Kritik an geplantem Unternehmensstrafrecht

Sechs Bundesländer haben sich gegen das von der Bundesregierung geplante Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft verbündet – allen voran Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern. Zur Verhinderung des Vorhabens brachten sie Anfang September auf Initiative Baden-Württembergs in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Bundesrates einen entsprechenden Antrag ein, der im Ausschuss jedoch keine Mehrheit fand. Hauptkritikpunkte der Länder sind die Verfassungswidrigkeit des Gesetzesentwurfs, nach dem Unternehmen schuldlos für das Fehlverhalten Einzelner haften, sowie die Unverhältnismäßigkeit der vorgesehenen Sanktionen.

In der Plenarsitzung am 18. September 2020 hat sich der Bundesrat ausführlich mit dem Gesetzesentwurf befasst. Die Generalablehnung des Entwurfs fand nicht die erforderliche absolute Mehrheit im Plenum. Stattdessen weist der Bundesrat auf fachlichen Änderungs- oder Streichungsbedarf an verschiedenen Passagen des Regierungsentwurfs hin. Zum einen sollen kleine und mittlere Unternehmen nicht überfordert werden, zum anderen soll eine Überlastung der Justiz vermieden werden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung nun um Prüfung der entsprechenden Teile des Gesetzesentwurfs.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) plant mit einem "Verbandssanktionengesetz" eine neue Form strafrechtlicher Haftung von juristischen Personen einzuführen. Das zurzeit im Referentenentwurf vorliegende "Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft" soll die Möglichkeiten zur Sanktionierung von Straftaten aus Unternehmen heraus deutlich ausweiten. Das Unternehmen selbst soll künftig Beschuldigter mit allen Rechten und Pflichten sein, bestraft wird die sogenannte „Verbandstat“. Die Wirtschaft hat sich geschlossen gegen das Gesetz positioniert. Der DIHK gab fristgerecht eine kritische Stellungnahme beim BMJV ab. Unbeeindruckt davon beschloss das Kabinett den Gesetzentwurf – und zwar ohne Änderungen. Der Gesetzentwurf wird voraussichtlich im Herbst im Bundesrat und danach im Bundestag beraten werden. Der DIHK wird die Zeit bis zur Bundesratsbefassung nutzen, um Politiker auf Landesebene zu mobilisieren und dadurch das Gesetzgebungsverfahren im Sinne der Unternehmen zu beeinflussen. Das Gesetz soll 2021 verkündet werden und 2023 in Kraft treten.
Die wichtigsten Kritikpunkte aus Sicht der Wirtschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Kriminalisierung der Wirtschaft

  • Das Gesetz stärkt nicht die Integrität in der Wirtschaft, sondern stellt vielmehr die Integrität der Wirtschaft in Frage.
  • Es kriminalisiert alle Unternehmen, auch und gerade die rechtschaffenen.
  • Nach dem Gesetzesentwurf ruft bereits eine arbeitsteilige Organisation in Unternehmen kriminelle Handlungen hervor.
  • Dadurch werden alle Unternehmen unter Generalverdacht gestellt.
  • Durch die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung (wenn auch mit der neu eingefügten Einschränkung, dass dies zur Information der durch die Verbandstat Geschädigten erfolgt) mag eine „Prangerwirkung“ zwar nicht beabsichtigt sein, findet aber zwangsläufig statt.
  • Unabhängig von den Anstrengungen, die ein Unternehmen unternommen hat, um Straftaten durch Mitarbeiter zu verhindern, soll es bestraft werden.
  • Bereits zu Ermittlungsbeginn wäre der Ruf (und damit auch der Wert) eines Unternehmens irreversibel geschädigt, selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Vorwurf unbegründet war.
  • Dies erschwert auch die Unternehmensnachfolge insb. bei KMU, da der Nachfolger das Risiko trägt, für Verbandssanktionen des zu übernehmenden Unternehmens haften zu müssen

Gesetz mitten in der Corona-Krise zur Unzeit

  • Die Unternehmen sind durch die COVID-19-Pandemie Belastungen ausgesetzt, die derzeit in ihrem vollen Ausmaß noch nicht absehbar sind.
  • Gerade in dieser ohnehin kritischen Zeit stellt die Umstellung auf das neue Gesetz für die Unternehmen in finanzieller und personeller Hinsicht einen großen Kraftakt dar.
  • Bereits zum jetzigen Zeitpunkt müssten die Unternehmen damit beginnen, interne Compliance-Prozesse einzuführen und entsprechende Organisationsprozesse zu überprüfen und anzupassen.

