Binnenmarktstrategie der EU: Überblick und Zielsetzung
Die Europäische Kommission hat am 21. Mai 2025 eine neue Binnenmarktstrategie vorgelegt, die darauf abzielt, den EU-Binnenmarkt einfacher, reibungsloser und leistungsfähiger zu gestalten.
Zentrale Ziele und Maßnahmen
Die Strategie umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen zur Stärkung des EU-Binnenmarkts und zur Unterstützung der europäischen Wirtschaft.
- Abbau von Handels- und Investitionshemmnissen innerhalb der Europäischen Union (EU)
- Unterstützung der Geschäftstätigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU)
- Förderung der Digitalisierung zur Entlastung aller Unternehmen
- Aufforderung an die EU-Mitgliedstaaten, zur Attraktivität des EU-Binnenmarkts für Unternehmen, Beschäftigte und Verbraucher beizutragen.
Bedeutung des EU-Binnenmarktes
Der Binnenmarkt spielt eine zentrale Rolle für Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit in der EU.
- EU-Binnenmarkt als zentraler Treiber der Wettbewerbsfähigkeit der EU.
- Wirtschaftlicher Nutzen:
- +3 bis 4 Prozent BIP-Wachstum in der EU
- Schaffung von 3,6 Millionen Arbeitsplätzen seit Einführung
- Verdopplung der Effekte durch weitere Vervollständigung des EU-Binnenmarktes möglich
Prioritäten der Strategie
Abbau der zehn größten Hindernisse („Terrible Ten“)
Zur Verbesserung des EU-Binnenmarkts will die EU-Kommission die zehn am stärksten gemeldeten Hemmnisse beseitigen.
Hierzu zählen:
- komplizierte Niederlassung und Geschäftstätigkeit
- komplexe EU-Vorschriften
- mangelnde Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten
- beschränkte Anerkennung von Berufsqualifikationen
- Fehlen einheitlicher Standards
- fragmentierte Verpackungsvorschriften
- mangelnde Produktkonformität
- restriktive und divergierende nationale Vorschriften für Dienstleistungen
- aufwendige Vorschriften für die Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in risikoarmen Sektoren
- ungerechtfertigte territoriale Angebotsbeschränkungen, die zu hohen Preisen für die Verbraucherinnen und Verbraucher führen.
Stärkung des europäischen Dienstleistungssektors
Dienstleistungen machen den größten Teil der europäischen Wirtschaft aus, aber ihr grenzüberschreitender Handel stagniert. Die Strategie konzentriert sich auf bestimmte Dienstleistungssektoren. Folgendes wird vorgeschlagen (in Ergänzung zu laufenden Initiativen in den Bereichen Energie, Telekommunikation, Verkehr und Finanzdienstleistungen):
- Vorlage einer Rechtsvorschrift für Baudienstleistungen und einer neuen EU-Rechtsvorschrift für Lieferdienste, um die Bestimmungen sowohl im Bau- als auch im Post- und Paketsektor zu modernisieren;
- Erleichterung branchenbezogener Dienstleistungen wie Installations-, Wartungs- und Reparaturdienstleistungen;
- Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Befreiung regulierter Unternehmensdienstleistungen von unnötiger Regulierung.
Förderung von KMU
KMU sollen gezielt unterstützt werden, um ihr Potenzial im Binnenmarkt besser auszuschöpfen.
Zum Beispiel durch:
- Einführung einer neuen Kategorie: „kleine Unternehmen mit mittlerer Kapitalisierung“
- Einführung einer „KMU-ID“ zur digitalen Bestätigung des KMU-Status
- Ausbau des KMU-Beauftragten-Netzwerks zur Förderung grenzüberschreitender Aktivitäten
- Veröffentlichung des KMU-Jahresberichts zur Einschätzung von Wachstumspotenzial und Beschäftigungsentwicklung
Digitalisierung und Vereinfachung von Vorschriften
Um Bürokratie abzubauen und Effizienz zu steigern, setzt die Kommission verstärkt auf digitale Lösungen.
- Viertes „Omnibus“-Vereinfachungspaket soll Bürokratiekosten um 400 Millionen Euro jährlich senken
- Maßnahmen beinhalten:
- Digitale Einreichung von Dokumenten
- Digitale Produktanleitungen statt Papierform
Mehr gemeinsame Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten für den EU-Binnenmarkt
Die erfolgreiche Umsetzung der Binnenmarktstrategie hängt auch von einem stärkeren Engagement der EU-Mitgliedstaaten ab.
