Recht und Steuern

Vertragsrecht - Auswirkungen des Brexit

Weitere Informationen zum Thema finden Sie außerdem in unserem Podcast „Diese Handlungsoptionen sollte man alle noch vor dem Brexit prüfen“ der ICC Germany e.V.

Allgemeines

Grundsätzlich sind einmal abgeschlossene Verträge mit britischen Geschäftspartnern auch nach einem Brexit zu einhalten.
Jedoch gibt es eine Vielzahl von Auswirkungen, die ein Brexit für in der Zukunft zu schließende oder bereits geschlossene Verträge und Vereinbarungen mit einer Verbindung ins Vereinigte Königreich (UK) hat. Nachfolgende Informationen sollen einen ersten Überblick liefern, worauf bei bestehenden Verträgen und künftigen Vertragsverhandlungen mit Berührungspunkten nach UK geachtet werden sollte und wie sich die Rechtslage nach einem "harten" Brexit darstellen könnte.

Vertragsanpassung und -auflösung

Durch den Brexit kann die Durchführung eines bereits geschlossenen Vertrags mit Vertragspartnern in UK mit zusätzlichen Kosten und Hürden verbunden sein. Auch wenn es beim Grundsatz bleibt, dass einmal geschlossene Verträge einzuhalten sind, kann es Ausnahmen geben, die zu einer Vertragsanpassung oder -auflösung führen können.
Sowohl das englische Recht (sog. „frustration of contract“) als auch das deutsche Recht (§§ 313, 314 BGB) sieht solche Möglichkeiten generell vor. Für eine Kündigung nach § 314 BGB muss dazu jedoch ein sog. „wichtiger Grund“ vorliegen. Der pauschale Hinweis auf einen Austritt Großbritanniens aus der EU würde zu einer solchen Annahme wohl nicht ausreichen. Vielmehr käme es auf den konkreten Einzelfall an. Auch eine schwerwiegende Veränderung von Umständen i.S.d. § 313 BGB, die zur Grundlage eines Vertrags geworden sind, ist für sich genommen im Brexit allein eher nicht zu sehen. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an. Hinzukommt, dass § 313 BGB auch darauf abstellt, dass diese Umstände bei Vertragsschluss nicht ersichtlich gewesen sein durften. Spätestens seit der Ankündigung des Referendums wird man davon jedoch ausgehen müssen. Unabhängig davon bestimmt § 313 BGB, dass zunächst nur eine Vertragsanpassung verlangt werden kann. Ein Lösen vom (gesamten) Vertrag ist hingegen erst dann möglich, wenn die weitere Vertragsdurchführung nicht mehr zumutbar ist.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass es zwar gesetzliche Anpassungs- und Auflösungsmöglichkeiten gibt, die Voraussetzungen in der Praxis aber nicht in jedem Fall ohne Weiteres erfüllt werden.

Rechtswahl

Bisher vereinbarte Rechtswahlklauseln bleiben im Regelfall weiterhin gültig. Jedoch sollte man sich bewusst machen, dass – je nach dem, in welcher Variante der Bexit ausfällt – die Wahl englischen Rechts erhebliche Auswirkungen haben kann.
Während eine solche Rechtswahl bisher dazu geführt hat, dass das gesamte englische Recht einschließlich EU-Recht anzuwenden war, wird zukünftig lediglich das (nationale) englische Recht zur Anwendung gelangen. Zwar wurden viele europarechtliche Regelungen auch innerstaatlich in UK umgesetzt, nach einem Brexit ist aber ein „Gleichlauf“ mit neuen Rechtsakten der EU und Entscheidungen des EuGH nicht mehr zwangsläufig gegeben.
Fehlt eine Rechtswahlklausel in einem Vertrag, wurde das anwendbare Recht nach der sog. Rom-I-Verordnung bestimmt. Durch ein Ausscheiden des UK aus der EU würden zukünftig wieder die nationalen Regelungen des internationalen Privatrechts zur Anwendung gelangen.

Gerichtsstand und Vollstreckung

Im Hinblick auf die bisherigen Regelungen zum Gerichtsstand, die sich in der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungs-VO (EuGVVO) bzw. der Brüssel-Ia-VO wiederfinden, würde Großbritannien mit dem Austritt aus der EU zukünftig als Drittstaat behandelt. Vorteile der Brüssel-Ia-VO, wie z.B. Regelungen zur Zuständigkeit, Rechtshängigkeit und der Verzicht auf das sog. Exequatur-Verfahren bei der Vollstreckung von Urteilen, fielen dann weg.
In Bezug auf die Vollstreckung von Gerichtsurteilen dies- und jenseits des Ärmelkanals käme es dann auf völkerrechtliche Vereinbarungen an. So wäre ein Rückgriff auf das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) denkbar, dem UK 1978 beigetreten war. Nach diesem Abkommen wären zwar Gerichtsstandvereinbarungen in der Regel weiterhin wirksam, jedoch würde bei der Vollstreckung von Gerichtsurteilen wieder eine Vollstreckbarkeitserklärung verlangt werden.

