Verkehrspolitische Grundsatzpositionen

Die IHK-Vollversammlung hat die verkehrspolitischen Grundsatzpositionen im März 2022 als Basis ihrer verkehrspolitischen Arbeit beschlossen.

Präambel

Die Industrie- und Handelskammern (IHKs) haben gemäß §1 Abs.1 IHKG die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen und für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken. Die Beantwortung der Frage nach den Vorzügen eines Wirtschaftsstandorts hängt dabei wesentlich von seiner Verkehrsanbindung ab. Ohne eine schnelle, flexible, zuverlässige und kostengünstige Mobilität von Personen und Gütern sind eine positive Wirtschaftsentwicklung, Wohlstand, die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Attraktivität für Fachkräfte nicht vorstellbar. Daher hat sich die Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben entschlossen, ihre Vorstellungen für die Gestaltung der Rahmenbedingungen sowie für die Finanzierung und den bedarfsgerechten Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu formulieren.
Die ordnungspolitischen, das heißt auch die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen im Verkehrswesen wirken sich massiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der Verkehrsträger untereinander und auf die Standortgunst von Regionen sowie auf die Belastung der Infrastruktur vor Ort aus. Dabei geht es nicht nur um Rahmenbedingungen oder Infrastrukturen innerhalb des IHK-Bezirks Bodensee-Oberschwaben bzw. des Bundeslandes, sondern auch um deren Einbindung in die nationale und europäische Verkehrspolitik bzw. in großräumige Verkehrsnetze, bei gleichzeitigem Bekenntnis des Verkehrsgewerbes zu Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz und den damit verbundenen, stetig steigenden Effizienzverbesserungen sowie Schadstoffreduktionen. Zur Durchsetzung dieser Interessen arbeitet die IHK Bodensee-Oberschwaben daher auf Landes- und Bundesebene sowie europaweit eng mit anderen IHKs und mit Partnern zusammen.
Die Corona-Krise zeigte die enorme Bedeutung der Branchen Spedition, Transport und Logistik für eine funktionierende (Waren-)Versorgung der Unternehmen sowie der Bevölkerung. Die Aufrechterhaltung von Transportketten war u.a. aufgrund geschlossener Grenzen eine enorme Herausforderung, die von den Unternehmen bestmöglich gelöst wurde. Aufgrund der allgemein sichtbar gewordenen Systemrelevanz verdient dieser Sektor eine hohe Wertschätzung und Unterstützung.
Ziel der Verkehrspolitischen Grundsatzposition der IHK Bodensee-Oberschwaben ist es, deutlich zu machen, in welchen Bereichen der Verkehrspolitik die Interessen der Wirtschaft eine besondere Berücksichtigung benötigen:
  1. Verkehrsinfrastruktur erhalten, ausbauen, optimieren und effizient nutzen
  2. Finanzierung verstärken und verstetigen
  3. Rahmenbedingungen für den Verkehr verbessern
  4. Stadtverkehr wirtschaftsfreundlich gestalten