- Vorschlag zur Ernennung nationaler „Sherpas“ zur Überwachung der
EU-Binnenmarktvorschriften - Appell an EU-Mitgliedstaaten, durch Prüfung der Verhältnismäßigkeit nationaler Maßnahmen neue Hindernisse zu vermeiden
Quelle: IHK Düsseldorf Stand: 27. Mai 2025
28. Regime
Ein sogenanntes 28. Regime wurde von der EU-Kommission als Teil der Binnenmarktstrategie vom 21. Mai 2025, aber auch in der EU-Start-up and Scale-up-Strategie erwähnt und mit diesen Strategien verknüpft. Zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Union findet sich das 28. Regime als Lösungsansatz zur Stärkung des EU-Binnenmarktes und zur Steigerung der Attraktivität der Union als Standort für Unternehmen. Der Berichtsentwurf fokussiert sich auf die gesellschaftsrechtlichen Elemente. Von harmonisierten Regelungen zu Steuern, Insolvenzrecht und Arbeitsrecht wird abgesehen bzw. auf den Status quo zurückgegriffen. Unternehmen können entscheiden, das 28. Regime zu nutzen; es ist nicht verbindlich. Diese Entscheidung ist von allen Mitgliedstaaten anzuerkennen. Das 28. Regime soll selbst Mindestanforderungen enthalten, sodass das Unterlaufen von mitgliedstaatlichen Schutzmechanismen nicht möglich sein soll. Im Konfliktfall sollen nationale Regelungen zum Schutz der schutzbedürftigen Parteien eingreifen.
Eckpunkte der vorgeschlagenen Rechtsform:
- Nationale (private) Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf Basis harmonisierter Regelungen, keine Kapitalmarktorientierung möglich.
- Gründung durch natürliche und juristische Personen mit Wohnsitz/Satzungssitz in der EU, das heißt auch zulässig als Tochtergesellschaft.
- Einheitlicher Rechtsformzusatz: European Start-Up and Scale-Up company (ESSU)
- Einfache (elektronische) Gründung innerhalb von 48 Stunden und Registrierung in einem einheitlichen digitalen EU-Register.
- Errichtung eines einheitlichen digitalen EU-Registers für Unternehmen („uniform Union-level digital company register“) und Einbindung in das BRIS-System („Business Register Interconnection System“). Einheitliche digitale Identität und einheitliche Identifizierungsnummer
- Sitz der ESSU muss in einem Mitgliedstaat sein (Satzungs- und Verwaltungssitz nicht zwingend in demselben Mitgliedstaat)
- Nennkapital: 1 Eruo, 25 Prozent der Gewinne sollen in eine Rücklage eingelegt werden müssen, bis das nationale Mindestkapital erreicht ist.
- Keine Einschränkung der Rechtsform für bestimmte Unternehmen, wie z. B. innovative Unternehmen, aber vorrangig dazu gedacht, KMU zu stärken
- Keine Regelungen zu Individual-/Kollektivarbeitsrecht, unternehmerischer Mitbestimmung (Mitbestimmungsgesetze)
- Digitale Sitzungsformate, Beschlüsse etc. für die ESSU
- System der Mitarbeiterbeteiligung
- Optionales Verantwortungseigentum (“steward ownership”) durch folgende Instrumente (Seite 9 des Berichtsentwurfs):
- Trennung von Stimmrechten und Bezugsrechten durch verschiedene Arten von Gesellschaftsanteilen.
- Stimmrechte können als nicht übertragbar und nicht vererbbar qualifiziert werden.
- Ausschüttungen an Investoren und Bezugsrechteinhaber werden vertraglich zeitlich und in der Höhe begrenzt; diese sollen jederzeit beendet werden können
- Begrenzung der grenzüberschreitenden Umwandlung in Gesellschaftsrechtsformen mit zusätzlichem Rechtsschutz wie Vermögensbindung.
- Für die unternehmerische Mitbestimmung soll das anwendbare Recht nach dem tatsächlichen Sitz bestimmt werden. Hierbei handelt es sich um den Ort der zentralen Verwaltung des Unternehmens.
- Muster für Satzungen und Gesellschafterverträge
- Harmonisierte Regelungen für eigenkapitalähnliche Finanzierungsinstrumente (“equity like debt instruments”) auch mit Gewinnpartizipierung
- Alternatives Streitschlichtungssystem für ESSU: spezifische Kammern bei den lokalen Gerichten mit englischer Gerichtssprache.
Weitere Informationen und Hinweise; Konsultationen
Die IHK Bodensee-Oberschwaben führt aktuell eine Konsultation zum durch. Wir freuen uns über Ihre Teilnahme.
Gerne nehmen wir ihre Hinweise auch zur horizontalen Binnenmarktstrategie entgegen.
Falls Sie zusätzlich direkt an der Konsultation teilnehmen wollen, können Sie dies auf der Website der EU Kommission tun. Die Konsultationsfragen der Kommission umfassen zum einen allgemeine Fragen zu Hemmnissen für die Gründung, Unternehmensführung und Liquidation eines Unternehmens sowie Aufwand und Kosten hierfür, zudem beschäftigen sie sich auch mit einer möglichen neuen Rechtsform. Daneben werden auch Fragen zu verschiedenen digitalen Elementen, zur Unternehmensfinanzierung bzw. zur Unterstützung von Investitionen in das Unternehmen, aber auch Fragen zum Insolvenz-, Steuer- und Arbeitsrecht gestellt. Die Frist läuft bis zum 30. September 2025.
Über die nachfolgenden Links erhalten Sie weitere Informationen, Hinweise und Einblicke.
- Weniger Hürden im Binnenmarkt für attraktivere Bedingungen in Europa
- Fragen und Antworten zur Binnenmarktstrategie (europa.eu)
- Single market strategy (europa.eu)
- DIHK hofft auf rasche Umsetzung der Binnenmarktstrategie