Vorfahrt für grüne Kraftstoffe

Zwar sind die Emissionen pro Personen- bzw. Tonnenkilometer in den vergangenen Jahren stetig gesunken, aufgrund der Zunahme des Verkehrs und der Fahrleistung sind die Emissionen des Verkehrssektors absolut jedoch gestiegen und machen heute mehr als ein Viertel der gesamten Treibhausgasemissionen der EU aus. 70 % davon entfallen auf den Straßenverkehr mit Pkw, Lkw, Nutzfahrzeugen und Bussen, der Rest im Wesentlichen auf den Schiffs- und Luftverkehr. Bis zum Jahr 2050 sollen die verkehrsbedingten Emissionen um 90 % verringert werden. Erreichen will dies die EU-Kommission durch CO2-Bepreisung, alternative Kraftstoffe und intelligente Verkehrskonzepte. Auch wenn die Vorschläge in Parlament und Rat noch diskutiert und verhandelt werden, sind einige Folgen für die Verkehrswirtschaft schon absehbar:

CO2-Bepreisung: Fossile Kraftstoffe bleiben Kostentreiber

Werden die Kraftstoffpreise seit Jahresbeginn 2022 vor allem durch die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise und den Ukraine-Krieg in die Höhe getrieben, wird zukünftig die CO2-Bepreisung ein immer bedeutender Kostenfaktor werden.
In das bestehende europäische Emissionshandelssystem, EU-ETS, ist bisher nur der Luftverkehr einbezogen (seit 2012). Betroffen davon sind Flüge innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) sowie in die Schweiz und das Vereinigte Königreich. Wie für die Industrie auch soll die Zahl der jährlich auszugebenden Zertifikate für den Luftverkehr deutlich schneller als bisher vorgesehen abgesenkt und die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten bis 2026 schrittweise abgeschafft werden, was sich in höheren Luftfrachtraten niederschlagen dürfte. Betroffen davon sind weiterhin nur innereuropäische Flüge. Für den Luftverkehr aus und nach Drittstatten soll das internationale ICAO-System zur Verrechnung und Reduzierung von Kohlenstoffdioxid (CORSIA) umgesetzt werden.
In den EU-ETS aufgenommen werden soll ab 2023 zusätzlich der Seeverkehr mit Schiffen über 5.000 BRZ (Bruttoregisterzahl) – und hier nicht nur die Emissionen aus Fahrten innerhalb der EU, sondern auch 50 % aus Fahrten, die außerhalb der EU beginnen oder enden, sowie die Emissionen von Schiffen am Liegeplatz in EU-Häfen – unabhängig von der Flagge, unter der ein Schiff fährt. Damit will die Kommission ein Preissignal setzen, das Anreize für Energieeffizienzverbesserungen und CO2-arme Lösungen schafft und den Preisunterschied zwischen alternativen Kraftstoffen und herkömmlichen Schiffstreibstoffen verringert. In einer Übergangsphase sollen Schifffahrtsunternehmen ihre Emissionen zunächst nur zu einem Teil mit Zertifikaten abdecken müssen, bis nach drei Jahren 100 % erreicht werden sollen.
Für Emissionen aus dem Straßenverkehr (wie auch Gebäudeemissionen) soll ein zweites gesondertes Emissionshandelssystem, EU-ETS II, eingerichtet werden. Hinsichtlich des Starts dieses Systems liegen die Verhandlungspositionen von EU-Parlament und Rat jedoch noch weit auseinander. Die Funktionsweise soll ähnlich dem bestehenden nationalen Emissionshandel in Deutschland – ansetzend an den Brennstoffen – ausgestaltet werden. 
Unabhängig vom Verkehrsträger werden fossile Kraftstoffe also einer stärkeren CO2-Bepreisung unterliegen. Entscheidend wird sein, ob und inwieweit diese zusätzlichen Kosten durch höhere Frachtraten an Kunden weitergegeben werden können.