1. Verkehrsinfrastruktur erhalten, ausbauen, optimieren und effizient nutzen

Für die gesamte Wirtschaft der IHK-Region und darunter insbesondere die exportorientierten Unternehmen, ist die verkehrliche Anbindung an überregionale, an europäische und weltweite Absatz- und Beschaffungsmärkte existenziell. Aber auch der intraregionale Warenaustausch, die Ver- und Entsorgung aller Wirtschafts- und Lebensbereiche, kann nur mit ausreichenden Flächen für die Logistik sowie einer gut erhaltenen und ausgebauten und damit leistungsfähigen Infrastruktur bewältigt werden. Letztere ist auch für die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, in der Freizeit und im Tourismus überaus bedeutend. Zudem rücken die Städte unter logistischen Gesichtspunkten mehr und mehr in den Fokus. Es gilt, diese Gebiete auch bei einer zunehmend kleinteiligeren Sendungsstruktur und zunehmenden Sendungsvolumina zu versorgen.
Heute reichen die Flächenreserven, die verkehrlichen Kapazitäten sowie die Qualität auf vielen Verkehrswegen und in zahlreichen Verkehrsknoten nicht mehr aus. Auch der Umstieg auf alternative Antriebstechnologien ändert daran nichts. Die Entwicklung der Infrastruktur sollte sich daher aus Sicht der Wirtschaft an folgenden Leitlinien orientieren:
  • Straße, Schiene, Wasserstraße sowie Luftverkehr zukunftsgerecht weiterentwickeln, auch auf europäischer Ebene
  • Einbindung der regionalen Verkehrsinfrastruktur in das nationale und europäische Verkehrsnetz
  • schneller Rechtssicherheit für Infrastrukturprojekte schaffen
  • Ausbau der digitalen Infrastruktur beschleunigen
  • frühzeitig Erhaltungsmaßnahmen der Verkehrsinfrastruktur vorsehen
  • Abstimmung der von Baumaßnahmen betroffenen Baulastträger vorausschauend planen und verbessern
  • leistungsfähiges Bundesfernstraßennetz in der Region Bodensee-Oberschwaben
  • Landesstraßen zukunftsgerecht ausbauen
  • ländlichen Raum durch Ausbau von Straße, Schiene, ÖPNV und Radwegen stärken
  • regionale und überregionale Verkehrs- und Mobilitätskonzepte sowie Betriebliches Mobilitätsmanagement fördern
  • Engpässe im Schienennetz für Güter- und Personenverkehre beseitigen
  • zusätzliche Lkw-Parkplätze an Bundesfernstraßen und wichtigen Verkehrsachsen bereitstellen
  • Schwerlastrouten vorausschauend erhalten und ausbauen
  • Logistikflächen bereitstellen und langfristig sichern
  • Aus- und Neubau von Terminalstandorten des kombinierten Verkehrs samt begleitender Infrastrukturmaßnahmen forcieren
  • vordringliche Verkehrsinfrastruktur-Maßnahmen in der Region sowie darüber hinaus zügig umsetzen (siehe Anhang)

2. Finanzierung verstärken und verstetigen

Leistungsfähige, verlässliche Verkehrsnetze, wie sie die Wirtschaft braucht, setzen voraus, dass Verkehrsinvestitionen verstärkt, verstetigt und langfristig gesichert werden. Grundsätzlich gehört die Finanzierung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur sowie des öffentlichen Personennahverkehrs zur Daseinsvorsorge des Staates, die dieser aus Steuern und Abgaben finanziert. Der Staat nimmt allerdings deutlich mehr an Verkehrssteuern und Abgaben ein, als er an Investitionen für den Verkehr ausgibt. Damit es nicht zu Kapazitätsengpässen und schlechten Erhaltungszuständen der Infrastruktur oder mangelhafter Anbindung und Vernetzung im ÖPNV kommt, sollte die Finanzierung aus Sicht der Wirtschaft unter Berücksichtigung folgender Kriterien gestaltet werden:
  • Verkehrsinfrastrukturfinanzierung aufstocken und verstetigen
  • Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) in Bereichen der Daseinsvorsorge prüfen und nutzen, falls die Kosten für die Allgemeinheit reduziert werden
  • Bundesfernstraßenfinanzierung dauerhaft von Haushaltsschwankungen abkoppeln und strenge Zweckbindung einer Nutzerfinanzierung für die Bundesfernstraßen
  • Landes-, Kreis- und Kommunalstraßen nicht mit Maut belasten. Überlegungen dazu generell nur bundeseinheitlich führen und Einnahmen dann für diese Straßen zweckbinden
  • Ausreichend Geld aus dem Bundeshaushalt für Bundesschienenwege und Bundeswasserstraßen zur Verfügung stellen
  • Gleichbehandlung regionaler Verkehrsflughäfen bei der Übernahme der Kosten der Flugsicherung sicherstellen
  • ÖPNV-Finanzierung, -Angebot und -Qualität sichern. Bei Überlegungen zur Drittnutzerfinanzierung im ÖPNV müsste dieser ein erkennbarer Mehrwert gegenüberstehen und sollten Unternehmen nicht zusätzlich belastet werden.
  • Kommunalen Straßen- und Radwegebau durch ausreichend investive Mittel sichern

