Interview

„Wir brauchen junge Menschen, die über den eigenen Tellerrand schauen“

Mit umfassenden Investitionen von einer Milliarde Euro bis 2025 will Merck seinen Standort und seine globale Konzernzentrale in Darmstadt stärken. Allein 70 Millionen davon fließen in ein neues Aus- und Weiterbildungszentrum. Dort sollen ab dem Jahr 2024 auf sieben Etagen und rund 14.000 Quadratmetern bis zu 600 Auszubildende auf ihr Berufsleben vorbereitet werden. Wir sprachen mit Standortleiter Matthias Bürk über den Wert der dualen Ausbildung und darüber, wie Unternehmen junge Talente für sich gewinnen können.
Autorin: Katharina Gröger, 22. Oktober 2021









IHK: Herr Bürk, rund 70 Millionen Euro ist Merck das neue Lernzentrum wert. Warum wird es gebaut und was zeichnet das Gebäude aus?
Matthias Bürk: Wir investieren in den Standort Darmstadt und unsere Mitarbeiter. Es sind die Menschen, die den Erfolg von Merck ausmachen. Unser neues Learning Center ist nicht nur ein Ort des Lernens – wir wollen damit ein optimales Umfeld für die Aus- und Weiterbildung schaffen. Die Ausbildung wird erstmals unter einem Dach vereint. Dadurch fördern wir die Begegnung und den Austausch – auch über scheinbare Grenzen unterschiedlicher Berufsgruppen hinweg. Das Gebäude selbst wird durch viel Glas sehr hell und transparent. Außerdem ist es als grünes Gebäude konzipiert. Wir setzen auf Geothermie, ergänzt durch Fotovoltaik, Luft-Wärme-Pumpen und einen Eisspeicher, eine Dachbegrünung sowie die Verwendung von ausgesuchten Baumaterialien. Und wir streben eine Zertifizierung durch die Gesellschaft für nachhaltiges Bauen an. Darmstadt ist unser „Standort der Zukunft“. Wir haben dabei verschiedene Dinge im Blick, wie den Wertbeitrag, den wir leisten, unseren Fokus auf Wissenschaft, Technologie und Digitalisierung, aber auch Themen wie Nachhaltigkeit oder innovative Arbeitswelten. Das Learning Center ist in gewisser Hinsicht ein Spiegel dieser Schwerpunktthemen.
IHK: Welche Ausbildungsbereiche genau vereinen sich ab 2024 unter einem Dach und warum ist es sinnvoll, sie alle an einem Campus zu unterrichten?
Matthias Bürk: Wir bilden in rund 25 Ausbildungsberufen aus, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich sind. Zwischen diesen Berufen wollen wir Brücken bauen. Sie verteilen sich auf das Laborumfeld, die technischen und die produktionstechnischen sowie die kaufmännischen Berufe und die dualen Studiengänge. Wir sind überzeugt, dass modernes Lernen durch einen hohen Kollaborationsgrad geprägt ist. Diese Möglichkeit wollen wir durch das Learning Center schaffen. Zahlreiche Mitarbeiter sind seit Jahren bei uns und haben in dieser Zeit durch berufliche Wechsel ihre Themenkompetenz erweitert. Bereits bei unseren Auszubildenden fördern wir die Neugier, wecken das Interesse an anderen Bereichen. Damit machen wir sie offen und bereit für ein breites Aufgabenfeld.
IHK: Die hohe Investitionssumme ist nicht nur ein weiteres Bekenntnis zu Ihrem Hauptstandort in Darmstadt, sondern auch ein starkes Commitment für die duale Ausbildung. Welche Rolle wird diese in Zukunft für den wirtschaftlichen Erfolg von Merck spielen?
Matthias Bürk: Die Ausbildung hat eine sehr lange Tradition bei uns. 2024 werden wir im Rahmen der Eröffnung des Learning Centers 300 Jahre Ausbildung bei Merck feiern. Das erste Lehrzeugnis wurde im Jahr 1724 ausgestellt. Heute ist die duale Ausbildung für uns eine wichtige Säule: Rund 30 Prozent der Mitarbeiter wurden in unserem Unternehmen ausgebildet. Viele Kollegen bleiben auch nach ihrer Ausbildung viele Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte bei uns und tragen zum Erfolg von Merck bei. Natürlich haben auch wir mit demografischen Herausforderungen umzugehen. Wir müssen uns für die Zukunft aufstellen. Da spielt es eine wichtige Rolle, junge, talentierte Menschen für uns zu gewinnen.