Alternative Kraftstoffe: Fuhrpark der Zukunft

Über das „Aus“ für Verbrenner in Pkw und leichten Nutzfahrzeugen besteht zwischen Parlament und Rat der EU bereits weitgehend Einigkeit. Ab 2035 sollen keine Neuwagen mit klassischem Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden dürfen. Erlaubt sein sollen dann nur noch „Zero Emission Vehicles“, die im Betrieb kein CO2 ausstoßen – also E-Fahrzeuge oder Fahrzeuge mit Brennstoffzellen. Über mögliche Sonderregelungen für Pkw, die mit klimaneutralen E-Fuels betrieben werden, wird derzeit noch verhandelt.
Neue Emissionsnormen für Lkw und schwere Nutzfahrzeuge will die EU-Kommission im IV. Quartal 2022 vorschlagen – auch für diese Fahrzeugklassen ist mit einer deutlichen Verschärfung der Emissionsgrenzwerte zu rechnen, denn langfristig soll auch der Schwerverkehr klimaneutral unterwegs sein. Überwiegen im Moment noch Anwendungen im innerstädtischen Bus- und Verteilerverkehr, so wird die Elektrifizierung von (schweren) Nutzfahrzeugen auch auf der Langstrecke in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer wichtiger werden. Zurzeit sind die dafür notwendigen Akkus noch groß und schwer. Als Alternative auf der Langstrecke bietet sich der Einsatz von Brennstoffzellen an. Dem trägt auch die EU-Kommission Rechnung, indem sie in ihrer Wasserstoffstrategie den Schwerlastverkehr als einen bevorzugten Anwendungsbereich vorsieht – sowohl auf der Straße als auch im Luft- und Seeverkehr, für die mit den Initiativen „ReFuelEU Aviation“ und „FuelEU Maritime“ eigene Dekarbonisierungspfade festgeschrieben werden sollen.
Die Zusammensetzung von Fahrzeugflotten wird sich in den kommenden Jahren also deutlich wandeln. Neben momentan teils deutlich höheren Anschaffungskosten emissionsfreier Fahrzeuge liegt eine weitere Herausforderung in der noch unzureichend ausgebauten Lade- und Tankinfrastruktur. Im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets hat die EU-Kommission deshalb für die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe ambitionierte Ausbauziele vorgeschlagen. Hierzu haben sich bisher jedoch weder das Parlament noch der Rat positioniert. Zudem stehen die Ziele als nicht realisierbar in der öffentlichen Kritik.

Massenverkehre: Runter von der Straße

Bei der grünen Verkehrswende setzt die EU nicht allein auf den zunehmenden Einsatz emissionsfreier Fahrzeuge im Straßenverkehr. Sie will das Güterverkehrsaufkommen außerdem verstärkt auf Schiene, Binnenschifffahrt und den Kurzstreckenseeverkehr verlagern. Bis 2030 soll der Schienengüterverkehr um 50 %, der Binnenschiffs- und Kurzseestreckenverkehr um 25 % zunehmen. Entsprechend sollen Schienen-, Wasserwege und Umschlagsinfrastrukturen ausgebaut und Kapazitäten durch Digitalisierung und Automatisierung erhöht werden. So sollen die Stärken verschiedener Verkehrsträger genutzt und effizient kombiniert werden können. Die angestrebte Standardisierung könnte außerdem zu einer Reduzierung des Verwaltungsaufwands intermodaler Verkehre führen.
Auch im Personenverkehr soll der Schienenverkehr und der ÖPNV gefördert werden. Dabei steht auch die innerstädtische Mobilität im Fokus. Neben dem ÖPNV soll hier der aktiven Mobilität, also Gehen und Radfahren, Vorrang eingeräumt werden, was sich auch auf Lieferverkehre „auf der letzten Meile“ auswirken könnte.

