„Großes Gemisch an Unsicherheiten“

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hat den Rückwärtsgang eingelegt. Das bescheinigt auch die aktuelle Konjunkturumfrage der IHK Südlicher Oberrhein zum Herbst 2023. Fehlende Aufträge waren lange kein Thema, doch jetzt zeigt sich in einigen Betrieben bereits eine mangelnde Auslastung. Das Problem fehlender Fachkräfte wird damit aber nur zeitweise abgeschwächt. Und: Das Thema Wirtschaftspolitik als Entwicklungsrisiko für die Unternehmen gewinnt wieder an Bedeutung.
„Wir erleben konjunkturell eine sehr unruhige Zeit. Es folgt Krise auf Krise. Erst Corona, gefolgt von Lieferengpässen, dann der Krieg in der Ukraine“, sagte Eberhard Liebherr, Präsident der IHK Südlicher Oberrhein, bei der Pressekonferenz im Konferenzsaal des Hotels Stadt Freiburg. „Jetzt sehen wir aktuell große Probleme beim Auftragseingang, vor allem in der Bauwirtschaft, aber auch in der Industrie. Damit noch nicht genug: Begleitet werden diese Krisen noch immer vom alles überlagernden Thema Fachkräftemangel.“
„Die Zeit des Verteilens ist vorbei.“
Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen Deutschland derzeit steht, richtete Liebherr auch einen Appell an die politischen Entscheidungsträger. „Die Zeit des Verteilens ist vorbei, es muss wieder ein stärkerer Fokus auf das Erwirtschaften gelegt werden.“ Bürokratieabbau sei das Gebot der Stunde.
Das sehen auch die Unternehmen am südlichen Oberrhein so, wie die aktuelle IHK-Konjunkturumfrage zeigt. Gefragt nach den größten Risikofaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung, kommt das Thema Wirtschaftspolitik zurück auf die Agenda. Mit 28 Prozent geben wieder deutlich mehr Unternehmen an, in ihr ein Risiko zu sehen. Zuletzt lag dieser Wert nur bei 17 Prozent. Erklärungen dafür dürfte es viele geben: die Energiepolitik, die geplante Erhöhung der LKW-Maut oder die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie dürften bei vielen Unternehmen nur geringe Popularität genießen.
Insgesamt spiegelt die Herbst-Umfrage der IHK mit Blick auf die kommenden zwölf Monate eine eher verhaltene Stimmung der Unternehmen wider, die Geschäftserwartungen gehen deutlich zurück. Der entsprechende Index fällt von zwei Punkten auf minus 19 Punkte. Nur noch 14 Prozent der Unternehmen blicken optimistisch auf die kommenden Monate, 34 Prozent hingegen rechnen nicht damit, dass es in naher Zukunft aufwärts geht. Nur zweimal verzeichnete der Index der Geschäftserwartungen in den vergangenen zehn Jahren einen niedrigeren Stand: Im Herbst 2022 und im Sommer 2020 nach Beginn der Covid-19-Pandemie. „Es herrscht eine breite Verunsicherung bei den Unternehmen, und das über alle Branchen hinweg“, sagte Alwin Wagner, der Stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK, bei der Vorstellung der Zahlen.
Auffällig ist, dass diesmal auch der Index der erwarteten Beschäftigung diesem Trend folgt. Er fällt von drei auf minus elf Punkte. Elf Prozent der Unternehmen planen mehr Einstellungen, 22 Prozent gehen eher von Stellenabbau aus. Die schwache konjunkturelle Entwicklung könnte also durchaus Effekte auf den hiesigen Arbeitsmarkt haben, auch wenn der demografisch bedingte Fachkräftemangel wohl einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern wird. Wagner: „Wir bewegen uns weiterhin nahe an der Vollbeschäftigung, doch die Unternehmen bereiten sich auf den konjunkturellen Abschwung vor.“ Manche Betriebe stecken aufgrund mangelnder Auslastung bereits in Kurzarbeit, andere bauen Überstunden ab.
Das sorgt zumindest kurzfristig für etwas Entlastung beim Thema Fachkräftemangel. Die jährliche Sonderbefragung zur Verfügbarkeit von Fachkräften zeigt: Mit 39 Prozent geben so viele Betriebe wie seit vier Jahren nicht mehr an, gar keinen Personalbedarf zu haben. Entsprechend sind diese kurzfristig auch nicht vom Fachkräftemangel betroffen. Nur 46 Prozent geben noch an, offene Stellen derzeit nicht besetzen zu können. Im Herbst 2022 waren es noch 69 Prozent. Hier schlägt sich also die aktuelle konjunkturelle Schwächephase nieder. Für die kommenden Jahre ist jedoch damit zu rechnen, dass das Thema im Zuge einer konjunkturellen Erholung wieder deutlich stärker in den Fokus rückt.
