Leidenschaft für kleine Klimaschützer

Das Braunschweiger Start-up Algaeplant setzt auf Mikroalgen für eine nachhaltige Zukunft. Sein Konzept einer Partnerschaft mit Industriebetrieben verspricht eine interessante Win-win-Konstellation.
Es ist noch gar nicht so lange her, da ging es in dieser Rubrik um Pilze und ihre besonderen Eigenschaften. Etwa darum, dass sich die Fruchtkörper jener Lebewesen, die keine Tiere, aber auch keine Pflanzen sind, hervorragend als Dämmstoff eignen. Auch diesmal soll es um ein Lebewesen gehen, dessen einzigartige Merkmale dabei helfen könnten, das ­Leben auf diesem Planeten nachhaltiger zu gestalten – und das Klima zu schützen. Das Braunschweiger Biotech-Start-up Algaeplant hat sein Augenmerk auf einen winzig kleinen Meeresbewohner gerichtet, der für gewöhnlich nicht allzu viel Aufmerksamkeit erfährt: es geht um die Mikroalge.
„Nachdem ich eine Doku über Mikroalgen gesehen hatte, war ich sehr davon begeistert und habe mich auch in meiner Freizeit damit beschäftigt“, erzählt Hai Linh Briese, wie sie das erste Mal mit den mikroskopisch kleinen, mit bloßem Auge nicht sichtbaren Lebewesen in Berührung kam. Doch bei der ungewöhnlichen, auf den ersten Blick vielleicht etwas „nerdy“ anmutenden Leidenschaft für die Mikroalge sollte es nicht bleiben. Im Zusammenhang mit dem von ihr mitgegründeten Braunschweiger Verein „Futter Teresa“, der sich gegen Lebensmittelverschwendung engagiert, lernte die Chemie-Studentin im September 2022 den promovierten Biologen Carsten Reuse kennen. Und der teilte ihre ungewöhnliche Leidenschaft. „Ich habe mich schon seit meiner Masterarbeit mit Mikroalgen beschäftigt und es hat mich so fasziniert, dass ich damit unbedingt weitermachen wollte“, erinnert sich der heute 35-Jährige. Gerade mal zwei Monate später bewarben sich die beiden mit einem eigenen Projekt für die Braunschweiger Start-up-Akademie W.IN – das Unternehmen Algaeplant, wenn auch noch nicht offiziell gegründet, war geboren.

Schnelles Wachstum und hohe CO2-Fixierung

Keine anderthalb Jahre später sitzen Briese und Reuse, die beide in der Region Göttingen aufgewachsen sind, in der makerAcademy in der Braunschweiger Nordstraße und erzählen von ihren Plänen. Im Raum gleich nebenan befindet sich ihr Labor, in dem verschiedene Gläser und Fläschchen stehen, die ein grünlich schimmerndes Wasser enthalten. Hier experimentieren sie mit ihren Mikroalgen. „Sie haben den Vorteil, dass sie unfassbar schnell wachsen“, sagt Reuse über die Mikroorganismen, die im Allgemeinen nicht zu den Pflanzen, sondern zur Gruppe der Eukaryoten gezählt werden. Bis zu 100-mal  im Jahr könne man die Algen ernten, ergänzt er – um anschließend die entscheidende Frage zu beantworten: Warum sollte man das tun? Nun, Reuse weiß gleich mehrere gute Gründe dafür. Einer davon: „Wir wollen mit unserem Start-up einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten“, sagt der Biologe und nennt ein paar Kennzahlen zu dem wohl drängendsten Problem des Planeten.
„Mikroalgen sind die besseren Bäume.“

Carsten Reuse, Biologe und Gründer,
mit Blick auf die Effizienz bei der CO2-Fixierung

