Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Digitale Barrierefreiheit als Chance nutzen

Barrierefreiheit im digitalen Raum gewinnt immer mehr an Bedeutung – nicht nur gesellschaftlich, sondern auch gesetzlich. Im Sommer tritt das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft, das Unternehmen verpflichtet, ihre digitalen Angebote bis zum 28. Juni 2025 barrierefrei zu gestalten.

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Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Praxisnahe Tipps zur Umsetzung
23. April 2025 | 10:00 bis 12:00 Uhr | IHK Fulda

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Warum digitale Barrierefreiheit unerlässlich ist

Barrierefreiheit im digitalen Raum gewinnt immer mehr an Bedeutung. Neben dem gesellschaftlichen Aspekt, Menschen mit Einschränkungen eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, kommen immer strengere gesetzliche Anforderungen hinzu. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) stellt Unternehmen vor die Aufgabe, ihre digitalen Angebote bis spätestens 28. Juni 2025 barrierefrei zu gestalten.
Dieser Beitrag konzentriert sich auf Webseiten, obwohl das BFSG auch andere digitale Produkte wie Geldautomaten, Kassenterminals, Smartphones, Softwareanwendungen, E-Books oder Apps betrifft.
Hauptziel des Gesetzes ist es, allen Menschen eine selbstbestimmte Nutzung digitaler Dienste zu ermöglichen. Insbesondere Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen profitieren von der verbesserten Barrierefreiheit.

Wer muss sich an die neuen Regeln halten?

Das Gesetz betrifft Websites von Unternehmen, die Dienstleistungen oder Waren an Verbraucher anbieten. Damit die Regelungen greifen, müssen zwei Kriterien erfüllt sein: Erstens muss sich die Website (auch) an Privatkunden richten (B2C). Zweitens muss sie entweder einen Vertragsabschluss oder zumindest eine Geschäftsanbahnung ermöglichen.
Die Abgrenzung zwischen geschäftsmäßigen (B2B) und verbraucherorientierten (B2C) Webseiten ist dabei - ähnlich wie bei Fragen des Fernabsatzrechts - nicht immer eindeutig. Betroffen sind beispielsweise Online-Buchungssysteme für Arzttermine, Anmeldeformulare für Mitgliedschaften, Ticketreservierungen, Rechtsberatungsplattformen oder Bewerberportale.

Kleine Unternehmen - gibt es Sonderregelungen?

Nicht alle Unternehmen sind gleich betroffen. Kleine Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens 2 Millionen Euro sind vom BFSG ausgenommen.
Beide Kriterien müssen jedoch zeitgleich erfüllt sein. Ein Unternehmen mit nur 5 Mitarbeitern, aber einem Umsatz von 3 Millionen Euro unterliegt dennoch den Anforderungen des Gesetzes.

Mögliche Sanktionen bei Verstößen

Wer gegen die Vorschriften verstößt, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Das Gesetz sieht Geldbußen von bis zu 100.000 Euro vor (§ 37 BFSG). Darüber hinaus haben die Behörden theoretisch die Möglichkeit, Auflagen zu erteilen oder in schweren Fällen die betroffenen Webseiten zu sperren. In der Praxis sind solche Maßnahmen jedoch selten.
Viel relevanter ist die Frage, ob Verstöße als unlauterer Wettbewerb angesehen werden und damit zu Abmahnungen oder Schadensersatzforderungen führen können. Auch wenn das Gesetz hierzu keine eindeutige Regelung enthält, ist davon auszugehen, dass diese Frage in Zukunft vor Gericht geklärt wird. Erste Urteile zu ähnlichen Fragen deuten darauf hin, dass die Gerichte solche Verstöße als wettbewerbswidrig einstufen könnten.

Die vier Prinzipien der Barrierefreiheit und ihre praktische Umsetzung

Die Umsetzung barrierefreier Websites wirkt auf den ersten Blick komplex, lässt sich jedoch mit einem strukturierten Vorgehen effizient realisieren. Die vier Prinzipien der Barrierefreiheit - Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit - bilden dabei die Grundlage.

