Darmstädter Dialoge für besseres Wirtschaften

Faire Lieferketten in Zeiten der Globalisierung

Protektionismus, Pandemien oder geopolitische Konflikte stellen den Welthandel vor große Herausforderungen. Doch die Vorteile der Globalisierung überwiegen nach wie vor deutlich, da waren sich Vertreter aus Wirtschaft und Politik bei den „Darmstädter Dialogen für besseres Wirtschaften“ am 7. März in der IHK Darmstadt einig. Doch: Von diesen Vorteilen profitieren nicht alle im gleichen Maße. Ist ein Lieferkettengesetz ein geeignetes Mittel, um im Sinne der globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen mehr Verantwortung in den Welthandel zu tragen? Zu dieser Frage gingen die Meinungen der Podiumsdiskutanten zum Teil auseinander.

Pressemitteilung vom 11. März 2024

„Globalisierung eröffnet Geschäftsmöglichkeiten, schafft Arbeitsplätze und trägt zur Entwicklung neuer, umweltfreundlicherer Technologien bei. Durch die Globalisierung hat der Wohlstand in der Welt zugenommen und haben sich die Lebensstandards insgesamt verbessert“, sagte Matthias Martiné, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Darmstadt Rhein Main Neckar zur Begrüßung der Darmstädter Dialoge für besseres Wirtschaften, die in diesem Jahr den Welthandel in den Fokus stellten. Die Welt profitiere von der Globalisierung, so der IHK-Präsident. Zur Wahrheit gehöre auch: Nicht alle profitierten im gleichen Maße.
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© IHK Darmstadt
Lange lag der Fokus der Weltwirtschaft auf Effizienz. Doch einschneidende Ereignisse wie Corona und der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine haben die Abhängigkeiten deutlich gemacht, die durch die Globalisierung entstanden sind. Lieferketten zu diversifizieren und resilienter zu gestalten, steht nun im Vordergrund. Protektionismus und geopolitische Konflikte erschweren diese Bestrebungen und belasten international agierende Unternehmen. „Die Spielregeln für den Welthandel sind im Wandel“, fuhr Martiné fort. Laut der bundesweiten „Going International“-Umfrage der IHK-Organisation sehen sich 56 Prozent der Unternehmen mit neuen Hürden konfrontiert. Das sei der höchste Wert seit 18 Jahren. Deutsche Unternehmen, so der IHK-Präsident, sind auf den Weltmärkten zuhause. Es gehöre daher zu den drängendsten Aufgaben der Bundesregierung, für gute Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, damit Unternehmen sich international behaupten könnten. Immer neue Regulierungen setzten Betriebe zusätzlich unter Druck. So benachteilige das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, wie es in Deutschland vor einem Jahr eingeführt wurde, den Mittelstand erheblich. „Wir befürchten, dass sich deutsche Unternehmen in der Konsequenz aus dem Geschäft mit und in Schwellen- und Entwicklungsländern zurückziehen werden“, sagte Martiné. Das würde die deutsche Wirtschaft und die Wirtschaft in den betroffenen Ländern schwächen, ohne dass damit den Menschen und der Umwelt geholfen wäre.

Trotz Schwankungen: Globaler Handel gewinnt weiter an Bedeutung

Die Bedeutung der Globalisierung für Wohlstand und Wirtschaftswachstum verdeutlichte Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Holger Görg in seiner Keynote anhand wirtschaftlicher Kennzahlen. Trotz kleinerer Schwankungen zeige der Welthandel weiterhin starken Zuwachs, sagte der Professor für Außenwirtschaft an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel und Leiter des Forschungsbereichs „Internationaler Handel und Investitionen“ am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Die Vorteile der Globalisierung belegte er auch an der langfristigen Armutsentwicklung weltweit: 1870 hätten noch etwa 95 Prozent der Menschen in Armut gelebt. Mittlerweile seien es trotz eines rasanten Wachstums der Weltbevölkerung nur noch rund 15 Prozent. Als größte Gefahr für den freien Welthandel sieht Görg eine Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident. Trump sei politisch unberechenbar – und Unsicherheit sei für Unternehmen und Investitionen der größte Hemmschuh.

