"Bringen Sie die Wirtschaft wieder in Fahrt"

Nur noch wenige Tage bis zur vorgezogenen Bundestagswahl: Laut einer aktuellen Blitzumfrage der IHK Mittleres Ruhrgebiet wünschen sich die Unternehmer:innen aus Bochum, Herne, Witten und Hattingen von der neuen Bundesregierung vor allem Planungssicherheit, mehr Investitionen in die Infrastruktur, eine verlässliche und zugleich preiswerte Energieversorgung sowie eine Senkung der Steuerlast. Wir haben Unternehmer:innen aus unserem Kammerbezirk gefragt, wo bei ihnen der Schuh drückt und was jetzt getan werden muss.
Von Christina Kiesewetter und Sven Frohwein
Katja Lohmann-Hütte fand bereits beim Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Bochum deutliche Worte. „Wir Mittelständler wollen ja nachhaltig arbeiten. Das ist doch gar nicht die Frage. Aber es kann doch nicht sein, dass wir diese hohen Standards allein in Deutschland haben. Damit schaffen wir uns doch selbst ab“, sagte die Geschäftsführerin der Friedr. Lohmann GmbH aus Witten im Sommer 2024. Dem traditionsreichen Stahlunternehmen sitzt die Konkurrenz aus China im Nacken. Die Folge: Auftragsflaute und Kurzarbeit. Dazu kommen hohe Kosten für Energie.
„Vor zehn Jahren machten Energiekosten noch fünf Prozent am Gesamtabsatz aus“, sagt Lohmann-Hütte. Inzwischen seien es zehn Prozent und mehr. „Und auch der Strompreis ist im Dezember auf ein neues Allzeithoch geklettert.“ So könne ein energieintensives Unternehmen wie das ihre auf Dauer nicht überleben, sagt die Unternehmerin, die gemeinsam mit ihrem Bruder Gunnar Lohmann-Hütte und ihrem Cousin Friedrich Lohmann-Voß die 1790 gegründete Firma für Spezialstähle führt. Kurzarbeitergeld gebe es noch bis Ende des Jahres, was danach komme, sei völlig offen. An Stellenabbau möchte die Unternehmerin aber noch nicht denken. „Wir stehen zu unseren Mitarbeitern. Wenn wir diese entlassen müssen, geht uns Know-how ­verloren, das wir so schnell nicht wiederbekommen.“ Ihre Forderung an die Bundesregierung: ein Investitionsprogramm, das diesen Namen auch verdient – zur Not auch mit neuen Schulden. Und ein klarer Fahrplan für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands. „Wir brauchen wieder mehr ­Verlässlichkeit und Investitionssicherheit.“
Eine Meinung, die Dr. Peter-Christian Zinn teilt: „Das Wichtigste für Deutschland ist schlicht, dass nicht noch länger von der Substanz gelebt wird, sondern diese absolut lachhafte Obsession von der ,Schwarzen Null‘ endlich aus den Köpfen der Politiker verschwindet“, sagt der Managing­Partner der Industrieberatung Industrial Analytics Lab GmbH aus Bochum. „Nur so können wir wieder international wettbewerbsfähig werden.“
Seit Anfang der 2000er-Jahre sei der Werteverzehr deutscher Infrastruktur größer als die Investitionen, konstatiert Zinn. Er verweist auf eine neue Studie der Universität Freiburg im Auftrag des Fondsanbieters Union Investment, die den Investitionsbedarf in Deutschland auf 400 Milliarden Euro schätzt. „Der einzige Weg, um unsere Infrastruktur wieder in einen Zustand zu versetzen, der es Deutschland erlaubt, weiterhin die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt zu sein, ist ein kreditfinanziertes Investitionsprogramm. Der laufende Etat gibt solche Summen schlicht nicht her, wir kriegen ja noch nicht mal die notwendigen Verteidigungsausgaben dargestellt.“ Das sei laut Zinn auch sofort möglich, denn die Schuldentragfähigkeit Deutschlands sei exzellent – vor allem im Vergleich zu anderen Industrienationen wie den USA und Japan. „Wie zynisch kann man als Politiker eigentlich sein, den ­Wählern diesen eklatanten Standortnachteil als Sparsamkeit zu ­ver­kaufen?“
Für Seran Bahtijari und Lukas Rüger ist Deutschlands überbordende Bürokratie ein Problem. „Es gibt ein riesiges Expertentum in Deutschland, das treibt manche Blüten“, sagt Gastronom Rüger, der mit seinem Partner unter anderem das Restaurant Livingroom in Bochum betreibt. So sitze jährlich jemand von der Berufsgenossenschaft bei ihnen am Tisch, um zu kontrollieren, ob beispielsweise die Verbandskästen noch fachgerecht bestückt seien. Zu jedem Teil ­könne dieser einen Vortrag halten. „Natürlich ist Arbeitssicherheit wichtig, aber die Dimension und die Ansprache irritiert, da fehlt im Bezug zu wichtigen Themen die Verhältnismäßigkeit, das wirkt fast schon wie Selbstzweck“, sagt Rüger. Bahtijari ergänzt: „Ich muss mehreren Behörden monatlich statistische Angaben mailen. Warum tauschen diese die vorhandenen Daten nicht untereinander aus?“ Solche Zeitfresser nerven und sind teuer.
Ebenso wie unnötige Regulierungen, die vermeintlich im Sinne der Arbeitnehmer:innen sind. „Das Arbeitszeitgesetz schreibt uns vor, dass unsere Mitarbeiter maximal zehn Stunden am Tag arbeiten dürfen“, so Bahtijari. „Jetzt hatten wir kürzlich wieder den Fall, dass jemand aus privaten Gründen seine 36 Stunden auf drei Tage die Woche verteilen wollte. Das hätten wir gerne möglich gemacht, geht aber rechtlich nicht.“ Sie hätten oft den Eindruck, dass man als Arbeitgeber unter Generalverdacht gestellt werde, seine Leute ausnutzen zu wollen. „Aber das ist Quatsch. Wir behandeln unsere Mitarbeiter so, wie wir das selbst von einem top Arbeitgeber erwarten würden. Dazu gibt es eh keine Alternative. Aber Flexibilität und Selbstbestimmung wären absolut wichtig.“
Die Livingroom GmbH & Co. KG mit rund 120 Mitarbeiter:in­nen in der Bochumer Restaurantfamilie Livingroom, FIVE, Strätlingshof und Zum Grünen Gaul kämpft außerdem mit den hohen Lohnnebenkosten. „Ich freue mich über jeden Euro, den unsere Leute mehr auf dem Konto haben“, sagt Bahtijari. „Aber von den durchschnittlich 25 % Lohnerhöhung, die es seit 2022 gab, und die nächsten 6 % kommen ab Mai 2025, kommt viel zu wenig bei den Arbeitnehmern an. Die Unternehmenskosten sind dadurch allerdings erheblich gestiegen.“
Dass die Wirtschaft zu wenig gehört wird in der Politik, kann Horst Lautenschläger aus direkter Erfahrung bestätigen. 30 Jahre war er direkt in die Steuerung globaler Lieferketten bei drei Herner Maschinenbau-Unternehmen eingebunden. „Ich habe es sehr positiv gewertet, dass ich bei den Vorbereitungen zum Lieferkettengesetz gehört wurde und meine Expertise einbringen konnte“, berichtet er. Aber im Gesetz selbst sei dann nichts von seiner Vorschlägen übrig geblieben. „Die Gesetze zur Lieferkettensorgfalt wenden Unternehmen eigentlich seit Jahrzehnten an. Mit dem Zoll und dem BAFA arbeiten sie vertrauenswürdig zusammen zum Thema Exportkontrolle und Importbeschränkungen. Warum werden die Vorgaben nicht weiterhin über den Zoll kontrolliert?“ fragt Lautenschläger. „Unternehmen wollen keine dummen Belastungen zur Abgabe von Schönwetter-Jahresberichten. Von der nächsten Bundesregierung wünsche ich mir, dass sie diese unsinnige Bürokratie schnellstens wieder abgebaut wird.“
Hans-Christian Otto entwickelt mit seinem zwölfköpfigen Team für seine Kund:innen passgenaue Softwarelösungen. Der Geschäftsführer der Wittener Suora GmbH ist niemand, der schnell meckert. „An der Ampel hatte ich gar nicht so viel Inhaltliches zu kritisieren, es war mehr der mangelnde Respekt im Umgang, den ich schlimm fand.“ Die Verlässlichkeit habe dadurch auch gefehlt: „Wenn es einmal Absprachen gegeben hat, dann sollten diese auch gelten.“ Aber eine deutliche Kritik hat er doch: „Das Gebäudeenergiegesetz war wirklich miserabel kommuniziert.“ Otto hat kaum das Gefühl, dass sein Unternehmen durch politische Entscheidungen negativ beeinflusst wird. Er hat aber dennoch einen Wunsch an die neue Bundesregierung: bitte ganzheitlicher und langfristiger denken. „Kurzfristige Gewinne oder Erfolge halten nicht lang an.“ Außerdem stört es ihn, dass bei der Diskussion um Investitionen das eine gegen das andere ausgespielt wird. „Investitionen in die Wirtschaft sollten nicht auf Kosten der Bildung gehen. Wenn zum Beispiel Kinderbetreuung nicht sichergestellt ist, kann die Hälfte meines Teams nicht mit voller Kraft arbeiten.“