3. Rahmenbedingungen für den Verkehr verbessern

Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler und Landesebene werden über Gesetze, Verordnungen, Richtlinien, Förderprogramme und Konzepte entscheidende Rahmen- bedingungen für den Verkehr gesetzt. Für die Wirtschaft ist dabei wichtig, dass eine möglichst langfristige Planungssicherheit besteht und nicht kurzfristig wechselnde Maßnahmen zur Vermeidung und Verlagerung sowie zur Verteuerung des Verkehrs im Vordergrund stehen. Denn diese führen in Verbindung mit Versäumnissen beim Ausbau der Infrastruktur zu längeren Transportzeiten, geringerer Zuverlässigkeit der Produktions- und Lieferketten, höheren Umweltbeeinträchtigungen, erhöhten Kosten und Beeinträchtigung der Standortqualität. Die Wirtschaft spricht sich daher für bessere Rahmenbedingungen, fairen Wettbewerb und weniger Bürokratie aus:
  • Leistungsfähiges europäisches Verkehrsnetz schaffen
  • EU-Rahmen für wettbewerbsorientiertes und ressourcenschonendes Verkehrssystem setzen und durchsetzen
  • EU-Verkehrspolitik muss Wirtschaftswachstum durch faire Wettbewerbsbedingungen fördern; Verteuerung des Verkehrs durch Anlastung externer Kosten vermeiden, diese Mittel sonst aber zweckgebunden zur Beseitigung externer Effekte einsetzen
  • Wettbewerbshindernisse und Bürokratie abbauen z. B. bei Berufs- und Marktzugang,
  • Betrieb, Ausschreibung und Vergabe von öffentlichen Aufträgen
  • Digitalisierung stärker nutzen, auch zur Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger 
  • grenzüberschreitende Schienengüterverkehre weiter beschleunigen und vereinfachen und Interessen des Personenverkehrs ausdrücklich bei der Trassenzuteilung beachten
  • Umweltpolitik (z. B. Luftreinhaltung, Lärmschutz) muss Belange der Wirtschaft abwägen
  • Klimaschutzpläne ohne Standortnachteile und Zusatzbelastungen für die Wirtschaft erstellen. Flickenteppiche vermeiden und eine Einheitlichkeit mindestens auf Landesebene anstreben.
  • Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) leistungsfähiger und attraktiver machen
  • mittelstandsfreundliche Ausgestaltung von Vergabeverfahren im ÖPNV
  • ÖPNV-Anbindung von Gewerbegebieten und Ausbildungsbetrieben berücksichtigen
  • Radschnellwege für Pendler als zusätzliche Infrastruktur und Teil von Verkehrskonzepten fördern
  • Regiobus-Konzept des Landes in übergeordnete Verkehrspläne zur Entlastung vom motorisierten Individualverkehr integrieren
  • Erreichbarkeit kundengerechter Haltestellen – auch in Ballungsräumen – für Fernbuslinien und Bustourismus sicherstellen
  • Personenbeförderungsrecht bezüglich Taxi- und Mietwagenmarkt sowie neuen Bedienformen wirtschaftsfreundlich umsetzen
  • Verzicht auf staatliche Restriktionen und Vorgaben bei Antriebstechnologien, und technologieoffene Förderung alternativer Antriebe für alle Verkehrsträger
  • Innovative Verkehrsmittel auf Straße, Schiene, Wasserstraße und im Luftverkehr entwickeln, erproben und zulassen
  • landesweite Zulassung von Lang-Lkw auf Autobahnen und flexiblere Regelungen für die Zulaufstrecken
  • Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewährleisten
  • Fahrzeugtechnik und Fahrerqualifizierung anpassen
  • Fachkräftemangel in der Verkehrsbranche, in Planungsämtern, -büros und Baufirmen entgegenwirken
  • Gefahrgutregelungen praxisgerecht und einheitlich ausgestalten
  • kurzfristig aktivierbare bundes- und EU-weit gültige Notfallpläne und Regelungen für Krisen im Verkehrssektor erarbeiten und abstimmen

