen. Für diese Werte stehen wir auch.

Nicht nur Ausbildungsplätze, sondern auch Stellen für Mitarbeiter mit entsprechender beruflicher Qualifizierung bleiben immer öfter unbesetzt. Ist gezielte Zuwanderung von Fachkräften und Azubis aus dem Ausland eine Lösung?

Für mich ist das eindeutig ein Teil der Lösung. Wir sollten uns als international agierender Wirtschaftsstandort deutlich mehr öffnen. Ich habe schon junge Menschen aus Afghanistan, Syrien, Marokko und Holland ausgebildet. Gerade erwarte ich einen Azubi aus Usbekistan. Meine Erfahrungen sich durchaus positiv, auch wenn nicht alle im Unternehmen geblieben sind. Wir, und damit meine ich Deutschland, müssen jedoch deutlich an unserer Willkommenskultur arbeiten. Die Bestimmungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes bauen zu große Hürden auf, die deutsche Behördenbürokratie ist ebenso ein Hindernis wie die eng ausgelegten Anforderungen an Deutschkenntnisse. Das lässt viele Firmen zögern und kommt auch bei den ausländischen Interessenten nicht gut an. 
Parallel müssen wir jedoch auch an anderen Stellen aktiver werden. Die Fachkräftelücke ist ein Problem mit Ansage und bei manchen Firmen auch hausgemacht. Es ist wichtig, sich auf die veränderten Anforderungen in der Ausbildung einzustellen, auch wenn das für Ausbildungsunternehmen anstrengender und aufwändiger ist. Andererseits gibt es sehr viele erwerbsfähige Menschen, die nicht arbeiten. Für die muss es Wege zurück ins Berufsleben geben, zum Beispiel durch gezielte, auf den Job zugeschnittene Qualifizierungen. Diese Angebote müssen deutlich ausgebaut und vor allem intensiver genutzt werden. Wir brauchen aber nicht unbedingt nur mehr Menschen, sondern müssen auch mehr in Technologien investieren. Digitalisierung und Automatisierung ist ein Weg, um den Ausfall von Arbeitskräften, zum Beispiel im Niedriglohnbereich, zu kompensieren.

Nicht nur Fachkräfte zu gewinnen, sondern sie im Unternehmen auch zu halten, wird angesichts des dynamischen Arbeitsmarktes immer schwerer – gerade für die kleinen Unternehmen, die oft zwar fachlich top sind, aber nicht die finanziellen Ressourcen haben, wie die großen. Wie stellen Sie sich dieser Herausforderung?

Als echtes Familienunternehmen haben wir nicht nur kurze Entscheidungswege und flache Hierarchien, sondern setzen auch auf ein familiäres Betriebsklima. Mir ist es wichtig, die Menschen mitzunehmen. So informieren wir über eine MitarbeiterApp regelmäßig über aktuelle Entwicklungen und Entscheidungen im Unternehmen, stellen neue Mitarbeiter vor. Auch Flexibilität, zum Beispiel bei Arbeitszeiten, Wertschätzung, Anerkennung und Toleranz im Umgang miteinander sind wichtige Aspekte, damit die Mitarbeiter gern auf Arbeit kommen.
 
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