Inklusive Ausbildung kann Azubi-Lücken schließen
Inklusion ist kein Zusatzthema, sondern Teil der Lösung gegen den Fachkräftemangel. Wer offen darüber spricht, klärt Unklarheiten schnell – und gewinnt motivierte Nachwuchskräfte.
- Was die LEAG strukturell tut – und was andere davon nutzen können
- Niemand muss das allein stemmen
- Kein Selbstläufer, aber große Chance
- Warum es sich lohnt – betriebswirtschaftlich und (unternehmens)kulturell
- „Aber wir sind ja kein Konzern …“ – dennoch können kleine Betriebe starten
- Wer unterstützt und begleitet
Die Zwillinge Denis und Kevin Maibaum aus Welzow sind im letzten Ausbildungshalbjahr zum Industriemechaniker bei LEAG. Beide sind seit Geburt hörgeschädigt. Ihrem Start als Lehrlinge ging ein zweiwöchiges Praktikum voraus: Elektrik, Mechatronik, Metallbearbeitung.
„Das hat Spaß gemacht“, sind sich beide einig.
Danach entschlossen sie sich zur Bewerbung und bekamen prompt die Zusage. Im Betrieb werden sie vom ersten Tag an wertgeschätzt.
Sie spielen keine Sonderrolle, stattdessen erleben sie offene Neugier im Team: „Wir wurden so aufgenommen, wie man es sich wünscht“, sagen die beiden.
Inklusive Ausbildung bei der LEAG - Zwillinge Denis und Kevin Maibaum mit Ausbilder Sebastian Karl
Technisch helfen ihnen Hörgeräte, praktisch helfen klare Regeln: nicht von hinten ansprechen, weil da die Hörgeräte nicht ausreichend unterstützen, Erklärungen bei Lärm kurz wiederholen, im Zweifel in einen ruhigeren Raum gehen.
„Wichtig ist, dass man nachfragt: Passt das so?“, sagt Denis. Sein Bruder fügt hinzu: „Für uns ist das Routine. Wir kennen es seit der frühen Kindheit und kommunizieren offen. Es ist Alltag geworden, anderen zu sagen, was wir brauchen.“
Und so läuft es auch in der Ausbildung reibungslos. Davon zeugt, dass die beiden unbefristet übernommen werden. Das signalisiert Verlässlichkeit – und bindet engagierte Fachkräfte. Die Geschichte steht beispielhaft. Die LEAG ist groß, hat komplexe Strukturen und Ressourcen. Das Grundprinzip jedoch – offen reden, individuell organisieren, externe Hilfe nutzen – ist überall anwendbar.
Was die LEAG strukturell tut – und was andere davon nutzen können
Sozialpädagoge Christian Klar begleitet Auszubildende, die Unterstützung brauchen – physisch, kognitiv oder sozial. Es gibt Eingangstests (Mathe/Physik), ergänzende Lernangebote und bei Bedarf Assistierte Ausbildung oder fachliche Nachhilfe. Er begleitet das erste Ausbildungsjahr in einer Kennenlernwoche, erklärt seine Rolle und signalisiert: „Ihr seid nicht allein!“
Christian Klar: „Viele haben Angst, offen über ihre Einschränkungen zu sprechen. Wenn man das aber tut, kann man damit gut arbeiten.“
Er verweist aber auch darauf, wo er an Grenzen kommt. Wichtig sei: Die jeweilige Einschränkung müsse vom Betroffenen selbst akzeptiert werden, es braucht Eigeninitiative und Willen – „dann kann ich vermitteln und unterstützen“.
Axel Ziller, Leiter Aus- und Weiterbildung, bringt es auf den Punkt: „Die Motivation ist entscheidend – Noten sind nicht alles. Entscheidend ist das übereinstimmende Gefühl: Wir kriegen das gemeinsam hin.“
Diese unternehmerische Haltung wurde 2025 ausgezeichnet: Die LEAG erhielt den INKLU- Preis –des Arbeitskreises Inklusion der Stadt Cottbus und des Landkreises Spree-Neiße. Gewürdigt wurde gelebte Inklusion über Jahre, u. a. mit Auszubildenden mit Hör-, Geh- oder geistiger Behinderung. Inklusion ist somit zuallererst als Haltung – und nicht Einzelprojekt.
