Fehlbestände - was nun?

Arbeitnehmerhaftung

Nicht nur im Einzelhandel stellt sich die Frage, wie der Arbeitgeber mit Fehlbeständen an Waren oder Geld umzugehen hat. Für solche vom Arbeitnehmer zu verantwortenden Schäden hat sich der Begriff der Mankohaftung herausgebildet, der einen Sonderfall der Arbeitnehmerhaftung beschreibt. Die Haftung des Arbeitnehmers kann sich entweder aus einer speziellen Mankoabrede oder aus den allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen ergeben.
Beachte: Auch Auszubildende, die ihre Verpflichtungen verletzen und dadurch beim ausbildenden Unternehmen schuldhaft einen Schaden verursachen, haften auf Schadensersatz. Auszubildende sind zwar keine Arbeitnehmer und für sie gelten besondere Vorschriften wie zum Beispiel das Berufsbildungsgesetz. Dennoch finden die Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung und Fehlgeldentschädigung nach Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts auch auf das Ausbildungsverhältnis Anwendung.

Welche Voraussetzungen müssen für eine wirksame Mankoabrede vorliegen?

Für die so genannte Mankoabrede oder Fehlgeldentschädigung soll der Arbeitnehmer eine verschuldensunabhängige Haftung für das ihm anvertraute Geld oder die ihm anvertrauten Waren übernehmen. Die Rechtsprechung hält solche Mankoabreden nur unter folgenden Voraussetzungen für zulässig:
  1. Die Mankoabrede muss hinsichtlich des Umfangs der Haftung klar und eindeutig gefasst werden.
  2. Der Arbeitnehmer muss für das zusätzlich übernommene Haftungsrisiko einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich, die so genannte Fehlgeldentschädigung, die auch als Mankogeld bezeichnet wird, erhalten. Diese muss so bemessen sein, dass der Arbeitnehmer aus ihr notfalls ein auftretendes Manko voll abdecken kann. Dabei ist die Fehlgeldentschädigung die absolute Obergrenze der vertraglichen Mankoabrede. Die Ausgleichszeiträume dürfen über einen Monat hinaus, z. B. auf ein halbes oder ein ganzes Kalenderjahr ausgedehnt werden. Auch dürfen Haftungsfälle wegen Vorsatzes von der Mankoabrede ausgeklammert werden.
  3. Der Arbeitnehmer hat die alleinige Verfügungsgewalt und den alleinigen Zugang zu den ihm anvertrauten Geld- oder Warenbeständen.
Formulierungsbeispiel für eine Mankoabrede:
„Der/die Arbeitnehmer/in erhält einen monatliches Mankogeld in Höhe von – Euro. Für Waren- bzw. Geldfehlbestände haftet er/sie in Höhe von maximal –. Euro pro Jahr. Haftungsfälle wegen vorsätzlichem Verhaltens des/der Arbeitnehmers/in sind von der Anwendung der Mankoabrede ausgenommen.”
Beachte:
Pauschale Fehlgeldentschädigung, die Arbeitnehmer im Kassen- und Zähldienst gezahlt werden, gehört nicht zum Arbeitslohn, soweit sie 16 € im Monat nicht übersteigen. Die pauschalen Fehlgeldentschädigungen sind steuer- und sozialversicherungsfrei.
Denn die pauschale Fehlgeldentschädigung ist ein sog. steuerfreier Auslagenersatz im Sinne des § 3 Nr. 50 EStG. Dieser gilt nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV nicht als Arbeitsentgelt und ist gem. § 1 Abs.1 Nr. 1 SvEV dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen.
Ferner besteht keine Beitrags- und Nachweispflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung (so § 14 Abs.2 SGB IV).

Inwiefern haftet der Arbeitnehmer, wenn keine Mankoabrede getroffen wurde?

