Digitalisierung in der Aus- und Weiterbildung

Die virtuelle Welt vor Augen

Neue Lernmethoden durchdringen die Aus- und Weiterbildung. Beispiele aus Südhessen zeigen, wie Unternehmen davon profitieren – auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels.
Text: Matthias Voigt, März 2024
Lebenslanges Lernen ist längst kein pauschaler Begriff mehr, sondern für Arbeitgeber*innen wie Beschäftigte nötiger und nützlicher Alltag. Eine Schulung für die Anwendung von Führungskompetenzen für das mittlere Management? Anwendungsbeispiele, wie Arbeitnehmer*innen im Falle von Reklamationen vorgehen sollen? Derartige Inhalte wurden früher mit Schulungen in Präsenz vermittelt, bei Kaffee und Keksen. Das ging einher mit Fahrtkosten, vielleicht auch Ausgaben für eine Übernachtung. Doch dank digitaler Technik kann Lernen im Unternehmen heute viel einfacher ablaufen – und ist dabei weder an Zeit noch an Raum gebunden.

Kinderleicht zu bedienen – kein Schnickschnack

Plattformen, auf denen die produzierten Inhalte von den Usern abgespielt werden können, sind sogenannte Lern-Management- Systeme (LMS). Allein im deutschsprachigen Markt gibt es geschätzt über 100 davon. Doch keines, das so einfach ist wie eines aus Darmstadt. Davon jedenfalls sind die Gründer von »blink.it«, Michael Witzke und Konstantin Ristl, überzeugt. Sie lernten sich an der TU Darmstadt während des Studiums kennen und gründeten »blink.it« im Jahr 2015. Anfangs produzierten sie Schulungsvideos für Trainer*innen in der Weiterbildung. Zum Service gehörte auch, dass sie die Inhalte auf Plattformen ausspielten. »Da merkten sie, dass es einen Markt für Schulungs- und Lernplattformen gibt, denn die vorhandenen Tools und Angebote waren nicht wirklich gut oder es gab Probleme mit dem Datenschutz«, sagt Hans-Martin Sprungk, der vor sechs Jahren bei »blink.it« anfing und mittlerweile zusammen mit Michael Witzke die Geschäftsführung innehat.
Die Idee war: »Wir wollten ein Lern-Management-System, das kinderleicht zu bedienen, optisch modern und vielfältig ist«, erinnert sich Sprungk. Im engen Austausch mit Kunden und ihren Bedürfnissen bauten die Unternehmer ein LMS auf, das sich von anderen abheben soll – damals wie heute. »Wir liefern wesentliche Funktionen, keinen Schnickschnack«, bringt es der Geschäftsführer des Darmstädter Unternehmens, das mittlerweile knapp 20 Angestellte zählt, auf den Punkt. »blink.it« ist sich treu geblieben und bietet einfache Strukturen an, die jeder verstehen und bedienen kann. »Wir haben ein Tool, das viel kann und den Nutzer nicht verwirrt«, sagt Hans-Martin Sprungk. An die 1.000 Kunden zählt das Unternehmen mittlerweile, mehr als 26.000 Kurse wurden bisher erstellt und über die Plattform ausgespielt, über 270.000 Nutzer sind es derzeit weltweit, die mehr als 9,2 Millionen Lerneinheiten absolviert haben.
Wir haben ein Tool, das viel kann und den Nutzer nicht verwirrt.