„Unternehmen verschieben Investitionsentscheidungen oder heben sie ganz auf.“
Ein weiterer Indikator, der die aktuell gedämpfte Stimmung anzeigt, ist der IHK-Konjunkturklimaindex. Die Angaben zur aktuellen Geschäftslage und den zukünftigen Geschäftserwartungen werden zum IHK-Konjunkturklimaindex kombiniert. Dieser Index kann Werte zwischen 0 und 200 annehmen, wobei Werte über 100 Wirtschaftswachstum anzeigen und Werte unter 100 auf eine Rezession hindeuten. Er fällt auf 97 Punkte und signalisiert somit erstmals wieder eine negative konjunkturelle Entwicklung. Dies ist insofern beachtenswert, da er in den vergangenen 15 Jahren zuvor lediglich dreimal die Marke von 100 Punkten unterschritten hat: im Zuge der globalen Finanzkrise 2008/2009, zu Beginn der Covid-19-Pandemie und im vergangenen Herbst als Folge der Sorgen um die Sicherheit der Energieversorgung.
Ein ähnliches Muster wie der Konjunkturklimaindex zeigt auch der Index der Inlandsinvestitionen. Diese werden vor allem getätigt, wenn die Unternehmen davon überzeugt sind, dass sich ihre Geschäfte positiv entwickeln werden. Entsprechend deutet hier der Index erstmals wieder auf eine restriktivere Investitionspolitik hin. Er fällt von 8 auf minus sechs Punkte. Ähnlich wie beim Konjunkturklimaindex ist es erst die vierte Phase in 15 Jahren, in der er die Nulllinie unterschreitet. „Unternehmen verschieben Investitionsentscheidungen oder heben sie ganz auf“, sagte Wagner. Die Gründe hierfür sind ganz unterschiedlich: Kaufzurückhaltung, fehlende Auftragseingänge, bürokratische Lasten, aber auch der Fachkräftemangel. „Es ist ein großes Gemisch an Unsicherheiten.“
Mit Blick auf die unterschiedlichen Branchen zeigt sich: Die goldenen Zeiten in der Bauwirtschaft scheinen am Oberrhein vorerst ihr Ende gefunden zu haben. Über viele Jahre wurden immer wieder neue Höchstwerte der Geschäftslage vermeldet. Mit der Erhöhung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank scheint aber das Ende dieser Hochkonjunkturphase eingeläutet worden zu sein. Nur noch knapp über dem Strich befindet sich der Index der Geschäftslage. Gerade einmal sieben Punkte beträgt sein aktueller Stand, nachdem es zum Jahresbeginn 2021 noch 71 Punkte waren. Ein ähnliches Bild in der Industrie: Hier fällt der Index der Geschäftserwartungen von minus zwei auf minus 25 Punkte und damit so tief wie zuletzt in der globalen Finanzkrise. Nur noch 15 Prozent der Industrieunternehmen sehen positiv in die Zukunft, 40 Prozent rechnen mit einer Verschlechterung der Geschäfte in den kommenden zwölf Monaten.
„Es gibt Menschen, die beim Einkaufen eben auf jeden Cent achten müssen.“
Dass dies auch an der Logistikbranche, die in allen Produktions- und Lieferketten eine zentrale Rolle spielt, nicht unbeschadet vorbei geht, ist klar. Auch hier sinken die Geschäftserwartungen mit Blick auf die kommenden Monate deutlich, wie Karlhubert Dischinger, Geschäftsführer des Logistikdienstleisters Karldischinger in Ehrenkirchen, bestätigen kann. „Die Auslastung im Stückgutbereich bei den LKW ist um mehr als 13 Prozent zurückgegangen“, beschrieb der Unternehmer. „Die Rückmeldung von sinkenden Auslastungen bekomme ich von vielen Unternehmen aus dem Logistikbereich.“
Dischinger bereiten nicht nur die deutlich gestiegenen Kosten für Fahrzeuge, Wartung und Treibstoff Sorgen, sondern auch die Erhöhung der deutschen LKW-Maut. Sie steigt zum 1. Dezember von 19 Cent je Kilometer auf dann 34,8 Cent (LKW mit Euro-6-Norm im Fernverkehr). Bei Karldischinger seien davon rund 100 Fahrzeuge betroffen, für jeden LKW steigen die jährlichen Maut-Kosten durchschnittlich um 22.500 Euro. „Diese gestiegenen Mautsätze werden bei jedem Endprodukt erst mal nur ein paar Cent ausmachen. Aber es gibt Menschen, die beim Einkaufen eben auf jeden Cent achten müssen.“ Insgesamt bedeutet die Mauterhöhung jährliche prognostizierte Mehreinnahmen für den Staat in Höhe von 7,62 Milliarden Euro. Dischinger: „Wenn dieses Geld in den Ausbau der Bahnstrecken fließt, hat niemand aus der Logistikbranche ein Problem damit, aber wir alle wissen, wie langsam solche Projekte in Deutschland vorankommen.“
(20.10.2023)