Keine Notwendigkeit für ein Verbandssanktionengesetz

  • Die Sanktionierung von Unternehmen über das Straf-, Gewerbe- und Ordnungswidrigkeitenrecht ist absolut ausreichend.
  • Etwaige „Strafbarkeitslücken“ könnten auch über eine Anpassung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) geschlossen werden.
  • Im Übrigen ist die Wirtschaftskriminalität mit Blick auf die Kriminalstatistik rückläufig und die Aufklärungsquote in diesem Bereich hoch.

Unvereinbarkeit mit dem Schuldprinzip

  • Das geplante Gesetz ist mit dem im deutschen Strafrecht geltenden Schuldprinzip unvereinbar, wonach niemand für eine Tat bestraft werden darf, wenn ihn keine Schuld trifft.
  • Strafrechtliche Schuld meint persönliche Vorwerfbarkeit und setzt das Bewusstsein voraus, Unrecht zu tun. Dieses Bewusstsein kann aber nur bei natürlichen Personen, nicht aber bei Unternehmen vorhanden sein kann.
  • Das deutsche Strafrecht lässt daher nur die Bestrafung natürlicher Personen zu, nicht des Unternehmens selbst.

Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz

  •  Die zukünftig zu bestrafende “Verbandstat” ist zu unbestimmt.
  • Das Verhalten Dritter (also jeder Art von Leitungspersonen) wird verschuldensunabhängig zugerechnet mit der Folge, dass ein Unternehmen ohne eigene Verantwortlichkeit für Straftaten eines Dritten haftet, auf die es keinerlei Einfluss hatte.
  • Es bleibt im Kern unklar, worin genau das vorwerfbare Verhalten liegt. Das Unternehmen haftet für die bloße wirtschaftliche Tätigkeit selbst.
  • Ein Unternehmen muss aber wissen, was es tun muss, um sich rechtskonform zu verhalten.

Die Strafe trifft die Falschen

  • Statt die mit krimineller Energie handelnden Täter treffen die Sanktionen diejenigen, denen kein Vorwurf gemacht werden kann: Anteilseigner, Arbeitnehmer und Geschäftspartner.
  • Da sich Sanktionen grundsätzlich auf den Gewinn auswirken wird, werden Anteilseigner weniger verdienen.
  • Arbeitsplätze unbeteiligter Arbeitnehmer in den betroffenen Unternehmen sowie bei deren Geschäftspartnern werden gefährdet.

Das Ermittlungsverfahren wird auf Kosten der Unternehmen privatisiert

  • Mit der Einrichtung von Compliance-Systemen und der Durchführung verbandsinterner Untersuchungen (Internal Investigations) durch Experten sind hohe Kosten verbunden.
  • Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wird dadurch in die Unternehmen ausgelagert und die Unternehmen werden zum verlängerten Arm der Staatsanwaltschaften gemacht.
  • Unternehmen sollen selbst interne Ermittlungen anstellen, ohne dass die Rechte und Pflichten der Beteiligten ausreichend klar sind.

Gesetz löst Defizite bei der Strafverfolgung nicht

  • Nach bisheriger Rechtslage liegt die Ahndung auch schwerster Wirtschaftskriminalität allein im Ermessen der Strafverfolgungsbehörde, was angeblich zu einer uneinheitlichen und unzureichenden Strafverfolgung geführt hat.
  • Das eigentliche Problem fehlender Kapazitäten bei den Staatsanwaltschaften wird jedoch durch die Einführung einer Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörde zum Einschreiten bei Anfangsverdacht nicht gelöst.
  • Soweit bei den Staatsanwaltschaften personelle Ressourcen für eine effektive Strafverfolgung fehlen oder diese regional unterschiedlich gehandhabt wird, folgt dies aus einer politischen Entscheidung der Bundesländer.
  • Zur Lösung bedarf es keines neuen Strafgesetzes, sondern einer besseren Ressourcen-Ausstattung der Staatsanwaltschaften.

Im Vordergrund stehen fiskalische Interessen des Staates

  • Sinn und Zweck des Gesetzes ist vorrangig das finanzielle Interesse des Fiskus.
  • Das Gesetz gibt der Justiz die Möglichkeit, künftig deutlich höhere Bußgelder zu verhängen.
  • Gegen das Unternehmen verhängte Sanktionen fließen in Staatskassen (Landeskassen).