Hans-Martin Sprungk

  
Hans-Martin Sprungk
Hans-Martin Sprungk, Geschäftsführer von blink.it © blink.it
Zu den Kunden gehören zum einen selbstständige Trainer, Berater und Coaches. Oft sind es Einzelkämpfer, die selbst Weiterbildung anbieten, häufig geht es um Themen wie Soft Skills, Kommunikation oder Führung. Hinzu kommen Personalentwicklungsabteilungen der Unternehmen und große Bildungsanbieter, die »blink.it« nutzen. Und drittens klassische Unternehmen, die die Plattform für die interne Weiter bildung einsetzen, etwa zur Datenschutzschulung.
Der Clou der Plattform: Es regiert das Häppchen-Prinzip. Themen werden in einzelne, gut verdauliche Einheiten aufgeteilt. Das kann ein kurzes Lehrvideo sein, ein Foto, ein Quiz oder ein Textbaustein. Der Inhalteanbieter kann selbst beim Bauen eines Kurses die Häppchen erstellen, je nachdem, was er seinen Nutzern abverlangen will. Er entscheidet auch, wann und in welcher Frequenz die Trainingsinhalte freigeschaltet werden. Diese Portionierungstaktik gab dem Unternehmen seinen Namen. Denn das englische »blink« heißt auf Deutsch blinzeln. »In the blink of an eye, so kurz sollen die Lerninhalte sein«, veranschaulicht Sprungk. Das steigere nachweislich die Motivation der Lernenden. So nutze eine Fluggesellschaft zum Beispiel die Plattform, um Mitarbeiter*innen im Vertrieb zu schulen, wie eine Turbine funktioniert.
»Die Digitalisierung in der Aus- und Weiterbildung schreitet voran. Vor 15 Jahren war fast noch nichts digital, aber durch Corona hat es einen starken Schub gegeben«, sagt der Geschäftsführer. Er vermutet, dass die Schulungen in Zukunft wohl nicht so ablaufen werden wie heute, sondern noch mehr Inhalte mit KI-Unterstützung erstellt werden.
Ein Eindruck, der sich auch mit Zahlen belegen lässt. Nach einer bundesweiten Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Ende 2023, an der sich mehr als 4.000 Unternehmen beteiligt haben, schätzen drei von vier Unternehmen ihren Digitalisierungsstand als positiv ein. Sie versprechen sich vor allem Flexibilisierung der Arbeit, Qualitätsverbesserung und Kosteneinsparungen durch Digitalisierung. Langfristige Entwicklungen und Innovationen sind jedoch weniger im Fokus.
Digitalisierung versus Künstliche Intelligenz
Die Kennzeichen der Digitalisierung sind die Virtualisierung und Vernetzung der realen Welt, das Teilen von Daten sowie die plattformbasierte Organisation von Wertschöpfungsketten. Das Besondere daran ist, dass Daten und Datenmodelle keinem physischen Verschleiß unterliegen und deshalb von mehreren Akteuren gleichzeitig und mehrfach genutzt werden können. Dies eröffnet zugleich eine hohe Skalierungsfähigkeit von Geschäftsmodellen und deren Organisation über Plattformen. Auf Basis der Digitalisierung entwickelt sich die künstliche Intelligenz (KI). Ihre fortschreitende Einführung in Unternehmen wird den allermeisten Prognosen zufolge einen deutlich tiefgreifenderen Wandel bewirken, mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt. Der Befürchtung, dass bestimmte Tätigkeiten künftig nicht mehr von Menschen erledigt werden und damit Arbeitsplätze wegfallen, weil KI-gestützte Systeme bestimmte Aufgaben besser, effizienter und damit kostengünstiger erledigen können, steht die Hoffnung gegenüber, dass neue Tätigkeitsfelder, Kooperationsformen und damit eine neue Qualität von Arbeit entstehen werden. Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren. KI-Systeme sind in der Lage, ihr Handeln anzupassen, indem sie die Folgen früherer Aktionen analysieren und autonom arbeiten.
Trotzdem werden Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz (KI) als vielversprechend angesehen. Der Anteil der Unternehmen, die KI oder Machine Learning einsetzen, hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, auf nunmehr 26,8 Prozent. Ein weiteres Drittel plant den Einsatz von KI für die Zukunft. Trotz des Potenzials der Digitalisierung bleibt der Transformationsprozess für Unternehmen ein Kraftakt. Zeit-, Komplexitäts- und Kostengründe nennen die Unternehmen als Faktoren, warum sie noch nicht weiter vorangeschritten sind auf dem digitalen Weg.
»Der Mensch lernt am besten, wenn er etwas in der Praxis macht.«

Oliver Göck

Oliver Göck, Geschäftsführer von 3spin Learning
Oliver Göck, Geschäftsführer von 3spin Learning © 3spin Learning
Als Vertreter der nächsten Generation des E-Learnings sieht sich das Darmstädter Unternehmen 3spin Learning. Bei seinen Lerneinheiten werden Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) eingesetzt. »Mit der Technologie haben wir uns schon im Jahr 2015 stark beschäftigt«, sagt Oliver Göck, der zusammen mit Thomas Hoger das Unternehmen leitet. Im Jahr darauf wurden erstmals Piloten bei Lufthansa Aviation Training damit geschult und das ganze Vorhaben wurde wissenschaftlich begleitet.
Nach dem Projekt stand für Göck und Hoger fest, dass diese Technologie das Lernen für immer verändern wird. »Die Performancezuwächse durch das VR-Training waren riesig«, erinnert sich Göck. Seitdem beschäftigt sich 3spin Learning damit, die VR- und AR-Technologie in der Aus- und Weiterbildung produktiv nutzbar zu machen und großflächiger auszurollen. Im Zentrum steht digitales Lernen von praktischen Lerneinheiten. »Wir wollen die Art und Weise, wie Menschen lernen, verändern: praktisch, sicher, überall auf der Welt und zu geringen Kosten«, gibt Göck als Ziel aus. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen knapp 20 Angestellte, von denen die meisten an der Hochschule Darmstadt und der Technischen Universität Darmstadt studiert haben.