Soweit es an einer Mankoabrede fehlt oder sie rechtsunwirksam ist, gilt die übliche vertragliche und deliktische Haftung des Arbeitnehmers. Diese beiden Haftungen setzen eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers voraus. Ein Mitverschulden des Arbeitgebers kann jedoch die Haftung mindern. Die Rechtsprechung hat ferner speziell für das Arbeitsverhältnis allgemeine Haftungsbeschränkungsgrundsätze entwickelt (so genannte Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs).

1. Haftungsvoraussetzungen und Bildung einer Haftungsquote

Die Voraussetzung für eine Haftung ist zunächst eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers:
  • Handelt der Arbeitnehmer vorsätzlich, d. h. will der Arbeitnehmer den Schaden, haftet er in vollem Umfang.
  • Handelt der Arbeitnehmer grob fahrlässig, kommt ebenfalls eine volle Haftung in Betracht. Der Arbeitnehmer handelt grob fahrlässig, wenn er die ihm obliegende Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße missachtet und so eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung begeht:
    Zum Beispiel: Fahren trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit, Überfahren einer roten Ampel.
    Allerdings kann sich im Einzelfall unter Beachtung weiterer Haftungsbeschränkungen auch eine nur anteilige Haftung des Arbeitnehmers ergeben (siehe unten).
  • Häufig ist das Handeln des Arbeitnehmers als mittlere bzw. normale Fahrlässigkeit einzustufen. Hier führt die Missachtung der Sorgfaltspflicht durch den Arbeitnehmer zu einer Pflichtverletzung, die den Umständen nach nicht unentschuldbar ist. Es handelt sich um Verfehlungen, die weder der groben noch der leichten Fahrlässigkeit (siehe unten) zuzuordnen sind. Dann besteht zwar eine Haftung, die jedoch nach den allgemeinen haftungsbeschränkenden Grundsätzen dem Umfang nach zu vermindern ist. In diesem Fall sind die Haftungsanteile des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers nach Quoten zu bestimmen, d. h. es findet eine Schadensteilung zwischen beiden statt. Dabei wird auf Seiten des Arbeitnehmers das Verschulden und seitens des Arbeitgebers das Betriebsrisiko gegeneinander abgewogen (siehe unten).
  • Hat der Arbeitnehmer nur leicht fahrlässig gehandelt, ist er für den entstandenen Schaden nicht haftbar. Hier handelt es sich um leicht entschuldbare Verfehlungen des Arbeitnehmers, die jedem einmal passieren können:
    Zum Beispiel: Verschreiben, vergreifen, versprechen.
Bei der Feststellung der anteiligen Haftung sind die Gesamtumstände von Schadensanlass und Schadensfolgen nach Billigkeit und Zumutbarkeitsgründen zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Zu berücksichtigende Umstände sind dabei:

Gefahrgeneigtheit der Arbeit:

Hier ist der Haftungsanteil des Arbeitnehmers zu mildern, da die Art der zu verrichtenden Tätigkeiten trotz äußerster Sorgfalt die Wahrscheinlichkeit von gelegentlichen Fehlern mit sich bringt (z. B. Kran- oder Baggerführer, Berufskraftfahrer). Je höher das Gefahrenpotential der Arbeitstätigkeit, um so mehr ist der Haftungsanteil des Arbeitnehmers zu mindern.

Organisationsverantwortung des Arbeitgebers bezüglich der Betriebsabläufe:

Ist der Schaden auf Fehler des Arbeitgebers zurückzuführen, in dem er beispielsweise kein einwandfreies Arbeitsmaterial bereitgestellt hat oder wurde offensichtlich an notwendigen Arbeitskräften gespart, ist die Haftungsquote zugunsten des Arbeitsnehmers zu mindern.

