Selbstständig oder abhängig beschäftigt?

Scheinselbstständige sind Erwerbstätige, die zwar den Status eines selbstständigen Unternehmers beanspruchen, deren Tätigkeit tatsächlich aber der eines Arbeitnehmers entspricht.
Denn die Einordnung als Selbstständiger oder abhängig Beschäftigter kann nicht von den Vertragsparteien bestimmt werden, sondern richtet sich objektiv nach der tatsächlichen, inhaltlichen Gestaltung des Tätigkeitsverhältnisses. Scheinselbstständigkeit liegt daher vor, wenn jemand zwar nach der zu Grunde liegenden Vertragsgestaltung selbstständige Dienst- oder Werksleistungen für ein fremdes Unternehmen erbringt, tatsächlich aber nichtselbstständige Arbeiten in einem Arbeitsverhältnis leistet. Dies hat zur Konsequenz, dass Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuerpflichten zu erfüllen sind. Bei einer späteren Feststellung der Scheinselbstständigkeit kann es diesbezüglich zu erheblichen Nachzahlungspflichten kommen.

Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV und Selbstständigkeit

Bis 2002 bestand für Zweifelsfälle eine Vermutungsregelung, wonach bei Vorliegen bestimmter Kriterien die Selbstständigkeit eines Beschäftigten angenommen wurde. Seit dem Wegfall dieser Regelung richtet sich die Frage der Selbstständigkeit allein danach, ob nach einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen Umstände eine nichtselbstständige Arbeit i.S.v.  § 7 Abs. 1 SGB IV vorliegt. Anhaltspunkte dafür sind nach der gesetzlichen Regelung  eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Für eine unselbstständige Tätigkeit i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV sprechen die folgenden Kriterien:
  • Die uneingeschränkte Verpflichtung, allen Weisungen des Auftraggebers Folge zu leisten.
  • Die Verpflichtung, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten.
  • Die Verpflichtung, dem Auftraggeber regelmäßig in kurzen Abständen detaillierte Berichte zukommen zu lassen.
  • Die Verpflichtung, in den Räumen des Auftraggebers oder an von ihm bestimmten Orten zu arbeiten.
  • Die Verpflichtung, bestimmte Hard- und Software zu benutzen, sofern damit insbesondere Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers verbunden sind.
  • Keine eigenen regelmäßigen Beschäftigte (450 Euro Beschäftigungsverhältnisse zählen nicht hierzu).
  • Tätigkeit auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber (dies wird in der Regel angenommen, wenn mindestens 5/6 des Umsatzes bei einem einzigen Auftraggeber erzielt werden).
  • Der Auftraggeber hat Beschäftigte, die dieselben Tätigkeiten verrichten wie der Selbstständige.
  • Keine typischen Merkmale unternehmerischen Handelns (siehe dazu weiter unten).
  • Die Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach einer Tätigkeit, die für denselben Auftraggeber zuvor auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde.
Im Gegensatz dazu ist für eine selbstständige Tätigkeit prägend, dass der Selbstständige das unternehmerische Risiko in vollem Umfang selbst trägt und seine Arbeitszeit frei gestalten kann. Der Erfolg des finanziellen und persönlichen Einsatzes ist dabei ungewiss und hängt nicht von dritter Seite ab. Typische Merkmale unternehmerischen Handelns sind die Erbringung von Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung sowie die eigenständige Entscheidung über
  • Einkaufs- und Verkaufspreise, Warenbezug,
  • personelle Fragen (Einstellung, Entlassung),
  • Einsatz von Kapital und eigener Arbeitsgeräte,
  • Entscheidung über Einkaufs- und Verkaufskonditionen,
  • eigene Kundenakquisition und
  • Werbemaßnahmen und Auftreten als Selbstständiger in der Geschäftswelt (eigene Briefköpfe, Zeitungsannoncen).

Anfrageverfahren zur Statusklärung

Um Zweifel über den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Tätigkeit auszuräumen, gibt es nach § 7 a SGB IV ein Anfrageverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (ehemals BfA), durch das die Beteiligten eine Klärung der Statusfrage erreichen können. Das Anfrageverfahren durch die Beteiligten ist jedoch nur möglich, wenn die Deutsche Rentenversicherung im Zeitpunkt der Antragstellung selbst noch kein Verfahren eingeleitet hat. Innerhalb des Statusverfahrens wird auf die Gesamtsituation abgestellt. Im Vordergrund dieser Betrachtung steht als Merkmal für eine selbstständige Tätigkeit der Grad der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, inwiefern ein unternehmerisches Risiko getragen und unternehmerische Chancen wahrgenommen werden.
Bedeutsam ist auch, dass die Deutsche Rentenversicherung gesetzlich verpflichtet ist, vor ihrer endgültigen Entscheidung, diese vorab bekannt zu machen, um den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, weitere für die Entscheidung erhebliche Tatsachen und rechtliche Gesichtspunkte hervorzubringen. Widerspruch und Klage gegen diese Entscheidung haben aufschiebende Wirkung.
Der Unternehmer kann innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit einen Antrag bei der Rentenversicherung stellen, damit verbindlich festgestellt wird, dass keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt.
Kontaktdaten der Clearingstelle:
Deutsche Rentenversicherung Bund
Clearingstelle für sozialversicherungsrechtliche Statusfragen
10704 Berlin
Service-Telefon: 0800 10004800
http://www.clearingstelle.de

