Interview: Tag des Ehrenamts

Anja Kröcher ist Ehrenämtlerin aus Leidenschaft. Seit nun fast sechs Jahren prüft sie nebenberuflich in den Bereichen Aus- und Weiterbildung für die IHK Braunschweig. Hauptamtlich arbeitet sie in der Behindertenhilfe, ist dort für die individuelle Qualifizierung und spätere Vermittlung in Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt verantwortlich. Zu ihren Klienten gehören Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen, geistigen oder psychischen Handicaps. Die zusätzliche Bekleidung eines Ehrenamts war für Anja Kröcher eine ganz bewusste Entscheidung. Heute kann sie sich kaum ein anderes Ehrenamt vorstellen. Warum, erzählt sie uns anlässlich zum „Tag des Ehrenamts“ im Interview.
Seit Januar 2017 sind Sie als ehrenamtliche Prüferin für die IHK in den Bereichen Aus- und Weiterbildung tätig. Wie sind Sie zum Ehrenamt gekommen?

Ursprünglich als Führungskraft aus der Wirtschaft kommend, hatte ich schon immer mit Ausbildung und Einarbeitung zu tun. Nicht nur, dass eine fundierte Ausbildung wichtiger denn je ist, es macht auch großen Spaß, sein Wissen weiterzugeben. Durch meine jetzige Tätigkeit erweiterte sich mein Blick auf Qualifizierungsmethoden und individuelle Ausbildungsmöglichkeiten, sodass ich mein gesamtes Fachwissen gern weitergeben wollte. Und ein Ehrenamt, welches mir genügend Flexibilität neben meiner hauptberuflichen Tätigkeit bietet, finde ich ideal.

Warum haben Sie sich für die Prüfertätigkeit als Ehrenamt entschieden?

So kann ich verschiedene Faktoren miteinander verbinden: ich kann etwas tun, was mir Freude macht, von dem ich etwas verstehe, ich treffe Gleichgesinnte, ich bin zeitlich flexibel, es ist eine sinnvolle und wichtige Tätigkeit, die mir ein gutes Gefühl gibt und nebenbei lerne ich selbst immer wieder etwas Neues dazu.

Haben Sie bereits vor Ihrer Prüfertätigkeit bei der IHK Erfahrungen im Ehrenamt gesammelt oder war die ehrenamtliche Tätigkeit komplettes Neuland für Sie?

Tatsächlich habe ich vorher kein Ehrenamt bekleidet. Eigentlich schade, weil man mit einem Ehrenamt nicht nur gibt, sondern selbst auf vielerlei Art davon profitiert. Diese Sichtweise habe ich aber auch erst, seitdem ich ein Ehrenamt ausübe.

Was ist für Sie das Schönste an Ihrem Ehrenamt und welche Leidenschaft steckt dahinter?

Zum einen ist es das Gemeinschaftsgefühl im Prüferteam, der Austausch. Zum anderen empfinde ich diese Tätigkeit als wirklich sinnstiftend und ich freue mich über jede bestandene Prüfung. Das gibt mir zum einen ein zufriedenes Gefühl und die Zuversicht, dem Fachkräftemangel zu trotzen. Nur wer selbst gut ausgebildet ist, kann dieses Niveau weitergeben.

Wie viel Zeit investieren Sie in das Ehrenamt?

Im Bereich der Ausbildung sind die jeweiligen Prüfungstage für die Abschlussprüfungen vorgegeben. Mit dem mündlichen Teil sind es zirka sieben oder acht Tage pro Jahr. Dazu kommen eventuell noch Besprechungen oder Korrekturarbeiten. Im Weiterbildungsbereich ist der Zeitaufwand flexibler. Das ist toll, denn so kann ich langfristig planen, aber auch spontan einspringen, wenn mal Not am Mann oder an der Frau ist.

In der Ausbildung nehmen Sie Prüfungen in Einzelhandelsberufen ab, in der Weiterbildung im Bereich „Ausbildereignungsverordnung“ (AEVO). Worin bestehen aus Ihrer Sicht Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten?

Abgesehen von den vorgegebenen Bestimmungen der einzelnen Ausschussarbeit liegt ein Unterschied im Altersniveau. Hier kann die Herausforderung sein, mit den Gepflogenheiten junger Erwachsener gleichermaßen umzugehen, wie auch mit gestandenen Persönlichkeiten aus dem Berufsleben. Natürlich scheint die Prüfung im Einzelhandel vermeintlich leichter von der Hand zu gehen, da ich ja selbst Fachfrau auf dem Gebiet bin, dafür bietet aber die Prüfung der AEVO sehr viel Abwechslung und oftmals lernt man selber noch etwas dazu.

In der Aus- und Weiterbildung finden sich verschiedene Generationen wieder. Erfordert das Ehrenamt an der einen oder anderen Stelle einen differenzierten Umgang mit den Teilnehmern?

Ich finde es wichtig, auf jeden Teilnehmer individuell einzugehen und in jeder Situation einen respektvollen Umgang zu pflegen. Da spielt das Alter erstmal keine Rolle, eher die Persönlichkeit. Sich hier schnell auf jemanden einstellen zu können, ihn abzuholen, wo er steht und ihn entsprechend zu fordern, sollte das Ziel sein. Denn Prüfende wünschen sich für Teilnehmende auch möglichst gute Prüfungsergebnisse

Im Herbst 2022 wurden Sie erneut in den AEVO-Prüfungsausschuss berufen. Mussten Sie lange überlegen, ob Sie das Amt für weitere fünf Jahre annehmen?

Nein, ganz im Gegenteil. Es wird ja immer wichtiger, Fachkräfte auszubilden. Viele Betriebe überlegen, ob sie überhaupt noch ausbilden. Und das hat leider seine Gründe. Hier kann ich meinen Beitrag leisten, dem entgegenzuwirken. Wenn mein Betrieb einen gut ausgebildeten Ausbilder hat, habe ich auch gut ausgebildete Fachkräfte.

Haben Sie das Gefühl, dass ehrenamtliche Tätigkeit in unserer Gesellschaft ausreichend sichtbar ist?

Teils, teils. Für Personen, die selbst ehrenamtlich tätig sind, ist die Vielfalt ehrenamtlicher Arbeit sicherlich sichtbarer. Menschen, die keinen Zugang zum Ehrenamt haben, nehmen dies vielleicht weniger wahr. Ich erlebe durchaus eine große Wertschätzung dieser Tätigkeit. Dennoch könnte es noch selbstverständlicher sein, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Es wird oft vergessen, oder gar nicht darüber nachgedacht, welche Bereiche nur durch ehrenamtliches Engagement erhalten bleiben.

Wenn Sie Unentschlossene für ein Ehrenamt begeistern sollten, was würden Sie ihnen sagen?

Sie sollten überlegen, für welches Thema Sie brennen, was Ihnen wichtig ist, Spaß macht und welches Potenzial Sie mitbringen. Suchen Sie nach einer ehrenamtlichen Tätigkeit, die das alles vereint. Probieren Sie es aus! Sie werden vielleicht bemerken, dass Sie mehr zurückbekommen, als Sie vermeintlich dachten, geben zu müssen.