Durch Versicherung abdeckbares Risiko:

Der Arbeitgeber ist im Rahmen des Zumutbaren verpflichtet, notwendige Versicherungen abzuschließen (z. B. Berufs- oder Betriebshaftpflicht). Nach der Rechtsprechung ist der Arbeitgeber sogar zum Abschluss einer Kfz-Vollkaskoversicherung verpflichtet, wenn Arbeitnehmer mit ihren PKWs ihre Arbeitstätigkeit verrichten. Fehlt eine mögliche Versicherung im Schadensfall, darf dies nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden.

Höhe des Schadens:

Bei hohen Schäden beschränkt die Rechtsprechung häufig die Haftung zu Gunsten des Arbeitnehmers.

Vergütungshöhe:

Stehen Schadensrisiko des Arbeitgebers (hoher Schaden an hochwertigen technischen Maschinen) und der Verdienst des Arbeitnehmers in einem Missverhältnis, so ist es für die Haftungsquote entscheidend, ob das besondere Schadensrisiko durch eine zusätzliche Vergütung honoriert wird (z. B. Risikoprämie). Fehlt es an einer solchen zusätzlichen Vergütung und übersteigt der zu ersetzende Schaden eine Größenordnung, die dem Arbeitnehmern in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet, führt dies zu einer Einschränkung seiner Haftung.

Persönliche Verhältnisse des Arbeitgebers:

Zu berücksichtigen sind dabei z. B. die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Familienverhältnisse, das bisherige Verhalten.

2. Haftungsumfang

Der Arbeitnehmer haftet entsprechend der festgestellten Haftungsquote für alle unmittelbaren und mittelbaren Schäden des Arbeitgebers. Lässt zum Beispiel eine Kellnerin ihr Tablett fallen, so ist dabei der unmittelbare Schaden das zerbrochene Geschirr des Restaurantbesitzers, der mittelbare Schaden die beschmutzte Hose des Gastes, die gereinigt werden muss.

3. Durchsetzung des Schadensanspruches

  • Zum einen kann der Arbeitgeber den festgestellten Schadensersatzanspruch vom laufenden Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers einbehalten. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. Der Arbeitgeber darf bei der Einhaltung nur den Nettoauszahlungsbetrag der Vergütung (abzüglich aller Steuern des Arbeitnehmers) zugrunde legen. Außerdem sind die jeweils gültigen Pfändungsfreigrenzen zu beachten.
  • Zum anderen kann der Arbeitgeber seinen Schadensersatzanspruch gesondert gegenüber dem Arbeitnehmer geltend machen und ggf. auch gerichtlich durchsetzen. In jedem Fall ist dabei zu prüfen, ob für die Arbeitsvertragsparteien durch Einzelvertragsvereinbarungen oder tarifliche Bestimmungen Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüche bestehen.

4. Wen trifft in Mankofällen die Darlegungs- und Beweislast?

Auch hier wird zwischen den Bestehen einer wirksamen Mankoabrede und der Haftung ohne Mankoabrede unterschieden:

Haftung auf Grund wirksamer Mankoabrede:

Tritt ein Manko auf, muss der Arbeitgeber neben der Mankovereinbarung selbst die alleinige Verfügungsgewalt und den alleinigen Zugang des Arbeitnehmers zu der verwalteten Kasse oder den verwalteten Waren beweisen. Ferner muss er darlegen, dass tatsächlich ein Manko eingetreten ist, das nicht auf anderen Ursachen beruht. Schließlich muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass die gezahlte Fehlgeldentschädigung mindestens so hoch ist wie der begehrte Mankobetrag.

Haftung ohne Mankoabrede:

Fehlt eine besondere Mankoabrede, hat der Arbeitgeber grundsätzlich eine Pflichtwidrigkeit des Arbeitnehmers, einen durch den Arbeitnehmer verursachten Schaden sowie dessen Verschulden zu beweisen. Bewiesen werden muss dabei mindestens mittlere Fahrlässigkeit, da unterhalb dieser Schwelle die Haftung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleich ausgeschlossen ist (siehe oben).
Stand: Juni 2012