Nachhaltiger Wandel im Handel

Mit dem Green Deal hat sich die EU ein umfassendes Programm für mehr Umwelt- und Klimaschutz auferlegt. Ein ganz entscheidendes Element dabei ist der Ausbau der Kreislaufwirtschaft: Produkte sollen langlebiger und besser wiederverwendbar werden, Konsum sehr viel nachhaltiger. Darauf und auf viele andere Maßnahmen des Green Deal wird sich der Handel einstellen müssen. 

CO2-Bepreisung – Gefahr für die internationale Wettbewerbsfähigkeit?

Zentrales Element des Klimaschutzes in der EU ist bereits seit 2005 der Europäische Emissionshandel, kurz EU-ETS. Von dem bisherigen Handelssystem werden insbesondere die Energiewirtschaft und energieintensive Anlagen des Industriesektors erfasst. Gesteuert wird das EU-ETS durch die Anzahl der ausgegebenen Emissionszertifikate. Je nach handelbarer Menge steigen und fallen die Preise für den CO2-Ausstoß am Markt. 
Mit dem „Fit for 55“-Paket wird vorgeschlagen, die Zahl der jährlich auszugebenden Zertifikate deutlich schneller abzusenken als bisher vorgesehen, mit der Folge, dass direkt betroffene Produkte, wie z. B. Stahl, Aluminium, Zement oder chemische Grundstoffe – aber indirekt letztlich auch daraus hergestellte Produkte – mit deutlich steigenden CO2-Preisen belastet werden. Auch soll die freie Zuteilung von Emissionszertifikaten, die bisher in starkem internationalen Wettbewerb stehende Branchen vor Carbon-Leakage schützt, abgeschafft werden. Stattdessen soll ein CO2-Grenzausgleichssystem, der sog. CBAM, eingeführt werden, durch den Importe mit einer CO2-Abgabe belastet werden.
Der Handel könnte von dieser Entwicklung mehrfach betroffen sein:
  • Steigende CO2-Preise und damit teurere Produkte führen zu Einbußen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit – nicht nur für die Hersteller, sondern auch für Händler, die europäische Produkte am Weltmarkt anbieten.
  • Die Abwicklung der CO2-Abgabe im Rahmen des CBAM wird den Importeuren obliegen. Den Händlern, die entsprechende Roh-, Grundstoffe und Vorprodukte aus Drittstaaten einführen, werden die damit verbundenen bürokratischen Pflichten auferlegt.
  • Die Vereinbarkeit des CBAM mit den Regelungen der WTO wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Mögliche Verwerfungen im internationalen Handel würden auch deutschen Händlern schaden.
Neben dem bestehenden EU-ETS soll ein gesondertes Emissionshandelssystem, EU-ETS II, für Emissionen aus Gebäuden und Verkehr eingerichtet werden. Hinsichtlich des Starts dieses Systems liegen die Verhandlungspositionen von EU Parlament und Rat jedoch noch weit auseinander. Die Funktionsweise soll ähnlich dem bestehenden nationalen Emissionshandel in Deutschland – also ansetzend an den Brennstoffen – ausgestaltet werden. Sofern das deutsche System im europäischen aufgehen würde, könnte dies zu einer Angleichung der innereuropäischen Wettbewerbsbedingungen führen – nicht jedoch im internationalen Handel mit Drittstaaten.

Kreislaufwirtschaft – Heute gekauft, morgen gemietet?

Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft gilt als weiterer elementarer Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität. Mit dem Aktionsplan Kreislaufwirtschaft werden insgesamt 35 legislative und nichtlegislative Initiativen für den gesamten Lebenszyklus von Produkten angekündigt – vom Design und der Herstellung bis zum Verbrauch, zur Reparatur, Wiederverwendung und zum Recycling, um Ressourcen wieder in den Produktionszyklus zurückzuführen. Aktuell stammt etwa die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen aus der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung. Ziel des Aktionsplans ist es, den Konsum-Fußabdruck der EU zu verrin¬gern und den Anteil kreislauforientiert verwendeter Materialien in der EU in den kommenden zehn Jahren zu verdoppeln. 
Alle Maßnahmen zielen darauf ab, einen kohärenten Rahmen für eine Produktpolitik zu schaffen, durch die nachhaltige Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle zur Norm werden, und die Verbrauchsmuster so zu verändern, dass von vornherein kein Abfall erzeugt wird. Dem Handel als Bindeglied zwischen Herstellern und Kunden kommt dabei eine besondere Bedeutung zu – dies gilt insbesondere im B2C-Geschäft. Diskutiert werden hier z. B.:
  • zusätzliche Informations- und Mitteilungspflichten, insbesondere hinsichtlich der Umweltwirkungen eines Produkts,
  • ein „Recht auf Reparatur“, das ggf. längere Gewährleitungsfristen umfasst,
  • der Ausbau von Sammel- und Rücknahmesystemen für weitere Produktgruppen,
  • Regelungen zum Umgang mit nicht verkaufter Ware.
Das Verbraucherverhalten soll dahingehend beeinflusst werden, dass seltener Neuware gekauft und stattdessen eher repariert und nachgerüstet oder aber auch ein gebrauchtes Gerät erworben wird. Damit dürfte das „klassische“ Handelsvolumen sinken, sich dafür aber neue Chancen in der „Zweitverwertung“ auftun, die gerade auch von Handel schon ergriffen werden (z.B. Second Hand im Textilbereich, Verkauf von B-Waren im Elektronikgeschäft, Repair Cafés im Fahrrandhandel u. ä.), aber zukünftig noch stärker in den Blick genommen werden müssen.
Langfristig zielen die Vorstellungen der EU-Kommission auf eine Abkehr vom Besitz eines Produkts hin zum „Kauf“ des Nutzens an einem Produkt – also Sharing- und „Product-as-a-Service“-Modellen, was im Handel mit langlebigen Gebrauchsgütern eine völlige Neuausrichtung von Geschäftsmodellen erfordern wird.

Gebäudeenergieeffizient – Kommt die große Renovierungswelle?

Laut EU sind die Gebäude der größte Energieverbraucher in Europa. Auf sie entfallen 40% des Energieverbrauchs und etwa 36% der Treibhausgasemissionen. Ursachen dafür sind v. a. die mangelnde Energieeffizienz insbesondere älterer Gebäude sowie der Einsatz von fossilen Brennstoffen in der Wärme- und Kälteversorgung. Daher formuliert der Green Deal auch für den Gebäudesektor ehrgeizige Ziele:
  • Bis 2030 sollen alle Neubauten emissionsfrei sein.
  • 15 % des Bestands an Nichtwohngebäuden mit der schlechtesten Energieeffizienz sollen bis 2027 modernisiert werden.
  • Heizkessel, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, sollen verschwinden.
  • Dafür sollen Solaranlagen auf den Dächern zukünftig Pflicht werden. (Was für Neubauten in Niedersachsen allerdings bereits ohnehin schon beschlossen ist.)
Entsprechend noch auszugestaltende EU- und nationale Rechtsvorschriften werden auch für Verkaufs-, Verwaltungs- und Logistikgebäude des Handels gelten. Allerdings besteht angesichts der hohen Energiekosten und der steigenden CO2-Bepreisung fossiler Brennstoffe im nationalen und ggf. zukünftig auch zweitem europäischen Emissionshandel schon heute genug Anlass dafür, Energieeffizienzmaßnahmen durchzuführen und in den Einsatz erneuerbare Energien zu investieren. Nicht zuletzt stehen dafür umfangreiche Fördermittel bereit.

Dekarbonisierung des Verkehrssektors – Nur noch zu Fuß in die Innenstadt?

