Defense: Eine Zeitenwende für die Industrie

Die sicherheitspolitische Lage hat sich in den vergangenen Jahren, Monaten und Wochen dramatisch verändert. Was das für die hiesige Wirtschaft bedeutet, wurde auf einem Treffen in Düsseldorf diskutiert – als Auftakt einer künftigen Reihe.
Von Daniel Boss
Auch Rüstungsindustrie ist Industrie.“ Dieser Satz, ausgesprochen von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Rahmen eines kurzen Grußworts, fasst die Stimmung der Veranstaltung in Düsseldorf sehr gut zusammen. Das Treffen im Februar 2025 steht stellvertretend für die oft zitierte „Zeitenwende“ – nicht nur in verteidigungspolitischer, sondern auch in wirtschaftlicher beziehungsweise wirtschaftspolitischer Hinsicht.
„Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bedeutet eine Zäsur für die europäische Friedensordnung“, so Neubaur. „Er zeigt, wie wichtig es ist, unsere Demokratie und unsere Freiheit aktiv zu verteidigen. Dazu gehört auch die Einbindung der in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie tätigen Hersteller wichtiger Hightech-Produkte in die nationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik.“ Es gehe nicht etwa darum „bellizistisch unterwegs“ zu sein. Aber: „Die Welt hat sich verändert – und wir müssen darauf reagieren. Es braucht neue Lösungen, strategische Partnerschaften und eine enge Zusammenarbeit auf nationaler und europäischer Ebene.“ Anders ausgedrückt: Ein deutlich verstärktes Engagement aller Akteure im Bereich Defense müsse ein Stückweit zur neuen Realität werden. Die (spezialisierte) Wirtschaft – auch und gerade in NRW – habe dabei eine Hauptrolle inne.
Das wurde auf der mehrstündigen Netzwerkveranstaltung unter dem Titel „High-Tech aus NRW für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ überdeutlich. Eingeladen hatte der Landescluster NanoMikroWerkstoffePhotonik.NRW (NMWP.NRW) in Kooperation mit AeroSpace.NRW, automotiveland.nrw und Kunststoffland NRW sowie NRW.Global Business. Zielgruppe waren viele wichtige Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik. Das Interesse war enorm: „Wir sind überrannt worden“, sagte NMWP-Geschäftsführer Dr. Harald Cremer. Binnen vier Tagen war die Veranstaltung ausgebucht. Viele Interessierte ließen sich auf die lange Warteliste setzen. Und das – wohlgemerkt – noch Wochen vor der Münchner Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance, die in Europa Erschütterungen ausgelöst hat.
Rapide technische Entwicklungen
Letztlich waren im großen Saal des Düsseldorfer Innovations- und Technologiezentrums DITEC, dem Sitz des Landesclusters, alle Plätze besetzt. Mehr als einhundert Teilnehmer waren gekommen, um sich über die Sicht aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf die aktuellen Entwicklungen zu informieren und in den Austausch zu treten. „Das Thema Defense ist für zahlreiche Unternehmen in NRW hochrelevant“, so Cremer.
Laut Landescluster kommen Schlüsseltechnologien wie etwa Nano- und Mikrosystemtechnik, innovativen Werkstoffen sowie den entsprechenden Anwendungsfeldern nicht nur im zivilen Bereich eine entscheidende Rolle zu. Auch im Sicherheits- und Verteidigungsbereich könnten sie einen entscheidenden Beitrag leisten.
Auch die Industrie- und Handelskammern messen dem Thema eine besondere Bedeutung bei und stehen den Unternehmen beratend zur Seite. Insbesondere ist es den Kammern wichtig, die Vielschichtigkeit von Sicherheit hervorzuheben: Es geht nicht nur darum, industrielle Impulse und Chancen aufzuzeigen, sondern auch, die Wichtigkeit etwa für die IT von Unternehmen oder die generelle Logistik in den Fokus zu setzen.
Unternehmen in NRW stellen Bandbreite vor
Daher handelte es sich nicht etwa um eine Fachtagung im engeren Sinn, die Laien kaum Mehrwert gebracht hätte. Vielmehr wurde „das große Ganze“ in den Blick genommen und es wurden konkrete Beispiele aus dem gesamten Bundesland vorgestellt. Neben einem Blick auf die aktuellen Herausforderungen für die Finanz- und Industriepolitik durch Prof. Dr. Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln – Stichwort: Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf drei oder mehr Prozent des Bruttoinlandsprodukts – und einem Überblick über Förderung von „Defence Innovationen“ am Beispiel des Europäischen Verteidigungsfonds, erlebten die Gäste kurze „Unternehmenspitches“.
Die Bandbreite auf dem Podium reichten vom Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall bis zum Aachener Start-up Fibrecoat. Ebenfalls dabei waren Howmet Tital (Bestwig), KNDS (Mülheim a. d. Ruhr und Remscheid) sowie die Luft- und Raumfahrt-Spezialisten Heggemann (Büren) und Otto Fuchs (Meinerzhagen). Cremer: „Nordrhein-Westfalen ist als Hightechund Materialstandort wichtig für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie – und im Ländervergleich in der Spitzengruppe.“
Julian Stolzenbach (Rheinmetall) hob ein laufendes Großprojekt in Weeze hervor: Hier will die Rheinmetall AviationServicesGmbHbaldmitderProduktion von Rumpfmittelteilen für das Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeug F-35 beginnen. Dabei handelt es sich um eine Kooperation mit den USA-Herstellern Northrop Grumman und Lockheed Martin. Stolzenbach sprach von einem „enormen Quantensprung für Deutschland und Europa“. Und: Man sei aktiv auf der Suche nach Zulieferern.
Potenzial für Start-ups
Das Potenzial für Start-ups im DefenseBereich repräsentierte Dr. Robert Brüll von Fibrecoat: Als Spin-off der RWTH Aachen 2020 entstanden, hat sich das junge Unternehmen auf Hochleistungswerkstoffe spezialisiert, die beispielsweise als sogenannte EMI-Abschirmung (Electromagnetic Interference; elektromagnetische Störungen) dienen. Mit den Metallfasern können unter anderem Drohnen, Hangars und Krankenhäuser vor störenden elektromagnetischen Signalen geschützt werden. Hauptprodukt des Start-ups sind aktuell Täuschkörper, die aus Flugzeugen ausgestoßen werden, um angreifende Lenkwaffen auf sich selbst zu ziehen und so das ursprüngliche Ziel zu schützen.
Das Treffen sei als Auftakt zu verstehen, betonten die Veranstalter. Weitere Angebote dieser Art, die der Informationsvermittlung und dem Austausch dienen, sollen folgen. Cremer: „Es freut uns, dass NMWP.NRW vom NRW-Wirtschaftsministerium damit beauftragt wurde, Aktivitäten im Bereich der Schlüsseltechnologien mit Bezug zur Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu initiieren und eine koordinierende Rolle einzunehmen.“