Niemand muss das allein stemmen
Birgit Berlin, Inklusionsberaterin bei der IHK Cottbus, bestätigt: „Inklusion ist kein Zusatzthema – sie ist Teil der Lösung gegen den Fachkräftemangel. Viele Betriebe sind offen dafür – sie wissen nur oft nicht, wo sie anfangen sollen. Da setzen wir an. Wir unterstützen dabei, geeignete Auszubildende zu finden, begleiten bei Bedarf beim Übergang und bleiben während der Ausbildung Ansprechpartner. Niemand muss das allein stemmen.“
Axel Ziller betont, dass selbstverständlich vorab mit der Arbeitsmedizin geprüft wird, ob eine Lehre im ausgewählten Beruf auch realistisch und sicher ist. „Man kann nur gemeinsam Ziele erreichen, wenn sie vorher gemeinsam besprochen und vereinbart wurden.“
Birgit Berlin weiß, dass Inklusion oft auf rollstuhlgerechte bauliche Ausstattung reduziert wird. Aber Behinderungen sind vielfältig – das Spektrum reicht von Diabetes bis Autismus.
„Im Prinzip geht es darum, auf die Individualität jedes Menschen einzugehen – das ist gelebte Inklusion.“
Kein Selbstläufer, aber große Chance
Dass das jedoch kein Selbstläufer ist, darüber herrscht Konsens. Es braucht vor allem Offenheit und Mut, um das zu probieren.
Ausbildungsleiter Ziller weiß aus eigener Erfahrung, dass vieles an Bürokratie scheitert. Anträge, Formalitäten, Zeitaufwand: „All das schreckt viele Betriebe ab. Es fehlt einfach an Normalität. Ich rate, es dennoch zu versuchen.“
Das Potenzial von Menschen mit Behinderungen wird unterschätzt bzw. übersehen, begründet Inklusionsberaterin Berlin.
Warum es sich lohnt – betriebswirtschaftlich und (unternehmens)kulturell
Es geht darum Fachkräfte zu gewinnen und zu binden: Wer Chancen eröffnet und Verantwortung überträgt, gewinnt oft besonders motivierte Mitarbeiter – und senkt Fluktuation, heißt es im Begleittext zum INKLU-Preis. Zudem wird die Unternehmenskultur gestärkt: Die Teams lernen, klarer zu kommunizieren, Unterschiede konstruktiv zu nutzen und Verantwortung zu teilen. Das wirkt sich positiv für alle aus, nicht nur auf den Umgang mit Mitarbeitern mit Behinderung.
Kathleen Keßler, Mitarbeiterin Ausbildung bei der LEAG, weist darauf hin, dass es sehr motivierend für Unternehmensleitung wie Belegschaft sein kann, hier Entwicklungen zu begleiten: „Es ist schön, zu sehen, wie jemand wächst.“
Nicht zu unterschätzen ist dabei der Imagegewinn für das Unternehmen, welches auch diesen den Weg der Fachkräftegewinnung geht - was nicht vom Imagezuwachs der Region zu trennen ist. Denn sichtbar gelebte Inklusion zeigt gemeinschaftliches Handeln und Zukunftsfähigkeit – besonders wichtig in einer Region im Wandel.
„Aber wir sind ja kein Konzern …“ – dennoch können kleine Betriebe starten
Natürlich, die LEAG hat objektiv mehr Spielräume. Doch der Weg für alle Unternehmen bleibt derselbe. Die LEAG ergänzt, dass Unternehmen, die ihre Azubis bei der LEAG in der Verbundausbildung haben, ebenso von der besonderen Betreuung profitieren können. Sicher ist das auch bei anderen größeren Verbundpartnern möglich.
Wer unterstützt und begleitet
Darüber hinaus kann der Service der IHK-Inklusionsberatung, ein Projekt in Kooperation mit dem Landesamt für Soziales und Versorgung (LASV) und finanziert aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe, in Anspruch genommen werden. „Es gibt diverse Förderprogramme – von Zuschüssen für modifizierte Arbeitsplätze bis zu Prämien in der Ausbildung. Wir beraten, was passt und bringen die Betriebe mit den richtigen Institutionen zusammen.“ Mit dem Landesförderprogramm Perspektive inklusiver Arbeitsmarkt 2.0 (PiA 2.0) werden u. a. Schaffung von betrieblichen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für Menschen mit Schwerbehinderung unterstützt.
Der Artikel von Jörg Tudyka erschien im FORUM 11|2025