Im Gegensatz zu den meisten anderen Sektoren, in denen die Emissionen seit 1990 gesunken sind, verzeichnet der Verkehrssektor einen Anstieg. Die Initiativen des Green Deal zielen daher auf ein effizienteres Verkehrssystem und einen Übergang zu CO2-armen Verkehrsarten und emissionsfreien Kraftstoffen. Der Verbrenner in Pkw und leichten Nutzfahrzeugen steht 2035 wahrscheinlich vor dem Aus. Auch im Schwerlast-, Schiffs- und Luftverkehr soll der Anteil alternativer Kraftstoffe erhöht werden. Die nationale CO2-Bepreisung, zukünftig auch die Einbeziehung in der EU-Emissionshandel, könnten schon kurzfristig weiter steigende Logistikkosten nach sich ziehen, die vom Handel im Zweifel nicht (vollständig) an die Kunden weitergegeben werden können.
Ein besonderes Augenmerk liegt auch auf der urbanen Mobilität. Im Stadtverkehr sollen der öffentliche Verkehr und die aktive Mobilität, also Gehen und Radfahren, gefördert werden – mit den entsprechenden Herausforderungen für die Erreichbarkeit von Innenstadtlagen und Lieferverkehre auf der letzten Meile.
Gerade im ländlichen Raum wird der innerstädtische Handel aber auch weiter für Pkw-Kunden erreichbar bleiben müssen. Der Einzelhandel, insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel, ist schon heute Vorreiter beim Ausbau von Ladesäulen auf Kundenparkplätzen. Mit dem Übergang zur E-Mobilität kann ein sinnvolles flächendeckendes Netz an Ladesäulen zur Attraktivität von Einzelhandelsstandorten beitragen.

Biodiversität und Ökosysteme – Mehr Platz für die Natur?

Moore, Wälder und andere Naturflächen speichern als Senken CO2 aus der Atmosphäre. Daher sieht der Green Deal Maßnahmen zum Schutz von Gewässern, Wäldern und Ökosystemen vor, um natürliche CO2-Senken zu stärken oder wiederherzustellen. Dafür sollen bis 2030 z. B. drei Milliarden Bäume gepflanzt und Schutzgebiete ausgeweitet werden. Weniger Flächen sollen versiegelt werden. Grundsätzlich strebt die EU bis 2050 den „Netto-Null-Flächenverbrauch“ an. Großflächige Handels- und Logistikstandorte werden also einer stetig steigenden Flächenkonkurrenz ausgesetzt sein.
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ mit einerseits vielen Initiativen, die die Primärerzeugung von Lebensmitteln und damit überwiegend die Landwirtschaft betreffen (z. B. Ausbau der ökologischen Landwirtschaft und Reduzierung des Pestizideinsatzes), mit der anderseits aber auch die Lebensmittelindustrie, der Handel und die Gastronomie zu mehr Nachhaltigkeit verpflichtet werden sollen. Dies betrifft u. a. Nährwertprofile, Marketingpraktiken, verpflichtende Nährwertkennzeichnungen und die Verringerung von Lebensmittelabfällen. Der ländlich geprägte Elbe-Weser-Raum mit seinen zahlreichen Hofläden bietet hierfür bereits jetzt schon optimale Voraussetzungen.

Sustainable Finance – Sind nur noch „grüne“ Produkte finanzierbar?

Die grüne Transformation der Wirtschaft wird nicht allein aus EU-Haushaltsmitteln finanziert werden können. Auch private Mittel sollen in Investitionen in Klima- und Umweltschutz gelenkt werden. Dazu hat die EU mit der Taxonomie ein Regelwerk zur Klassifizierung der Nachhaltigkeit von Wirtschaftstätigkeiten geschaffen. Außerdem werden die Nachhaltigkeitsberichtspflichten deutlich ausgeweitet und betreffen voraussichtlich spätestens ab dem Geschäftsjahr 2025 alle großen Unternehmen im Sinne des § 267 HGB.
Aber auch kleinere Betriebe müssen sich mit Nachhaltigkeitsstandards auseinandersetzen, denn sie werden berichtspflichtigen Lieferanten und Kunden Auskunft über die eigene Nachhaltigkeitsleistung geben müssen. Dies gilt im Übrigen auch gegenüber der eigenen Hausbank. Banken werden künftig die sog. „Green Asset Ratio“ ausweisen müssen – also den Anteil „grüner“ Vermögenswerte in der Bilanz. Darüber hinaus sind sie angehalten, Nachhaltigkeitsrisiken bei der Kreditvergabe „angemessen“ zu berücksichtigen. Der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten wird dann also auch von der eigenen Nachhaltigkeit und der Auskunftsfähigkeit darüber abhängen.