Gebäudeenergieeffizienz: Auch die Lagerei ist betroffen

Verkehrsdienstleistungen werden häufig in Verbindung mit Lagerdienstleistungen angeboten. Dafür müssen entsprechende Lagerhallen und -plätze betrieben werden. Dafür werden oft große Flächen und erhebliche Mengen an Energie benötiget, insbesondere wenn bestimmte Lagerbedingungen, z. B. hinsichtlich der Temperatur etc., zu gewährleisten sind.
Um natürliche CO2-Senken zu stärken oder wiederherzustellen, sieht der Green Deal Maßnahmen zum Schutz von Gewässern, Wäldern und Ökosystemen vor. Dafür sollen bis 2030 z. B. drei Milliarden Bäume gepflanzt und Schutzgebiete ausgeweitet werden. Weniger Flächen sollen versiegelt werden. Grundsätzlich strebt die EU bis 2050 den „Netto-Null-Flächenverbrauch“ an. Großflächige Logistikstandorte werden also einer stetig steigenden Flächenkonkurrenz ausgesetzt sein.
Laut EU sind die Gebäude der größte Energieverbraucher in Europa. Auf sie entfallen 40 % des Energieverbrauchs und etwa 36 % der Treibhausgasemissionen. Ursachen dafür sind v. a. die mangelnde Energieeffizienz insbesondere älterer Gebäude sowie der Einsatz von fossilen Brennstoffen in der Wärme- und Kälteversorgung. Daher formuliert der Green Deal auch für den Gebäudesektor ehrgeizige Ziele:
  • Bis 2030 sollen alle Neubauten emissionsfrei sein.
  • 15 % des Bestands an Nichtwohngebäuden mit der schlechtesten Energieeffizienz sollen bis 2027 modernisiert werden.
  • Heizkessel, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, sollen verschwinden.
  • Dafür sollen Solaranlagen auf den Dächern zukünftig Pflicht werden. (Was für Neubauten in Niedersachsen bereits ohnehin schon beschlossen ist.)
Allerdings besteht angesichts der hohen Energiekosten und der steigenden CO2-Bepreisung fossiler Brennstoffe im nationalen und ggf. zukünftig auch zweitem europäischen Emissionshandel schon heute genug Anlass dafür, Energieeffizienzmaßnahmen durchzuführen und in den Einsatz erneuerbare Energien zu investieren. Nicht zuletzt stehen dafür umfangreiche Fördermittel bereit.

Sustainable Finance: Taxonomie bestimmt, was “grün” ist

Die grüne Transformation der Wirtschaft – einschließlich der Verkehrswende – wird nicht allein aus EU-Haushaltsmitteln finanziert werden können. Auch private Mittel sollen in Investitionen in Klima- und Umweltschutz gelenkt werden. Dazu hat die EU mit der Taxonomie ein Regelwerk zur Klassifizierung der Nachhaltigkeit von Wirtschaftstätigkeiten geschaffen. Gerade die Verkehrswirtschaft ist dabei bereits umfassend in den Kriterienkatalog aufgenommen – dies gilt sowohl für den Erwerb, die Finanzierung, und den Betrieb von Verkehrsmitteln als auch den Bau, die Modernisierung, Wartung und den Betrieb der notwendigen Verkehrsinfrastruktur. Förderprogramme und – in absehbarer Zeit – auch Banken werden sich an diesen strengen Nachhaltigkeitskriterien orientieren, denn Banken werden künftig die sog. „Green Asset Ratio“ ausweisen müssen – also den Anteil „grüner“ Vermögenswerte in der Bilanz. Darüber hinaus sind sie angehalten, Nachhaltigkeitsrisiken bei der Kreditvergabe „angemessen“ zu berücksichtigen.
Auch in der Nachhaltigkeitsberichterstattung ist zukünftig zwischen nachhaltigen (taxonomiekonformen) und nicht nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten zu unterscheiden. Der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen soll zudem deutlich ausgeweitet werden und voraussichtlich spätestens ab dem Geschäftsjahr 2025 alle großen Unternehmen im Sinne des § 267 HGB umfassen. Aber auch kleinere Betriebe müssen sich mit den Nachhaltigkeitsstandards auseinandersetzen, denn sie werden ihren berichtspflichtigen Lieferanten und Kunden entsprechende Daten zur Nachhaltigkeit ihrer Dienstleistungen bzw. Produkte zur Verfügung stellen müssen.