Schiedsvereinbarungen

In Bezug auf Vereinbarungen von Schiedsgerichtsverfahren gilt weiterhin das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958. sodass es für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedsgerichtsurteile zwischen Deutschland und UK durch den Brexit keine direkten Veränderungen gibt. Indirekt können jedoch durch Einschränkungen bei der Personen- und Dienstleistungsfreiheit für Verfahrensbeteiligte Nachteile entstehen.

Handelsvertretervertrag

Europaweit einheitliche Regelungen zum Handelsvertretervertrag finden sich in der sog. „Handelsvertreter-Richtlinie“. Diese wurde auch in UK innerstaatlich durch die „Commercial Agents (Council Directive) Regulations“ umgesetzt. Im Rahmen eines harten Brexits und einer Loslösung von europarechtlichen Einflüssen ist auch hier damit zu rechnen, dass sich die Regelungen in UK und die in der EU mittelfristig nicht mehr decken.
Unabhängig davon kann der Brexit auch dazu führen, dass Handelsvertreter, die in UK tätig sind, nicht mehr – wie gewöhnlich – einen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB geltend machen können, sofern sie gemäß § 92c HGB anderweitige Regelungen treffen. Die Tätigkeit als Handelsvertreter in UK ist dann nämlich wie eine Tätigkeit in einem Drittstaat zu beurteilen. Ist auf den Handelsvertretervertrag deutsches Recht anwendbar, könnte ein Ausgleichsanspruch damit ausgeschlossen sein, wenn die Vertragsparteien dies vereinbaren, vgl. § 92c HGB.

Incoterms

Insbesondere im Bereich der Kauf- und Lieferverträge werden auch die Verwendung von Incoterms® 2010-Klauseln verstärkt an Bedeutung gewinnen. Geht man von einem harten Brexit aus, werden beim Import/Export möglichweise wieder Zölle und weitere Kosten anfallen. Regelungen zur Kostentragung durch Incoterms® 2020-Klauseln – wie bspw. „EXW“ oder „DDP“ – sollten daher mit Bedacht eingesetzt werden. Daneben sollten bestehende Verträge auf Kostentragsungspflichten und andere Vereinbarungen geprüft und ggf. angepasst werden.

Territorialvorschriften

Ein Augenmerk im Zusammenhang mit dem Brexit sollte auch auf Verträgen mit sog. Territorialklauseln liegen. Hierzu zählen z.B. Verträge aus dem Bereich Vertrieb, Handelsvertreter, Franchise oder Lizenzen. Wurde ein Vertrag bspw. mit dem Geltungsbereich „Europa“ oder „EU“ geschlossen, stellt sich die Frage, worauf sich diese vertragliche Regelung bezieht. Im 1. Fall kann damit Europa im geografischen Sinn gemeint sein, sodass UK ggf. weiterhin vom Vertrag umfasst wäre. Im 2. Fall kann man sich die Frage stellen, ob damit die Mitgliedsstaaten der EU im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gemeint sind (sog. „statische Verweisung“) oder ob sich der Vertrag auf die tatsächlich bestehenden Mitgliedsstaaten erstreckt (sog. „dynamische Verweisung“). In beiden Fällen muss im Streitfall eine Auslegung erfolgen. Ggf. kann eine solche Klausel auch zu einer Vertragsauflösung führen (s.o.).

Risikoanalyse und Handlungsoptionen

Im Rahmen einer Risikoanalyse sollte eine Prüfung bestehender Verträge u.a. auf:
  • Vertragspartner aus UK
  • Rechtswahlklausel
  • Gerichtsstandvereinbarung
  • Schiedsgerichtsklausel
  • Kündigungsoptionen
  • vereinbarte Incoterms
  • Territorialklauseln
  • Vertragsgegenstand und Umfang
stattfinden. 
Im zweiten Schritt sollten Handlungsoptionen im Einzelfall erarbeitet werden, z.B.:
  • bei Bestandsverträgen:
    • Nachverhandlung
    • Vertragsauflösung
    • „Schadensbegrenzung“, wenn keine Einigung / Auflösung möglich
    • Berücksichtigung von Alternativen
  • bei Neuverträgen: Klauseln zu Kündigung, Rechtswahl, Gerichtsstand, Incoterms und ggf. Schiedsgericht.