Beginn der Sozialversicherungspflicht

Grundsätzlich tritt bei Feststellung der Scheinselbstständigkeit die Sozialversicherungspflicht mit Aufnahme der Tätigkeit ein, unabhängig davon, ob den Beteiligten das Bestehen der Sozialversicherungspflicht bewusst war. Dies kann zur Folge haben, dass der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge für bis zu vier Jahre nachzahlen muss. Auch steuerrechtlich ergeben sich Veränderungen, die zu Nachforderungen führen können.
Ausnahmsweise tritt die Sozialversicherungspflicht erst zu dem Zeitpunkt ein, in dem eine unanfechtbare Entscheidung über den sozialversicherungsrechtlichen Status vorliegt, wenn
  • innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit ein Antrag auf Statusfeststellung nach § 7 a Abs. 1 SGB IV bei der Deutschen Rentenversicherung Bund gestellt wurde,
  • der Beschäftigte zustimmt und
  • für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht.

Arbeits- und steuerrechtliche Folgen

Bei Feststellung von Scheinselbstständigkeit kann der Betroffene gegebenenfalls seinen Arbeitnehmerstatus vor Gericht einklagen. Wird dieser ihm vom Arbeitsgericht zuerkannt, hat er damit auch alle arbeitsrechtlichen Rechte und Pflichten eines abhängig Beschäftigten wie zum Beispiel Kündigungsschutz, Urlaubsansprüche und Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Steuerrechtlich können Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Gesamtschuldner zur Zahlung der Außenstände in voller Höhe zur Verantwortung gezogen werden. Ferner hat der Scheinselbstständige die auf seinen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer zurückzuerstatten.
Des Weiteren endet mit Feststellung der Scheinselbstständigkeit die unternehmerische Tätigkeit. Dies bedeutet, dass das Gewerbe beim zuständigen Gewerbeamt abzumelden ist.

Arbeitnehmerähnliche Selbstständige – Rentenversicherungspflicht trotz Selbstständigkeit

Nach § 2 SGB VI sind auch „echte“ Selbstständige unter bestimmten Voraussetzungen rentenversicherungspflichtig. Dies ist nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI unter anderem der Fall, wenn ein Selbstständiger als arbeitnehmerähnlich anzusehen ist, weil er keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt (Minijob-Beschäftigungsverhältnisse zählen nicht hierzu) und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist (Faustregel: 5/6 des Umsatzes werden über einen Auftraggeber generiert). Von einer Dauerhaftigkeit der Tätigkeit ist auszugehen, wenn die Tätigkeit im Rahmen eines Dauerauftragsverhältnisses oder eines regelmäßig wiederkehrenden Auftragsverhältnisses erfolgt. Bei einer im Voraus begrenzten und nur vorübergehenden Tätigkeit für einen Auftraggeber (projektbezogene Tätigkeit) wird grundsätzlich keine Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit für nur einen Auftraggeber vorliegen, wenn die Begrenzung innerhalb eines Jahres liegt.
Von dieser Rentenversicherungspflicht für arbeitnehmerähnliche Selbstständige sind aber in den folgenden Fällen auf Antrag Befreiungen möglich.
  • Arbeitnehmerähnliche Selbstständige können für einen Zeitraum von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit (Existenzgründung) von der Versicherungspflicht befreit werden (§ 6 Abs. 1 a S. 1 Nr. 1 SGB VI).
  • Selbstständige, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres erstmalig die Voraussetzungen der Arbeitnehmerähnlichkeit erfüllen, können sich auf Antrag endgültig von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen (§ 6 Abs. 1 a S. 1 Nr. 2 SGB VI).
  • Personen, die bereits am 31. Dezember 1998 eine nach damaligem Recht nicht versicherungspflichtige selbstständige Tätigkeit ausgeübt haben, können sich auf Antrag befreien lassen, wenn sie entweder vor dem 2. Januar 1949 geboren wurden oder bereits vor dem 10. Dezember 1998 eine Alterssicherung im Rahmen einer privaten Lebens- oder Rentenversicherung oder auf Grundlage einer vergleichbaren Form der Vorsorge entsprechend den Forderungen des § 231 Abs. 5 SGB VI aufgebaut haben (§ 231 Abs. 5 SGB VI).

Sonderfall Handelsvertreter

Die seit 2003 aufgehobene Vermutungskriterien-Regelung sah eine besondere Ausnahme für Handelsvertreter i.S.v. § 84 Handelsgesetzbuch vor. Seit dem Wegfall dieser Regelung ist heute auch  für Handelsvertreter nach den oben genannten Kriterien in einer Gesamtwürdigung der Umstände zu entscheiden, ob es sich um eine selbstständige Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung handelt. Indizien für eine Scheinselbstständigkeit bei Handelsvertretern sind beispielsweise Umsatzvorgaben, eng angelegte Kontrollen des Auftraggebers, Anwesenheitspflichten, vorgegebene Termine bei Kunden, Tourenpläne, Urlaubsbestimmungen des Auftraggebers sowie das Verbot, Angestellte einzustellen.
Sofern der Handelsvertreter seine Arbeitszeit und Tätigkeit aber frei einteilen kann und somit tatsächlich selbstständig ist, kann er wie oben dargelegt dennoch rentenversicherungspflichtig sein, wenn er regelmäßig keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt und im Wesentlichen auf Dauer für einen Auftraggeber tätig ist (Arbeitnehmerähnlichkeit, § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI). Wegen der Befreiungsmöglichkeiten in diesem Fall wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Hinweis: Dieser Artikel soll - als Service Ihrer IHK - nur erste Hinweise geben und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl er mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.
Stand: August 2018