Derzeit wird bekanntlich versucht, dem CO2-Problem unter anderem mit der Pflanzung von Bäumen beizukommen. Auf Aufforstung basiert im Wesentlichen auch der Handel von CO2-Zertifikaten für Unternehmen. So klingt es fast ketzerisch, wenn Reuse fragt: „Sind Bäume wirklich die Lösung für das CO2-Problem?“ Mikroalgen seien Bäumen in dieser Hinsicht jedenfalls klar überlegen, behauptet der Biologe und erläutert: „Mikroalgen sind 40-mal so effizient wie Bäume, was die Photosynthese angeht. Pro Kilo Biomasse werden 1,8 Kilo CO2 fixiert, um diese Biomasse aufzubauen. Das ist schon sehr beachtlich.“ Hinzu käme das bereits erwähnte sehr schnelle Wachstum – und das auf vergleichsweise kleinem Raum.

Naturkosmetik, Fettsäuren – und grüner Wasserstoff

Algaeplant will sich aber nicht nur die Photosynthese-Eigenschaften der Mikroalgen, sondern auch ihre Biomasse zunutze machen. „Wir wollen alles, was wir aus den Mikroalgen produzieren, auch nutzen und verwerten“, erklärt Reuse das „Zero-Waste-Konzept“ des Start-ups. Konkret sieht die Geschäftsidee folgendermaßen aus: Die Gründer wenden sich an kleine und mittelständische Industrieunternehmen mit der Anfrage, auf deren Unternehmensgelände Algenreaktoren aufzustellen. „Für die Unternehmen hat das den Vorteil, dass sie einen gewissen Teil ihres CO2-Ausstoßes einsparen“, sagt Reuse. Dafür stellen sie dem Start-up Strom, Wasser und gegebenenfalls Abwärme für das Wachstum der Algen zur Verfügung. Während die Industriekunden durch diese „dezentrale Dekarbonisierung“ (Reuse) also eine Reduktion bei den Kosten ihrer CO2-Zertifikate erreichen, mit Prozessen direkt auf dem eigenen Betriebshof, mit denen sich auch gut werben ließe, bleibt die durch den Prozess entstandene Biomasse im Besitz von Algaeplant. In getrocknetem Zustand wird diese einmal pro Woche, klimaneutral mit einem E-Transporter, zu einer zentralen Produktions- bzw. Extraktionsanlage gebracht.
Dort werden die Zellen der Mikroalgen aufgeschlossen und wertvolle Pigmente und Omega-3-Fettsäuren einzeln aus der Biomasse extrahiert. „Die Produkte werden dann auf den entsprechenden Zielmärkten vertrieben“, skizziert Reuse den finalen Schritt, mit dem das Start-up am Ende Geld verdienen will. Die Zielmärkte, um die es geht, seien im Bereich Naturkosmetik, und, im Falle des Algenöls, auch im Lebensmittelbereich angesiedelt. Längerfristig liebäugelt das Start-up außerdem mit der Produktion von grünem Wasserstoff mittels der Mikroalgen.
Etwa 20 bis 30 solcher dezentralen Algenreaktoren schweben den Gründern in unserer Region mittelfristig vor, im Jahr 2027 soll ihrer Roadmap zufolge der Markteintritt erfolgen. Derzeit bewerben sich Briese und Reuse um ein Exist-Gründungsstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums, um nach der ausgelaufenen Förderung durch die NBank für ein weiteres Jahr finanziellen Handlungsspielraum zu haben. Spätestens danach brauche man aber finanzstarke Partner oder Investoren für die Anschaffung der nötigen Anlagen, stellen die Gründer klar.
Die erste Industriepartnerschaft soll indes schon früher angebahnt werden. „Wir haben zuletzt erfolgreiche Gespräche geführt und wollen noch in diesem Jahr mit einem Pilotprojekt starten, bei dem wir eine erste Pilotanlage auf dem Gelände eines Industriepartners installieren“, beschreibt Hai Linh Briese, wie es nun weitergeht. Die winzig kleinen Klimaschützer aus dem Meer sollen also noch in diesem Jahr ihre Arbeit in unserer Region aufnehmen.
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