„Wenn wir jetzt nicht schnell handeln, werden wir abgehängt!“

Friedrichshafen/Region Bodensee-Oberschwaben:
Unternehmer tauschen sich auf Einladung der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK) zu neuen Technologien und Chancen im Bereich Wasserstoff aus. Es besteht aber auch große Sorge, dass die Region den Anschluss an die bundesweiten Netze verpasst.
Die Energieversorgung der Zukunft wird kompliziert und aus einem komplexen Wechselspiel aus verschiedenen Übertragungsnetzen, Speichern und Energieträgern bestehen. Viele industrielle Prozesse werden dabei auf elektrischen Strom als Energieträger umgestellt werden, für andere kommt das allerdings nicht in Frage. Für diese werden chemische Energieträger wie Wasserstoff, Biokraftstoffe und mit Hilfe von Strom hergestellte E-Fuels entscheidend sein. Insbesondere dem Wasserstoff wird dabei eine tragende Rolle zukommen. Dies ist das Ergebnis einer Informationsveranstaltung der IHK Bodensee-Oberschwaben, die bei der Stadtwerk am See GmbH & Co. KG in Friedrichshafen stattfand.
Etwa 50 Unternehmer aus der Region waren der Einladung gefolgt und bekamen einen Überblick geboten über aktuelle technologische Entwicklungen, Planungen, Chancen und Herausforderungen im Bereich Wasserstofftechnik. Ideen, das Thema Wasserstoff zu überspringen und stattdessen „all electric“ zu gehen, erteilte Alexander-Florian Bürkle, Geschäftsführer der Stadtwerk am See GmbH, eine Absage: „Das ist illusorisch. Neben elektrischer Energie brauchen wir auch einen chemischen Energieträger, da sich viele Prozesse nicht elektrifizieren lassen.“ Da man doch bereits vom dringend benötigten Ausbau der Stromübertragungsnetze durch verzögerte Planungen abgehängt sei, müsse man aufpassen, dass dies sich beim Wasserstoff nicht wiederhole.

Hoher Handlungsdruck bei den Unternehmen trifft auf zu langsame Planungen
Einigkeit bestand bei den anwesenden Unternehmensvertretern nicht nur hinsichtlich der Frage des Bedarfs an Wasserstoff – hoch –, sondern auch hinsichtlich des Tempos, in dem die neuen Netze bereitgestellt werden: zu langsam. Aktuell plant die Politik den Anschluss der Region an neue Wasserstoffpipelines nämlich erst für das Jahr 2035 und in einem weiteren Schritt für 2040. Nach Auffassung der Teilnehmenden eindeutig zu spät. Dass an Wasserstoff als Energieträger, ob als reines Gas oder veredelt als E-Fuel, kein Weg vorbeiführt, erklärte Oliver Hoch, Experte bei Rolls Royce Power Systems: „Gerade im sogenannten Off-Highway Bereich wie bei Schiffen und Baumaschinen mit hohem Leistungsbedarf werden auch zukünftig chemische Energieträger benötigt. Der Verbrennungsmotor wird daher in diesen Anwendungen weiterhin eine Rolle spielen. Aus diesem Grund setzen wir uns für einen technologieoffenen Ansatz in Bezug auf Kraftstoffe ein. Großes Potenzial sehen wir bei der Nutzung von fortschrittlichen Biokraftstoffen und E-Fuels.“
Bemängelt wurde seitens der Teilnehmenden auch ein Mangel an Planungssicherheit, wann Wasserstoff auf welchem Wege verfügbar werde. Man könne und müsse zwar auch bereits jetzt mit lokalen Elektrolyseuren vorangehen und  den Markthochlauf starten, langfristig gehe es aber nicht ohne Pipelines. Nur diese seien in der Lage, den erwarteten hohen Bedarf auch in der Region zu decken.
Wie es gehen kann, zeigte auch ein weiterer Vortrag im Rahmen der Veranstaltung: Dieter Sommerhalter, Geschäftsführer der badenova-Tochter ITG aus Freiburg im Breisgau berichtete über die Erfahrungen bei der Gründung der Trinationalen Wasserstoff-Initiative „3H2“ und über die aktuellen Pläne zum Aufbau eines trinationalen Wasserstoffhubs im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Schweiz. Man habe sich dazu länderübergreifend vernetzt und arbeite eng zusammen: „Der internationale Austausch wirkt sehr bereichernd und alle profitieren von den Erfahrungen des jeweils anderen.“ Seit 2021 plane man den Bau eines der ersten Elektrolyseure in industriellem Maßstab in Deutschland. Rund 8.000 Tonnen Grüner Wasserstoff pro Jahr sollen die Chemie- und Industriestandorte entlang des Hochrheins auf deutscher und Schweizer Seite versorgen.
Die Vorteile der Zusammenarbeit mit Nachbarn sehen auch die IHK Bodensee-Oberschwaben und das Stadtwerk am See. Konkrete Lösungsansätze für den Einstieg in die Wasserstoff-Zukunft auch in der Region rund um den Bodensee sollen im Rahmen einer weiteren Informationsveranstaltung im zweiten Halbjahr 2023 präsentiert werden.


Medieninformation Nr. 80/2023