„Wir brauchen eine neue Balance“

Noch näher dran an den Mitgliedsunternehmen: Die Vollversammlung der IHK Südlicher Oberrhein tagte Anfang Dezember bei der Volksbank Lahr. Aus Stuttgart war Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, die Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden-Württemberg, mit einem breiten Themenspektrum angereist. Die politische Vertreterin forderte einen klaren politischen Kurs in Berlin und plädierte für mehr Eigenverantwortung der wirtschaftlichen Akteure.
Der Präsident der IHK Südlicher Oberrhein, Eberhard Liebherr, begrüßte Hoffmeister-Kraut im Wertehaus der Volksbank Lahr. „Wir können Ihnen ganz direkt sagen, was uns bedrückt und bewegt“, nahm Liebherr Bezug auf die Biografie der Ministerin. Hoffmeister-Kraut ist politische Quereinsteigerin und übernimmt als Gesellschafterin des Balinger Familienunternehmens Bizerba auch Verantwortung für rund 4.500 Beschäftigte. Daher weiß sie, welche Rahmenbedingungen mittelständische Betriebe für eine gesunde Entwicklung benötigen. Und diese Rahmenbedingungen sind derzeit alles andere als optimal: Fachkräftemangel, hohe Bürokratie- und Energiekosten, globale Konflikte, konjunkturell bedingte Auftragsrückgänge in vielen Branchen. All das sorgt für eine gedämpfte Stimmung in zahlreichen Betrieben. Das hatte unter anderem die jüngste Konjunkturumfrage der IHK Südlicher Oberrhein gezeigt.
„Viele Menschen im Ausland haben großes Vertrauen in die deutsche Wirtschaft und Politik.“
Auf das schwierige Umfeld wies auch die Ministerin hin. „Die Lage und die Stimmung in der Industrie sind schwierig, wir werden dieses Jahr in eine Rezession gehen, und für 2024 und 2025 sind die Aussichten überschaubar.“ Um hier gegenzusteuern, sei ein klarer politischer Kurs essenziell, damit verunsicherte wirtschaftliche Akteure wieder mehr Planungssicherheit und damit Perspektiven bekämen. Hoffmeister-Kraut schickte deutliche Worte in Richtung Berlin: „Wir haben keine Zeit für unterschiedliche Interessen einzelner Akteure auf Bundesebene, die den Blick für das große Ganze leider verloren haben.“ Einen verfassungswidrigen Haushalt aufzustellen, sei „ein Erdrutsch“. Globale Handelspartner blickten mit Sorge nach Deutschland. „Viele Menschen im Ausland haben großes Vertrauen in die deutsche Wirtschaft und Politik. Es besteht die Chance, dass dieses Vertrauen aufrechterhalten werden kann. Doch dafür müssen schnelle Entscheidungen getroffen und klare Linien vorgegeben werden.“ Die Uhr ticke. „Wir erleben schon jetzt bei vielen Unternehmen, dass sie im Ausland investieren, weil sie die Rahmenbedingungen hierzulande nicht mehr abschätzen können. Wenn unsere Hidden Champions, die Baden-Württemberg einzigartig machen, ihre Schwerpunkte verlagern, wird das den Standort Deutschland insgesamt schwächen. Es steht also viel auf dem Spiel.“
Für mehr Planungssicherheit sorge auch der Abbau unnötiger Bürokratie. „Der Druck ist groß, wir müssen das einfordern: schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren. Wir sollten wieder mehr auf die Eigenverantwortung der Menschen vertrauen und brauchen eine neue Balance“. Zu diesem Thema hatte auch der Landrat des Ortenaukreises, Frank Scherer, etwas beizutragen. Er war während der Rede der Ministerin in Lahr anwesend. „Ich habe in Baden-Württemberg bisher zwei Bürokratieabbauphasen erlebt, jedes Mal mit einem Ergebnis gleich null“, sagte er. „Die größte Bürokratie geht nicht von Gesetzen aus, sondern vor allem von den Verwaltungsvorschriften in den Ressorts. Das lähmt uns.“ Scherer sieht hier nur die Möglichkeit, zahlreiche Vorschriften ganz aus- und abzusetzen und nur noch die zu nutzen, die die Verwaltung zum Arbeiten selbst benötigt. Auch Hoffmeister-Kraut erkennt die Chance, beim Bürokratieabbau tatsächlich etwas zu erreichen. „Denn wir haben gar nicht mehr die Menschen, um all diese Vorschriften umzusetzen und zu kontrollieren.“
„Das wird Investitionen verhindern.“
Auch das Thema Mehrwertsteuer-Erhöhung in der Gastronomiebranche kam zur Sprache. Jörg Dattler vom Schlossbergrestaurant Dattler in Freiburg, der nicht nur im Tourismusausschuss der IHK, sondern auch im Branchenverband Dehoga aktiv ist, sieht in der geplanten Rückkehr zur 19-Prozent-Regelung einen massiven Dämpfer für eine der Leitbranchen im Südwesten. „Das wird Investitionen verhindern, die Wirtschaftsleistung bei den Zulieferern wird einen Dämpfer erhalten genauso wie die Auftragsvergabe an das Handwerk.“ Während der Corona-Pandemie war der Steuersatz auf Speisen in der Gastronomie von 19 auf sieben Prozent gesenkt worden, um in der angespannten Zeit eine Insolvenzwelle in der Branche zu verhindern. Die Industrie- und Handelskammern im Land und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) hatten sich für eine Beibehaltung der Sieben-Prozent-Regelung stark gemacht, weil viele Betriebe noch nicht über den Berg sind. So befürchtet der Dehoga, dass allein in Baden-Württemberg etwa 2.000 Betriebe auf der Kippe stehen, wenn die 19 Prozent ab 2024 wieder gelten. Hoffmeister-Kraut versprach, das Thema nach Stuttgart mitzunehmen. Entschieden wird über die Anhebung des Steuersatzes zwar im Bundestag, das Land kann über den Bundesrat allerdings Einfluss darauf nehmen. In der Länderkammer hatte sich zuletzt Bayern für die Beibehaltung der Sieben-Prozent-Regelung ausgesprochen.
(5.12.2023)