IHK: Sind mit dem neuen Gebäude auch neue Aus- und Weiterbildungskonzepte verbunden? Worauf legen Sie bei der Ausbildung Ihrer Nachwuchstalente besonderen Wert?
Matthias Bürk: Die Lerninhalte sind in den IHK-Ausbildungsberufen festgelegt. Die halten wir selbstverständlich ein. Bei der Art der Lerntätigkeit sind wir freier in der Gestaltung. Das gemeinsame Lernen und Kennenlernen unterschiedlicher Einsatzmöglichkeiten ist uns ganz wichtig. Ich glaube außerdem fest an das Element der Eigenverantwortlichkeit. Diese zu stärken, ist eine wichtige Säule unseres Lernkonzepts. Durch Teamarbeit und praxisnahes Lernen bringen wir den Auszubildenden die heutige Berufsrealität nahe. Unsere Auszubildenden schauen gerne über den eigenen Tellerrand und entwickeln dadurch sowohl ein hohes Maß an Kompetenz als auch an Flexibilität. Außerdem setzen wir digitale Technologien wie Augmented und Virtual Reality ein. So werden in der Ausbildung bereits mögliche Berührungsängste mit dieser Technik abgebaut. Doch viele unserer Auszubildenden sind bereits sehr technikaffin.
IHK: Was ist jungen Menschen allgemein heute wichtig, wenn sie sich für ein Unternehmen und einen Arbeitsplatz entscheiden? Welche Veränderungen und neue Ansprüche sind zusätzlich durch Corona zu beobachten und wie geht Merck darauf ein?
Matthias Bürk: Jungen Menschen sind häufig zwei Dinge wichtig: Das eine ist, Sicherheit und eine Zukunftsperspektive zu haben. Dazu gehört auch, in einem sozialen Umfeld zu arbeiten,
mit Personen, die man kennt. Das andere ist, etwas Sinnhaftes zu tun. Man möchte Teil einer Gemeinschaft sein, die sinnvolle Dinge tut. Die Menschen bei Merck verbindet, dass wir in unseren verschiedenen Geschäftsfeldern an Produkten und Lösungen arbeiten, die einen echten Nutzen für die Menschen schaffen. Wir nennen es „Purpose”. Das motiviert auch zur Eigenverantwortlichkeit. Wir sehen uns als verantwortungsbewusstes Unternehmen und engagieren uns in sozialen Fragen. Auch Nachhaltigkeit ist für uns ein wichtiges Thema. Durch die Pandemie haben sich viele Dinge verändert. Die beiden zuvor genannten Punkte sind – aus meiner Sicht – noch weiter in den Vordergrund gerückt. Übrigens bewerben sich bei uns nicht nur klassische Schulabgänger, sondern wir finden auch Auszubildende mit anderen Lebensläufen bei uns.
IHK: Viele kleine und mittlere Ausbildungsbetriebe in der Region suchen händeringend nach Nachwuchskräften. Welche Tipps haben Sie für Unternehmer aus unserem Bezirk, um sich im „war for talents” gut aufzustellen? Was ist auch mit einfachen Mitteln und wenig Aufwand gut umzusetzen?
Matthias Bürk: Unser Unternehmen profitiert von seinem großen Bekanntheitsgrad. Auch gibt es bereits häufig interne Kontakte, sodass erste Berührungspunkte bestehen. Zudem haben wir in den letzten Jahren daran gearbeitet, Merck für andere erlebbar zu machen. Doch insbesondere kleinere Unternehmen müssen keine großen Events sponsern, sondern vielmehr die Eintrittsschwelle senken und Sichtbarkeit schaffen, zum Beispiel durch Schülerpraktika oder das Azubi-Speed-Dating der IHK. Außerdem muss klar sein: Heutzutage bewerben sich Unternehmen um Mitarbeiter und um junge Talente – nicht umgekehrt. Daher mein Tipp: Ich sollte mir als Arbeitgeber genau überlegen, was ich potenzielle Mitarbeiter von morgen anzubieten habe.
Wissenswertes für Ausbildungsbetriebe
Sie bilden ihre eigenen Fachkräfte aus oder möchten diese künftig selbst ausbilden? Die IHK unterstützt Sie dabei. Wissenswertes für Ausbildungsbetriebe und solche, die es werden möchten, finden Sie hier.
Torsten Heinzmann
Teamleiter
Bereich: Aus- und Weiterbildung
Themen: Team Ausbildung, Ausbildungsberatung für kaufmännische Berufe