Wirtschaftsstandort Südhessen

Blick nach vorn

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sind gewaltig. Doch sie dürfen nicht vergessen lassen: Südhessen ist ein Standort mit vielen Stärken, der sich in den vergangenen Jahren sehr gut und dynamisch entwickelt hat. 
Autorin: Veronika Heibing, 20. Mai 2020
Trotz weiterer Lockerungen bleibt die Lage der Unternehmen kritisch. Sie leiden unter einer gesunkenen Nachfrage und stornierten Aufträgen, müssen Investitionen zurückschrauben. Doch den Betrieb konnten viele endlich wieder aufnehmen, auch in Südhessen. „Die Auflagen zum Gesundheitsschutz bedeuten aber deutlich mehr Aufwand bei höheren Kosten und weniger Umsatz. Bestimmte Branchen wie das Gastgewerbe, die Touristik oder Teile des Einzelhandels werden noch eine ganze Weile mit der Situation zu kämpfen haben und brauchen besonders starke Nerven und Durchhaltevermögen“, sagt Dr. Uwe Vetterlein, Hauptgeschäftsführer der IHK Darmstadt.
Woraus wir Optimismus schöpfen können: „Südhessen hat sich in den vergangenen Jahren sehr gut und dynamisch entwickelt. Seine Stärken im Bereich Engineering, IT und Software sind Stärken, die wir wieder ausspielen können. Denn wenn Corona etwas vorangebracht hat, dann die schnelle Digitalisierung in vielen Bereichen“, betont Matthias Martiné, Präsident der IHK Darmstadt. Auch als Innovationsstandort habe die Region bei verschiedenen Studien immer wieder Spitzenplätze belegt. Und in vielen Fällen war sie vergleichsweise krisenresistent. „Als es beispielsweise in der Außenwirtschaft mehr und mehr auf Protektionismus hinauslief“, erklärt Uwe Vetterlein, „war unsere Industrie lange Zeit entspannter als in Hessen und Deutschland insgesamt. Denn ihre hoch innovativen Produkte von höchster Qualität sind bei anspruchsvollen Kunden weltweit gefragt.“

Innovationskraft und hoch qualifizierte Fachkräfte

Qualität „Made in Südhessen“ sei eine Stärke, auf die exportstarke Unternehmen langfristig weiter setzen könnten, auch wenn die Exporte in den vergangenen Wochen zurückgegangen seien. Neben der Innovationskraft ist der Zugang zu hoch qualifizierten Fachkräften eine Stärke der Region. Doch Krisen verstärken Trends. Durch die unsichere Lage drohen zahlreiche Ausbildungsplätze wegzufallen. „Das wird den Fachkräftemangel noch verstärken. Wer jetzt seine Ausbildungsplätze nicht besetzt, wird nach dem Wiederanlaufen der Wirtschaft Probleme haben, die passenden Leute zu finden“, betont Matthias Martiné.
Südhessen wird seine wichtigsten Stärken – Innovationskraft und Fachkräfte – mehr denn je pflegen müssen. „Damit ein Aufschwung in der Breite der Wirtschaft gelingen kann, brauchen wir Entscheidungen, die unnötige Bürokratie abbauen, Wettbewerbsfähigkeit stärken und Spielraum für öffentliche und private Investitionen schaffen. Neue Belastungen darf es in dieser fragilen Situation nicht geben“, fordert Uwe Vetterlein. „Wenngleich es in den kommenden Monaten noch viele Herausforderungen zu bewältigen gilt: Wie jede Krise birgt auch diese ihre Chancen. Das zeigen die vielen Beispiele von Unternehmer*innen, die in den vergangenen Wochen in enormer Geschwindigkeit ihre Geschäfts- und Arbeitsmodelle angepasst oder innoviert haben“, ergänzt Matthias Martiné. Ihm ist klar: „Für viele ist es gerade ein unglaublicher Kraftakt. Doch wir richten den Blick nach vorn, krempeln die Ärmel hoch, ergreifen mutig die Chancen, die sich uns bieten, und finden kreative Wege für neues Geschäft. Das ist es, was Unternehmergeist ausmacht.“

Jede Krise bietet auch neue Möglichkeiten

Wir haben Unternehmer gefragt: Was hat die aktuelle Situation hervorgebracht, was Sie sich für die Zeit nach Corona erhalten möchten?
Barbara Eichelmann, Geschäftsführerin be! unternehmerberatung:
Es ist erstaunlich, was in der Corona-Situation alles geht. Auch Dinge, die vorher unmöglich gewesen wären: Auf einmal kann Digitalisierung schnell und wirksam eingeführt werden. Seit März haben wir unsere Beratung zur Unternehmensentwicklung und Kunden-Workshops mithilfe diverser Video-Konferenzen durchgeführt. Dabei haben wir jeden Tag ein neues Tool ausprobiert und viel dazu gelernt. Im April wurde in unserer Unternehmensberatung eine Mitarbeiterin rein virtuell eingearbeitet – von Homeoffice zu Homeoffice. Und es ging! Dazu mussten wir sehr schnell Möbel heranschaffen und die digitale Infrastruktur entwickeln. Dank guter Vernetzung mit anderen Unternehmern in der Region (Stichwort „Heimat shoppen“) war die Umsetzung in wenigen Stunden möglich. Diese spürbare Innovationskraft und die kreative „Unternehmerlust“ möchte ich uns gern für die Zeit nach Corona erhalten.
Mehmet Kocagöl, Geschäftsführer Kocagöl & Schneider Bau:
Ich habe gesehen, wie wichtig belastbare internationale Lieferketten sind. Hier will ich zukünftig noch stärker als bisher Brückenbauer zwischen der Türkei und Deutschland sein. Das eröffnet auch der Kocagöl Group neue Marktchancen.
Rainer Fischer, Geschäftsführer Suckow & Fischer Systeme:
Wir haben erfahren, was es heißt, wenn plötzlich unsere Freiheitsrechte eingeschränkt sind. Zum Schutz der Menschen vor einer massiven Ausbreitung des Coronavirus wurden notwendigerweise Grundrechte entzogen. Plötzlich konnten wir nicht mehr uneingeschränkt Reisen, Leute treffen oder in Restaurants gehen. Trotz dieser Einschränkungen hat die Mehrheit unserer Bürger die politischen Maßnahmen unterstützt und mitgetragen. Wir haben unsere Freiheit wieder schätzen gelernt, die wir in Deutschland auf Basis unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung haben. Hinzu kommt auch die Erkenntnis, dass verantwortliches Handeln jedes Einzelnen diese Freiheit erst ermöglicht.
Volker Scheidler, Vorstand von acoris, geschäftsführender Gesellschafter von SAC sowie Vorstand des Vereins IT FOR WORK:
Schon vor Corona galt für uns der Leitspruch: „speed matters“. Nach diesem Motto haben wir innerhalb kürzester Zeit Workshops und Beratungsleistungen von Vor-Ort- auf Online-Durchführung umgestellt. Dafür haben wir auch unseren Konferenzraum mit zusätzlicher Technik aufgerüstet. Beim Durchführen der Online-Workshops mussten wir jedoch feststellen, dass es eine nicht zu unterschätzende Herausforderung ist, die Workshop-Teilnehmer remote über mehrere Stunden motiviert und beteiligt zu halten. Das erhaltene positive Feedback freut uns daher sehr. Wir werden das neue Format neben unseren Vor-Ort-Angeboten weiter beibehalten. Dies stärkt und komplettiert unser Leistungsangebot auch in Zukunft.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit