Interview

„Viele Menschen wissen nicht, wie gut es dem Osten eigentlich geht.“

Die Wahlergebnisse der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar sprechen eine klare Sprache. In der Region Südwestsachsen einschließlich der Stadt Chemnitz hat die rechtspopulistische Partei AfD kräftig zugelegt und wird eine starke Fraktion im neuen Bundestag bilden.
Ramona Nagel hat mit Prof. Dr. Joachim Ragnitz, stellvertretender Geschäftsführer der Niederlassung Dresden des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, über die aktuelle wirtschaftliche Lage in den neuen Bundesländern und Ursachen für das Wahlergebnis gesprochen.
Die Wahlergebnisse im Osten sind eindeutig und unterscheiden sich grundsätzlich vom Westen Deutschlands. Fühlt sich der Osten abgehängt von der wirtschaftlichen Entwicklung?
Im Osten gibt es eine gewisse Anspruchshaltung, nicht schlechter als der Westen zu leben und das ist verständlich. Allerdings sind auch im Westen Deutschlands die Lebensverhältnisse keinesfalls homogen. Bayern und Baden-Württemberg beispielsweise sind wirtschaftlich sehr stark. Das wirkt sich auf unter anderem auf die Löhne und die Infrastruktur aus. Das Saarland hingegen befindet nicht auf diesem Niveau. Und selbst in Bayern ist die Differenzierung riesig groß. Es gibt es schwache Regionen wie beispielsweise die Oberpfalz. Sie werden aber von Oberbayern und München überstrahlt.
Wie nah ist der Osten am Westen?
Viele Menschen wissen nicht, wie gut es dem Osten eigentlich geht. Beispielsweise sind die Einkommen preisbereinigt ziemlich nah am Westen dran. Und gerade Sachsen hat die schwachen Westländer längst erreicht. Leider bilden die Medien diese Realität nicht ab.
Wie bewerten Sie aktuell die Konjunktur in Sachsen?
Industrie und im Investitionsgütergewerbe spüren die aktuelle Wirtschaftskrise deutlich. Die Produktion ist rückläufig. Es gibt aber nicht den in der Öffentlichkeit kolportierten Absturz.
Neueste Konjunkturdaten verheißen, dass es langsam wieder bergauf gehen könnte. Tragen Sie diese Einschätzung mit?
Das Ifo-Institut rechnet in seiner Frühjahrsprognose für das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt mit einem Plus von 0,2 Prozent. Andere Forschungsinstitute liegen ähnlich. Im Klartext heißt das Stagnation. Trotz wieder anziehender Kaufkraft bleibt der Konsum verhalten, die Unternehmen investieren weiterhin nur zurückhaltend. Erst für 2026 rechnen die Ifo-Fachleute mit einem Plus von 0,8 Prozent. Das wäre ein leichter Aufschwung.
Welchen Einfluss haben noch nicht vorhersehbare Entwicklungen?
Konjunkturprognosen beruhen immer auf theoretisch fundierten Modellannahmen. Bestimmte Einflüsse wie beispielsweise Ende oder Weitergehen des Ukraine-Krieges oder Maßnahmen der neuen Bundesregierung lassen sich nicht vorhersehen und ihre konjunkturelle Wirkung vorab nicht einschätzen. Ich bin eher zurückhaltend mit längerfristigen Prognosen. Wachstumsannahmen gab es bereits seit 2021, sie sind aber nie zustandegekommen. Die Unsicherheit darüber, wie wichtige Einflussfaktoren wirken, ist noch groß.
35 Jahre nach der Wiedervereinigung ist der Osten Deutschlands noch immer eine verlängerte Werkbank des Westens. Was ist schiefgelaufen?
Die Vorstellung, dass es möglich ist, einen Konzern dazu zu bewegen, seinen Konzernsitz in den Osten zu verlegen, ist ehrlich gesagt Träumerei. Viele Konzerne sind über hundert Jahre alt und durch Fusionen und Zukäufe gewachsen. Das ist auch die einzige Möglichkeit, um groß zu werden. Es gibt ostdeutsche Firmen, die diese Chancen mittel- und langfristig haben und in diese Liga aufsteigen können. Dabei sehe ich beispielsweise Jenoptik. Die meisten Standorte allerdings sind Ableger von Westfirmen und daran wird sich nichts ändern. Vorbilder sind wichtig für das Vorankommen. Es gehört aber auch dazu, die Realität anzuerkennen. Im Endeffekt kommt es darauf an, dass die vielen kleinen und mittleren Firmen gute Bedingungen haben und wachsen können.
Aufgrund der Demografie finden allerdings viele kleine und mittlere Firmen keinen Nachfolger. Wie können sie trotzdem überleben?
In Sachsen stehen 32 Prozent der Unternehmer kurz vor der Rente, in Westdeutschland sind es 38 Prozent. Unternehmensgründer ist man in der Regel zwischen 30 und 39. Gerade das sind die Kohorten, die zur Wende geboren wurden und deren Eltern oft in den Westen übersiedelt sind. Diese jungen Leute fehlen jetzt im Osten. Gleichzeitig haben viele Firmen für eine Übernahme nicht genügend Eigenkapitalrendite. Aus diesem Grund sind in Sachsen 46 von 1000 Unternehmen nicht für eine Übergabe geeignet, im Westen sind es 56. Man sieht daran sehr deutlich, dass Firmen im Osten deutlich weniger Renditen abwerfen.
Bedeutet das gleichzeitig, dass diese Firmen vom Markt verschwinden?
Firmen, die auf niedrige Preise anstatt auf Innovationen ausgerichtet sind, werden sicherlich in diesem Zusammenhang vom Markt verschwinden. Es ist aber nicht zielführend, möglichst viele Unternehmen zu haben, sondern möglichst viel Wertschöpfung zu schaffen.