4. Stadtverkehr wirtschaftsfreundlich gestalten

In den Innenstädten konzentrieren sich vielfältige Funktionen, unter anderem Handel, Gastronomie, Wohnen, Freizeit, Tourismus, Dienstleistung und Verwaltung. Hinzu kommen temporäre Baustellenverkehre sowie regelmäßige Ver- und Entsorgungsverkehre. Die verschiedenen Wirtschaftszweige leisten wichtige Beiträge zum Stadtbild sowie zur Funktionsfähigkeit der Stadt, bieten Arbeitsplätze und generieren Steuereinnahmen. Erreichbarkeit und die Mobilität in Innenstädten sind ausschlaggebend für die Attraktivität und damit auch für die Wirtschaftskraft einer Stadt, gleichzeitig sollen alle Verkehre (Personen- und Warenverkehre) so effizient und umweltverträglich wie möglich abgewickelt werden und die Aufenthaltsqualität nur wenig beeinträchtigen. Bei Überlegungen zu innerstädtischen Verkehrs- und Stadtentwicklungsprojekten müssen alle Interessen angemessen berücksichtigt werden. Dazu gehören auch die Interessen der innerstädtischen Wirtschaft. Wirtschaftsverkehr kann in weiten Teilen nicht auf öffentliche Verkehrsmittel verlagert werden. Er ist auf ein leistungsfähiges (Haupt-)Straßennetz angewiesen, welches gleichzeitig diese Verkehre bündelt und unerwünschte Schleichwege durch Nebenstraßen und Wohnquartiere vermeidet. Die
Wirtschaft tritt daher dafür ein:
  • funktionsfähige Innenstädte erhalten und weiterentwickeln
  • innerstädtischen Verkehr differenziert betrachten; zielgerichtete Maßnahmen erst nach detaillierten Untersuchungen diskutieren, entwickeln und umsetzen
  • wirtschaftliche Belange im Stadtverkehr berücksichtigen
  • vor Planungen zur Einführung einer City-Maut erst die erforderlichen Alternativen zum Umstieg schaffen, v. a. durch Optimierung des ÖPNV, und Güterverkehr mit Quelle oder Ziel im Gebiet von City-Maut ausnehmen
  • Verkehrsmanagement und Parkleitsysteme intelligent ausgestalten
  • Städte sollen sich aktiv in Fragen der Güterver- und -entsorgung auf der ersten bzw. letzten Meile einbringen und gemeinsam mit der Wirtschaft innerstädtische Logistik stadt- und umweltverträglicher gestalten
  • Fahrverbote in Kommunen vermeiden und Alternativen suchen
  • Umweltverbund (ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr) sowie Mobilitätsmanagement fördern
  • Sharing-Modelle (z. B. Carsharing, Bikesharing) fördern          

Anhang

Forderungen der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben zum Ausbau wichtiger Verkehrswege in der Region Bodensee-Oberschwaben:
  • Ausbau der Bundesstraßenachsen in der Region Bodensee-Oberschwaben
  • Aus- bzw. Neubau von Schienenstrecken
    • dabei Ausbauten zur Kapazitätserhöhung und Berücksichtigung von Güterverkehren
    • bedarfsgerechter Ausbau der Bahnknoten,
  • Prüfung weiterer Maßnahmen, um die Luftverkehrsinfrastruktur zu stärken und besser an das Straßen- und Schienennetz anzubinden.
Konkrete Maßnahmen für die Region Bodensee-Oberschwaben (abgedeckt durch verschiedene Beschlüsse im Verkehrsausschuss und in der Vollversammlung der IHK Bodensee-Oberschwaben)
Bundesstraßen
  • Ausbau der B 30 zwischen Ravensburg Süd und Friedrichshafen
  • Ausbau der B31 zwischen Meersburg und Immenstaad (Umfahrung Hagnau)
  • Bau der Ortsumfahrung Ravensburg, B 32, Molldietetunnel, zwischen Ravensburg Knollengraben und Ravensburg Süd
  • Bau der B 311n/B313 zwischen Mengen und Meßkirch
  • B 30 Bau der Umfahrungen Enzisreute und Gaisbeuren
  • B 31 Überlingen bis Meersburg
  • B 32 Verlegung bei Blitzenreute
  • B 12 Ortsumfahrung Großholzleute
Schienenwege
  • Bodenseegürtelbahn: Ausbau und Elektrifizierung
  • Bodo-Ringzug: Ausbau und Elektrifizierung
  • Ausbau des Kombinierten Verkehrs
Flughafen Friedrichshafen
  • Positionspapier der IHK zum Flughafen Friedrichshafen

Weitere Informationen: