Neue EU-Indien-Strategie

Der Hintergrund zur EU-Indien-Strategie umfasst mehrere wichtige Meilensteine: Seit 2004 besteht eine strategische Partnerschaft zwischen Indien und der Europäischen Union. Im Februar 2025 besuchte das Kollegium der EU-Kommissare Indien, um die Zusammenarbeit weiter auszubauen. Am 17. September 2025 wurde schließlich die „Joint Communication on a New Strategic EU-India Agenda“ veröffentlicht, die die Grundlage für die zukünftige Partnerschaft bildet.
Indien nimmt als Schlüsselpartner der Europäischen Union eine bedeutende Rolle ein. Mit über einer Milliarde Menschen ist Indien die größte Demokratie der Welt und zeichnet sich durch eine junge Bevölkerung aus, deren Durchschnittsalter bei nur 31 Jahren liegt. Das Land verzeichnet ein schnelles Wirtschaftswachstum und wird Prognosen zufolge bis 2030 zur drittgrößten Volkswirtschaft weltweit avancieren. Zudem ist Indien führend in den UN-Friedensmissionen und gilt als der weltweit größte Produzent von Impfstoffen, was seine zentrale Rolle im globalen Gesundheitswesen unterstreicht. Gleichzeitig ist Indien der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen und steht somit vor erheblichen Herausforderungen im Bereich des Klimaschutzes.
Der Aufstieg Indiens bietet der Europäischen Union jedoch zahlreiche Chancen. Durch eine engere Zusammenarbeit mit Indien kann die EU ihre Handels- und Lieferketten diversifizieren und sich von einseitigen Abhängigkeiten lösen. Vor allem im Bereich grüner Technologien und der Digitalisierung eröffnen sich neue Kooperationsmöglichkeiten, die beiden Seiten langfristige Vorteile sichern können. Dabei ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe entscheidend, um einen nachhaltigen und gegenseitig förderlichen Austausch zu gewährleisten.

EU-Indien-Wirtschaftsbeziehungen

Die Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und Indien haben sich in den letzten Jahren erheblich intensiviert. Im Jahr 2024 betrug das Handelsvolumen zwischen der EU und Indien 120 Milliarden Euro, was einem Anstieg von 90 % in den letzten zehn Jahren entspricht und 2,4 % des gesamten EU-Warenhandels repräsentiert. Im Vergleich dazu liegt das Handelsvolumen der EU mit China deutlich höher bei 730 Milliarden Euro, was 15 % des EU-Warenhandels ausmacht.
Die EU ist mittlerweile Indiens wichtigster Handelspartner. In Indien sind rund 6.000 europäische Unternehmen tätig, die insgesamt etwa drei Millionen Arbeitsplätze sichern. Auch die Direktinvestitionen der EU in Indien haben sich in den vergangenen Jahren bemerkenswert entwickelt: Im Jahr 2023 beliefen sich diese Investitionen auf 140 Milliarden Euro, was einer Verdopplung innerhalb von nur fünf Jahren entspricht.
Zusammen repräsentieren die EU und Indien etwa 25 % der Weltbevölkerung und des globalen Bruttoinlandsprodukts, was die Bedeutung ihrer wirtschaftlichen Partnerschaft zusätzlich hervorhebt. Beide Seiten haben sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt: Während die EU bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreichen will, strebt Indien dieses Ziel spätestens bis zum Jahr 2070 an. Diese gemeinsamen Ambitionen legen eine solide Grundlage für Kooperationen im Bereich Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien.

Fünf strategische Säulen der neuen EU-Indien-Strategie

  • Ziel: Abschluss eines Freihandelsabkommens (FTA) und Investitionsschutz bis Ende 2025.
  • Global Gateway-Investitionen von über 15 Mrd. EUR.
  • Stärkung von Lieferketten für Schlüsselbereiche (Halbleiter, grüne Technologien, kritische Rohstoffe).
  • Zusammenarbeit bei sauberer Energiewende und wirtschaftlicher Sicherheit.
  • Förderung nachhaltiger Mobilität, Kreislaufwirtschaft und Landwirtschaft.
  • Aufbau von EU-Indien-Innovationshubs für Schlüsseltechnologien.
  • Kooperation bei KI, Halbleitern, Hochleistungsrechnen und Quantencomputing.
  • Gemeinsame Standards für digitale Infrastruktur und Datenflüsse.
  • Förderung von Start-ups und Forschung (u.a. Horizon Europe).
  • Bekämpfung von hybriden Bedrohungen, Cyberangriffen und Terrorismus.
  • Ausbau der maritimen Sicherheit und gemeinsame Übungen.
  • Schaffung eines EU-Indien-Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaftsrahmens.
  • Umsetzung des India-Middle East-Europe Economic Corridor (IMEC).
  • Kooperation in Afrika und Südasien bei Infrastruktur, Digitalisierung und grüner Energie.
  • Gemeinsames Engagement für Reformen in UN, WTO und Klimaschutz.
  • Pilotprojekt „European Legal Gateway Office“ zur Förderung der Mobilität und des Bildungsaustauschs.
  • Stärkere Integration der Wirtschaft durch Kultur- und Bildungsprogramme.

EU-Indien-Freihandelsabkommen (FTA)

Die Historie des EU-Indien-Freihandelsabkommens (FTA) zeigt eine wechselvolle Entwicklung. Die Verhandlungen begannen im Juni 2007 und umfassten bis 2013 insgesamt 15 Verhandlungsrunden, bevor sie abgebrochen wurden. Im Jahr 2022 wurden die Gespräche jedoch wieder aufgenommen, mit dem Ziel, das Abkommen bis Ende 2025 abzuschließen.
Seit dem Relaunch der Verhandlungen wurden bereits über 13 Verhandlungsrunden geführt, in denen Fortschritte bei Zollverfahren, geistigem Eigentum und Handelsvereinfachungen erzielt werden konnten. Dennoch gibt es nach wie vor offene Themen, bei denen noch keine Einigung erreicht wurde, darunter die Landwirtschaft, Automobilteile sowie Wein und Spirituosen.
Das Freihandelsabkommen bietet große Chancen für beide Seiten. Die EU würde Zugang zu einem der dynamischsten Wachstumsmärkte der Welt erhalten, mit einem prognostizierten jährlichen BIP-Wachstum von über 6 %. Gleichzeitig könnte sie ihre Handelsbeziehungen diversifizieren und ihre Abhängigkeit von anderen Partnern verringern.
Es bestehen jedoch auch Knackpunkte und klare Zielvorstellungen. Die EU fordert eine stärkere Marktöffnung für Autos, Agrarprodukte und Medizintechnik. Zudem legt sie großen Wert auf ein Nachhaltigkeitskapitel mit verbindlichen Standards und dem Schutz der regulatorischen Autonomie. Ab 2026 plant die EU die Einführung eines CO₂-Grenzausgleichs (CBAM), der ebenfalls Teil der Gespräche ist und bei der Umsetzung des Abkommens berücksichtigt werden müsste.

DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier zum nahenden Abschluss des EU-Indien Handelsabkommens

„Der Großteil der deutschen Wirtschaft unterstützt ein EU-Indien Handelsabkommen, welches die Marktzugänge und den Abbau von Handelshürden für indische Märkte nennenswert voranbringt. Hierfür sollte sich die Bundesregierung und die EU-Kommission nachdrücklich einsetzen. Ein gutes Abkommen mit weitreichenden Handelserleichterungen sollte das Ziel für beide Verhandlungspartner sein – auch wenn sich durch gute Verhandlungen jetzt der Abschluss um wenige Wochen verzögern könnte.
Die deutsche Wirtschaft erwartet, dass das EU-Abkommen den indischen Markt weiter öffnet als etwa das Abkommen Indiens mit dem Vereinigten Königreich. Dabei stehen signifikante Zollsenkungen bis hin zu null Prozent in allen Industriebereichen und insbesondere im Automobil-, Maschinenbau und Chemiesektor im Vordergrund. Bereits ab dem ersten Tag der Umsetzung sollten spürbare Zollsenkungen erfolgen, eine mehr als zehnjährige Übergangsphase für den kompletten Zollabbau sollte vermieden werden. Wichtig ist zudem, dass der Marktzugang nicht durch die Hintertür mit überbürokratischen Ursprungsregeln konterkariert wird. Damit die Unternehmen das Abkommen auch nutzen, darf die Nachweisführung beim Warenursprung keine neuen Dokumentationspflichten enthalten.
Aufgrund der Bedeutung des deutsch-indischen Dienstleistungshandels und der zunehmenden deutschen Investitionen im Land sollte sich Indien auch in diesen Sektorennachhaltig öffnen. Auch ist für deutsche Unternehmen wichtig, dass Indien technische Handelshemmnisse etwa bei bürokratischen Zertifizierungsvorgaben abbaut. Durch regulatorische Kooperationsgremien im Handelsabkommen sollte die Entstehung neuer Handelshemmnisse schon im Vorhinein verhindert werden.
Auch wenn durch ein bilaterales Abkommen der Außenhandel mit Indien in seiner Breite erleichtert und abgesichert werden kann, bleibt die Welthandelsorganisation für die deutsche Wirtschaft der Grundpfeiler für die internationalen Handelsbeziehungen. Die Bundesregierung und die EU sollten sich daher dafür einsetzen, dass Indien auch dort konstruktiv an einer Reform und Weiterentwicklung des regelbasierten multilateralen Handelssystems mitwirkt. Hierzu zählt auch die multilaterale wie plurilaterale Zusammenarbeit in den Bereichen digitaler Handel, Klima, Nachhaltigkeit, Industriepolitik, Wirtschaftssicherheit und Lieferkettenresilienz.“