Südwestsachsen erlebt gerade eine existenzbedrohende Krise des Automobilstandortes. Glauben Sie, dass diese bewältigt werden kann?
Mit der Produktion von E-Fahrzeugen bewegt sich VW in einem Markt, der stark von chinesischen Herstellern sowie Tesla besetzt ist. Die geplante Umstrukturierung innerhalb der VW-Standorte ist deshalb nachvollziehbar. Das VW-Werk in Zwickau ist hochmodern und entsprechend effizient. Dass das Werk in Emden ihm bevorzugt wurde, ist eine unternehmensinterne Entscheidung. Bei einer möglichen Schließung des Standortes Zwickau wird sich sicher ein Käufer finden, er wird nicht von der Bildfläche verschwinden. Für die Zulieferer ist die Situation allerdings anders. Sie müssen generell die Transformation vom Verbrenner zur Elektromobilität meistern und oft auf andere Produkte umstellen. Sie können das nicht allein und brauchen Unterstützung.
Die Automobilindustrie ist in Deutschland ein Motor. Wird sein Stottern Auswirkung auf andere Branchen haben?
Vor allem im für die Region Chemnitz sehr wichtigen Maschinenbau ist der Konkurrenzdruck vor allem durch chinesische Hersteller sehr stark. Lange auf Billigprodukte und Lohnarbeit fokussiert, entwickeln diese jetzt höherwertige Technologien und fluten damit die Märkte. Der Maschinenbau könnte die Branche sein, die als nächstes kippelt.
China hat sich von einem Lohnfertiger zu einem ersthaften Konkurrenten bei höherwertigen Produkten und Leistungen entwickelt. Welchen Anteil haben deutsche Firmen?
China hat Joint Ventures zur Bedingung gemacht, wenn ausländische Firmen auf diesen Markt wollten. So konnte ganz legal Wissen abgegriffen und weiterentwickelt werden. Lange Zeit wurde das verkannt. Durch die Übernahme-Angebote für den Roboterhersteller Kuka hat man gemerkt, dass die Chinesen nicht die seriösen Handelspartner sind, die wir in Europa erwarten. Aber da war es schon zu spät.
Sind beispielsweise die Chemnitzer Maschinenbauer dem völlig ausgesetzt?
Es gibt Chancen durch die Energiewende. Energieeffiziente Maschinen müssen erst entwickelt werden. Für die Chemnitzer Maschinenbauer wäre das eine Nische. Zudem müssen wir eine Wasserstoffindustrie aufbauen, Chemnitz entwickelt dazu gerade ein Forschungszentrum. Die Chemnitzer Maschinenbauer sollten auf Sondermaschinen setzen. In dieser Nische können Sie ihr Know how ausspielen.
Sachsen möchte führender Entwicklungsstandort von Mikroelektronik werden und konzentriert sich dabei voll auf Dresden. Mit der Halbleiterindustrie in Mittelsachsen sowie Forschungseinrichtungen in Chemnitz könnte aber eine auch für Chemnitz nützliche Mikroelektronik-Achse entlang der A4 entstehen. Was halten Sie davon?
Damit Dresden Entwicklungsstandort für Mikroelektronik wird, braucht es auch eine Menge Zulieferer. Den benötigten Platz für die Ansiedlungen allerdings hat Dresden nicht. Sie werden sich Standorte suchen, wo sie relativ schnell nach Dresden, aber auch zu den Halbleiterherstellern nach Jena kommen. Mit der A4 gibt es eine schnelle Verbindung. Die Mitarbeiter wiederum benötigen Wohnungen, davon könnten Freiberg und auch Chemnitz profitieren. Ich sehe hier Zukunftschancen. Allerdings wird solch eine Verbindung nicht ins Erzgebirge und auch nicht ins Vogtland ausstrahlen.
Das alles braucht viel Förderung. Es werden aber gerade auch verschiedenen Gründen Förderprogramme reduziert. Haben kleine Firmen da Chancen?
Prinzipiell ja. Bei Investitionsförderung oder Förderung für Forschung und Entwicklung müssen die Firmen tatsächlich investieren oder forschen. Sonst gibt es die Gelder nicht. Allerdings stehen die Zeichen für Geldausgeben aktuell nicht so gut. Der Freistaat Sachsen muss sparen. Der Bund wiederum muss bisher nicht geplante Ausgaben stemmen und wird sich damit rigoros verschulden. Es bleibt abzuwarten, ob im Gegenzug bei Sozialem oder bei der Förderung gespart wird.
Die neue Bundesregierung möchte viel stärker in die Rüstung investieren. Kann Sachsen davon profitieren?
Möglichkeiten bietet die in Dresden angesiedelte Luftfahrtindustrie. Bei großen Rüstungsgütern wie beispielsweise Panzern ist der Markt weitestgehend verteilt. Für die Panzer sind aber auch Inhalte und Ausrüstungen notwendig. Hier haben sächsische Firmen Chancen. Generell wird die künftige Verteidigung viel stärker auf neue technische Möglichkeiten setzen. Auch hier gibt es für Firmen völlig neue Perspektiven.
US-Präsident Trump verhängt Zölle. Womit muss die hiesige Industrie rechnen?
Trump geht sehr strategisch vor. Waren, die die USA unbedingt benötigen, wird er nicht mit Zöllen belegen, Pharmazeutika beispielsweise. Demgegenüber gibt es auch in den USA eine Autoindustrie, hier wird Trump reglementieren. Firmen können sich hier nur auf neue Märkte orientieren oder die Produktion in die USA verlegen. Für kleine Firmen, und das ist ja die Mehrheit in Sachsen, ist das aber keine Option.
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