Lippmann: Gesetzliche Regelungen müssen für Unternehmen handhabbar sein

In der anschließenden Podiumsdiskussion betonte der Hauptgeschäftsführer der IHK Darmstadt, Robert Lippmann, dass die Unternehmen in Südhessen grundsätzlich die Prinzipien befürworten, die dem Lieferkettengesetz zugrunde liegen. Allerdings seien sowohl das deutsche Gesetz als auch der vorerst gescheiterte europäische Entwurf schlecht gemacht und bringe Rechtsunsicherheit und viel Bürokratie mit sich. Die Anforderungen, die nur für größere Unternehmen gelten sollen, würden von diesen nach unten durchgereicht und stellten gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor enorme Herausforderungen. „Die Betriebe sind im Kern für Handhabbarkeit“, sagte Lippmann und schlug unter anderem vor, die Fragebögen für die Unternehmen zu standardisieren und Lieferanten aus der Europäischen Union aus der Berichtspflicht herauszunehmen. Auch stellte der IHK-Hauptgeschäftsführer in Frage, ob die mit dem Gesetz erzielte Wirkung im angemessenen Verhältnis zu den Auswirkungen für die Wirtschaft stehe.
Der hessische Landtagsabgeordnete und europapolitische Sprecher der SPD, Stephan Grüger, bedauerte, dass es in der aktuellen Legislaturperiode des Europaparlaments mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu einer Verabschiedung eines europäischen Lieferkettengesetztes kommen werde. Ein solches Gesetz müsse jedoch in einen größeren Kontext von Regelungen eingebunden werden, um wirksam zu werden. Grügers Bedauern über das Scheitern einer Einigung teilte auch Michael Rudolph, Bezirksvorsitzender des DGB Hessen-Thüringen. Er kritisierte aber auch das Verhalten der Bundesregierung. Diese habe einen Kompromiss auf europäischer Ebene erst mit ausgehandelt und ihn dann abgelehnt. Das erschüttere das Vertrauen in die Politik.

Unternehmen engagieren sich aus eigenem Antrieb innerhalb ihres Einflussbereiches

Die IHK-Organisation kritisierte bereits vor Einführung des deutschen Lieferkettengesetzes, dass die Politik den Einflussbereich der Unternehmen deutlich überschätzt. Die Vollversammlung der IHK Darmstadt hatte sich bereits im Juni 2020 entsprechend positioniert. Christopher Haas, Geschäftsführer von Haas & Co. Magnettechnik in Wiesbaden, verwies darauf, dass sein Unternehmen beim Bezug von seltenen Erden trotz guter Beziehungen zu den Handelspartnern Menschenrechtsverletzungen nicht zu einhundert Prozent ausschließen könne. Beim direkten Lieferanten in China habe man auch als kleines Unternehmen mit 25 Mitarbeiter*innen einiges bewegen können. Beim weiteren Verlauf der vorgelagerten Lieferkette habe man keinen Einfluss mehr. Mit anderen Stoffen ersetzen könne man die für Magnettechnik benötigten seltenen Erden nicht, ihr Bezug sei für das Unternehmen aktuell alternativlos. Das habe man in einem Nachhaltigkeitsbericht transparent gemacht.
Ein leidenschaftliches Plädoyer für die Eigenverantwortung von Unternehmen bei der Gestaltung fairer Lieferketten kam von Dr. Sandra Wolf, der Geschäftsführerin des Premium-E-Bike-Herstellers Riese & Müller aus Mühltal bei Darmstadt. Auch wenn das Lieferkettengesetz oft als eine „riesiges Bürokratiemonster“ dargestellt werde, führe es zu etwas Besserem, ist Wolf überzeugt. Es wirke manchmal so, als wären die Unternehmen in diesem Kontext Opfer. So möchte Sie sich und ihr Unternehmen nicht verstanden wissen. Die Unternehmen stünden vielmehr bei den Themen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Menschenrechte besonders in der Verantwortung, sich zu engagieren und sich Schritt für Schritt systematisch zu verbessern. Sie sehe auch, dass man als Unternehmen Veränderungen bewirken könne.
Die gesamte Veranstaltung ist über folgenden Link als Videostream auf dem IHK-Youtube-Kanal zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=1FrSKBIoNIM
Patrick Körber
Geschäftsbereichsleiter, Pressesprecher
Bereich: Kommunikation und Marketing