Mit wenigen Klicks zum fertigen Lerninhalt

Die Grundidee lautet: Lernen funktioniert viel besser, wenn Inhalte nicht stumpf abgelesen, sondern praktisch erfahren werden. Sind sie auf diese Weise gelernt worden, bleiben sie auch länger haften. »Der Mensch lernt am besten, wenn er etwas in der Praxis macht«, sagt Göck. Also wird die Plattform von 3spin Learning etwa dafür eingesetzt, dass Unternehmen darauf ihre Angestellten schulen, wie Autos beim Verladen für den Transport hinreichend gesichert werden. Per Augmented Reality ahmen die Nutzer die Bewegungen mit ihren Händen nach und prägen sie sich so ein – ohne auch nur in der Nähe eines realen Autos zu stehen. Aber nicht nur bei manuellen Tätigkeiten, sondern auch bei der Verbesserung von Soft Skills wird die Plattform von 3spin Learning erfolgreich eingesetzt.
»Das Besondere an unserer Plattform ist, dass die Lerninhalte nicht mehr manuell programmiert werden müssen. Mit wenigen Klicks kann jeder VR/AR-Lerninhalte erstellen«, erklärt der Geschäftsführer. Der Kunde kann dadurch selbst entscheiden, ob er die Inhaltserstellung selbst übernimmt, eine Agentur beauftragt oder 3spin Learning damit betraut. Klassische Schulungsinhalte bietet das Unternehmen fertig vorliegend auch über seine Plattform an. Der Vorteil, VR und AR einzusetzen, liegt dabei auf der Hand: Schulungen etwa zu gefährlichen Substanzen können für Gefahrenquellen sensibilisieren, ohne ihnen tatsächlich ausgesetzt zu sein.
Ohne Zweifel sind die Tüftler aus Darmstadt Profiteure der Digitalisierung. Zum einen befördert KI die Nutzung von Extended Reality (XR), was der Übergriff für sogenannte immersive (»eintauchende«) Technologien wie Virtual und Augmented Reality ist, die die reale Welt mit virtuellen Elementen kombinieren. Zum anderen, weil Unternehmen stärker als früher die Lernerfolge von Schulungen messen. »Desto häufiger kommen sie auf uns zu, weil sie merken, dass die Lernerfolge deutlich höher sind.«
Noch ein weiterer Trend spielt 3spin Learning in die Karten: der Fachkräftemangel. Weil es weniger verfügbare Fachkräfte gibt, steigt die Bedeutung der eigenen Angestellten. »Deren Aus- und Weiterbildung ist für die meisten kleinen und mittleren Unternehmen die Lösung«, sagt Göck. Hinzu kommt, dass die Ausbilder*innen in Unternehmen, die meist im operativen Geschäft ob ihrer Qualifikation unverzichtbar sind, mehr Zeit für diese Aufgaben erhalten, wenn sie die Lerninhalte einmal erstellen und beliebig oft über die Plattform an die Nutzer ausspielen können. Und schließlich ist der Einsatz moderner Lernmittel Werbung für das eigene Unternehmen bei der jungen Generation. »Die achten immer stärker darauf«, ist sich Göck sicher.
Digitale Angebote der IHK Darmstadt
Die Prüfungsabwicklung der IHK Darmstadt wird kontinuierlich digitalisiert. Über das Ausbildungsstätten-Infocenter (ASTA) erfolgen bereits die digitale Vertragsein- und -austragung, die An- und Abmeldung von Ausbilder*innen sowie die Prüfungsanmeldung. Das Azubi-Infocenter ist für die Online-Einsicht von Prüfungsterminen und -ergebnissen, die Online-Prüfungsanmeldung sowie die Nutzung der digitalen AzubiCard verfügbar. Im September 2023 haben die ersten Azubis ihre Zwischenprüfungen digital abgelegt. Zusätzlich werden die Entschädigung und Berufung von Prüfer*innen vollständig digital abgewickelt.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit