IHK Berlin

Ausbildungsbilanz 2023: Ausbildung wird internationaler, Zahl der Vertragslösungen trübt das Bild

Der positive Trend bei den neu geschlossenen Ausbildungsverträgen, der sich noch im Herbst 2023 abzeichnete, ließ sich im weiteren Jahresverlauf nicht aufrechterhalten. Hauptursache ist eine signifikant höhere Zahl an Vertragslösungen nach Ausbildungsbeginn. 15,6 Prozent der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge wurden demnach wieder gelöst. War zum Start des Ausbildungsjahres im September 2023 noch mit einem rund siebenprozentigen Plus zu rechnen im Vergleich zu 2022, liegt die Zahl der Verträge nach den Lösungen nun 4,5 Prozent unter dem Vorjahresniveau (2022: 7.708 neue Verträge, 2023: 7.363 neue Verträge). Fehlzeiten im Betrieb und in der Berufsschule und die falsche Berufswahl durch unzureichende Informationen waren häufig genannte Gründe, die zu einer Vertragslösung geführt haben. Positiv bei der Auswertung der Vertragszahlen ist zu bewerten, dass die Ausbildung internationaler wird. So hatten 2013 noch 1.391 Auszubildende eine ausländische Staatangehörigkeit, aktuell sind es dagegen bereits 2.392 Jugendliche. Insgesamt liegt der Anteil von Azubis mit nicht-deutschem Pass bei 12,4 Prozent.
Erste Umfragen bei Ausbildungsunternehmen und Azubis weisen darauf hin, dass die Pandemie mit den langen Lock-Down-Phasen gravierendere Folgen hat als anfänglich vermutet. Für viele Jugendliche gab es nur eingeschränkte Angebote, sich beruflich zu orientieren. Falsche Vorstellungen vom gewählten Ausbildungsberuf verbunden mit der geringeren Bereitschaft, die getroffene Wahl beizubehalten, mündeten demnach in der hohen Zahl an Vertragslösungen. Die Datenanalyse ergab zudem, dass im vergangenen Jahr gerade Betriebe mit nur einem Auszubildenden im Moment nicht mehr ausbilden. Ob diese Betriebe keine Auszubildenden gefunden haben oder z.B. die allgemeine konjunkturelle Lage ausschlaggebend hierfür war, wird die IHK Berlin in einer vertiefenden Umfrage ebenso untersuchen wie die Hintergründe für die Vertragslösungen. 
 
Stefan Spieker, Vizepräsident der IHK Berlin: „Die hohe Lösungsquote bei den Ausbildungsverträgen muss allen Partnern der Ausbildung zu denken geben. Während der Pandemie haben sich die Ausbildungsverhältnisse noch als außerordentlich stabil erwiesen, diese Bindungsbereitschaft ist fragiler geworden. Es ist jetzt unsere gemeinsame Aufgabe, diese Entwicklung aufzuhalten. Die Jugendlichen – und auch die Ausbildungsunternehmen – brauchen unsere Unterstützung. Dazu gehören beispielsweise eine praxisnah ausgestaltete Berufsorientierung sowie der Austausch von Daten unversorgter Jugendlicher zwischen Schule und der Agentur für Arbeit. Gleichzeitig muss darüber nachgedacht werden, wie Jugendliche an den Berufsschulen noch intensiver sozialpädagogisch unterstützt werden können, um die ausbildungsgefährdenden Fehlzeiten in Schule und Betrieb zu vermeiden. Angesichts der Vielschichtigkeit der Herausforderungen zeigt sich einmal mehr, dass es keine einfachen Antworten gibt und die vermeintliche Lösung Ausbildungsumlage am Ende keinem Jugendlichen helfen wird.”
Stefan Rohde, Personalleiter B. Braun SE, Standorte Berlin: „Für B. Braun in Deutschland hat die Duale Ausbildung eine große Bedeutung. Wir schützen und verbessern die Gesundheit von Menschen auf der ganzen Welt. Das gelingt uns nur gemeinsam mit unseren gut qualifizierten Mitarbeiter*innen. Wir erleben in den letzten Jahren einen immer stärkeren Trend bei Schülerinnen und Schülern, nach dem Schulabschluss ein Studium beginnen zu wollen. Gleichzeitig fehlt mitunter die nötige Reife – sowohl für ein Studium als auch für eine Ausbildung. Es ist also zunehmend eine Herausforderung für Unternehmen, junge Menschen für die Duale Ausbildung zu begeistern und sie dann im Lernprozess zu begleiten. Hier ist aus unserer Sicht die Politik gefragt, die allgemeinbildenden Schulen darin zu unterstützen, die Voraussetzungen für einen guten und zielgerichteten Übergang ins Berufsleben zu schaffen und diesen mitzubegleiten. Wir investieren als Unternehmen viel in Berufsorientierung und in Zusatzqualifizierung von Ausbilder*innen und Auszubildenden. Damit die Duale Ausbildung auch weiterhin eine Zukunft hat, braucht es den Schulterschluss zwischen Politik, Schulwesen, IHK und Wirtschaft.“

Um die Ausbildung attraktiver zu machen, hat die Berliner Wirtschaft deshalb fünf Forderungen an den Senat:
 
  • Ausgestaltung eines Übergangssystems mit dem Ziel, berufsvorbereitende Unterstützung für die Schülerinnen und Schüler anzubieten, damit diese schnellstmöglich in die duale Ausbildung wechseln können.
  • Berufsorientierung im Gymnasium, die auch die duale Ausbildung als gleichwertigen Weg nach dem Abitur umfasst- 36 % der Azubis, die 2023 in Berlin einen Ausbildungsvertrag geschlossen haben, sind Abiturienten.
  • Lückenloser Datenaustausch zwischen Schule und Agentur für Arbeit und Jugendberufsagentur am Vorbild von Hamburg und Bremen, damit die 3000 unversorgten Schülerinnen und Schüler nach Beendigung der Schule nicht unversorgt bleiben und dem Ausbildungsmarkt zur Verfügung stehen. Diese Jugendlichen müssen durch eine aufsuchende Beratung engmaschig betreut werden.
  • Aufstocken von Bildungsbegleitern und sozialpädagogischer Unterstützung am Übergang und in den Berufsschulen. 
  • Der Senat muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass bezahlbarer Wohnraum – ähnlich wie Wohnheime oder Studierenden-WGs auch für Azubis gebaut werden. Die IHK Berlin fordert deshalb den Senat auf, neben dem Bundesprogramm Junges Wohnen auch mit Landesmitteln bezahlbaren Wohnraum für Auszubildende zu schaffen. Auch die Implementierung eines Berliner Azubiwerkes nach Hamburger Vorbild unter Beteiligung der Wirtschaft wäre ein erster Schritt zur langfristigen Fachkräftesicherung in Berlin.

Die Zahlen im Einzelnen: 
Die drei beliebtesten Berufe und die Berufe mit den meisten Verträge waren im kaufmännischen Bereich die Kaufleute für Einzelhandel (842 Verträge), gefolgt von den Kaufleuten für Büromanagement (639 Verträge) und dem Beruf der Verkäuferin/ des Verkäufers (507 Verträge).
Im gewerblich-technischen Bereich war der Beruf des Fachinformatikers (563 Verträge), der Elektroniker (271 Verträge) und Mechatroniker (206 Verträge) am beliebtesten. 
Die größten Vertragszuwächse gab es etwa beim Ausbildungsberuf Fachkraft für Gastronomie (+59 Prozent), bei den Kraftfahrzeugmechanikern (+ 25 Prozent) oder beim Ausbildungsberuf Industriekaufmann/-frau (+ 34 Prozent). 
Nur auf den ersten Blick rückläufig waren die Zahlen bei den IT-Systemelektronikern mit -14 Prozent. Hier ist die Anzahl der Azubis aber zu Gunsten des Fachinformatiker/-in Systemintegration gesunken, der einen Zugang von + 1 Prozent hatte. 
Mit der Neuordnung der Berufe ist zudem eine stärkere Abgrenzung zwischen den beiden Berufen erfolgt. So wurde beim IT-Systemelektroniker der Bereich Elektrotechnik verstärkt. Damit werden besondere Anforderungen an die Betriebe gestellt, die z.T. im Arbeitsalltag erst langsam umsetzbar sind.
Bei der Fachkraft für Gastronomie gab es mit 59 Prozent den größten Zuwachs an Neuverträgen. Nach den Einbußen durch Corona und dem Fachkräftemangel in der Gastronomie setzen die Ausbildungsbetriebe verstärkt auf Fachkräftegewinnung durch Ausbildung. 
Bei den Berufen der Automobilkaufleute gab es einen Zuwachs von 10 Prozent und die Industriekaufleute konnten um 22 Prozent ihre Vertragszahlen deutlich steigern. In beiden Berufen gibt es einen erhöhten Bedarf an Nachwuchskräften mit steigender Tendenz. Auch das Interesse von Seiten der Azubis mit Abitur wächst, da sich mit dem Berufsabschluss „Industriekaufmann/-frau“ z. B. eine breite Einsatzmöglichkeit in verschiedenen Branchen und Abteilungen eröffnet.