Wahrnehmbarkeit: Inhalte für alle zugänglich machen

Webseiten müssen so gestaltet sein, dass Inhalte von allen Nutzerinnen und Nutzern erfasst werden können. Dazu zählen beispielsweise Alternativtexte für Bilder, die von Screenreadern ausgelesen werden können.
Ein Beispiel: Eine Unternehmenswebsite stellt Teamfotos vor. Ohne Alternativtext bleibt dieser Bereich für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen unverständlich. Ein passender Alternativtext wie "Teammitglied Lisa Müller am Schreibtisch mit Laptop und Notizbuch" ermöglicht eine barrierefreie Wahrnehmung.

Bedienbarkeit: Einfache und gut bedienbare Navigation

Eine klare Struktur und Navigation erleichtert die Orientierung auf einer Website. Dazu gehört, dass alle Inhalte auch ohne Maus zugänglich sind, etwa durch eine logische Reihenfolge und eine sichtbare Hervorhebung der fokussierten Elemente.
Ein Beispiel: Auf einer Informationsseite für Veranstaltungen sind die Anmeldeformulare nicht per Tastatur erreichbar. Nutzer mit motorischen Einschränkungen haben dadurch Schwierigkeiten, auf die Formulare zuzugreifen. Durch die Anpassung der Navigationselemente wird sichergestellt, dass alle Nutzer die Seite problemlos bedienen und die Formulare ausfüllen können.

Verständlichkeit: Verständliche Sprache und intuitive Inhalte

Komplexe Texte und Fachbegriffe erschweren das Verständnis für viele Menschen. Leichte Sprache und kurze Sätze helfen, Inhalte für alle verständlich zu machen.
Ein Beispiel: Eine Website zu Online-Datenschutzrichtlinien verwendet Begriffe wie "Datenminimierung". Durch eine Erklärung wie "Wir speichern nur die Daten, die unbedingt nötig sind" wird der Inhalt verständlicher.

Robustheit: Technische Kompatibilität sicherstellen

Websites sollten mit gängigen Hilfsmitteln wie Screenreadern und Sprachsteuerungen kompatibel sein. Die Einhaltung technischer Standards wie der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) ist hier entscheidend.
Ein Beispiel: Eine Beratungsseite verwendet interaktive Formulare. Werden diese nicht semantisch korrekt ausgezeichnet, können sie von assistiven Technologien nicht interpretiert werden. Dadurch erhält der Benutzer keine Hilfestellung, was er eintragen muss. Eine saubere Programmierung gewährleistet die Nutzung durch alle Besucher.
Bei Formularen kommen alle vier Prinzipien zum Einsatz:
Wahrnehmbarkeit: Die Hervorhebung durch eine rote Umrandung kann von Menschen mit bestimmten Seheinschränkungen nicht wahrgenommen werden. Dadurch bemerkt der Benutzer nicht, dass ein Fehler vorliegt.
Lösung: Eine textliche Fehlermeldung sollte ergänzt werden.
Bedienbarkeit und Verständlichkeit: Die Beschriftungen der Felder sind nicht mehr sichtbar, wenn etwas eingetragen wurde. Falls es zu einem Fehler kommt, weiß der Benutzer womöglich nicht mehr, was er eintragen sollte.
Lösung: Die Beschriftungen und alle weiteren Informationen sollten immer sichtbar und leicht verständlich sein.
Robustheit: Die Auszeichnung durch ein * macht ein Feld aus technischer Sicht nicht zu einem Pflichtfeld. Auch Hilfstechnologien müssen erkennen, dass diese Felder ausgefüllt werden müssen.
Lösung: Eine saubere Programmierung gewährleistet die Nutzung durch alle Besucher.

Fazit: Barrierefreiheit als Chance begreifen

Die barrierefreie Gestaltung von Websites ist mehr als eine gesetzliche Verpflichtung. Sie verbessert die Nutzerfreundlichkeit für alle Besucher und kann die Reichweite und Auffindbarkeit im Netz erhöhen. Unternehmen, die frühzeitig handeln, profitieren langfristig von einem positiven Image und einer größeren Zielgruppe.
Von Sonja Neidhardt (Geschäftsführerin der compositum Multimedia-Agentur GmbH, Elise Roth (UX-Designerin) und Dr. Martin Bahr (Rechtsanwalt)