IHK Berlin

Novellierung Vergabegesetz: Kammern fordern weniger Bürokratie und mehr Mittelstandsfreundlichkeit

Das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz soll novelliert werden. IHK und Handwerkskammer Berlin waren um eine Stellungnahme zum Referentenentwurf gebeten worden. Nach Ansicht der Kammern nutzt jedoch auch das novellierte Gesetz nicht alle Möglichkeiten, um die Attraktivität öffentlicher Aufträge tatsächlich zu steigern.
So kritisierten die Kammern, dass Berlin mit dem Anheben des Vergabemindestlohns im Bundesvergleich einen Sonderweg einschlägt. Außerdem fordern sie, Unternehmen von bürokratischen Pflichten zu entlasten. So schlagen die Kammern vor, Nachweise künftig nur noch von jenen Unternehmen anzufordern, die bei mehrstufigen Verfahren über die erste Runde hinausgekommen sind. Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Reduzierung der Kriterien, die mit der Auftragserfüllung nichts zu haben, wie etwa Förderpläne für bestimmte Arbeitnehmerzielgruppen. Hier kritisieren die Kammern, dass die neu hinzu gekommenen Öffnungsklauseln dem Ziel einer mittelstandsfreundlichen und weniger bürokratischen Vergabe entgegenstehen. Positiv bewerteten die Kammern sowohl die Einführung einheitlicher Wertgrenzen als auch die geplante Zentralisierung von Vergabestellen. Im nächsten Schritt wird der Gesetzesentwurf im Abgeordnetenhaus beraten.
„Wir stehen in Berlin vor einem riesigen Investitionsstau: Die Mittel sind da, kommen aber nicht auf die Straße. Wir wissen aus unseren Unternehmensumfragen, dass sich viele Unternehmen gar nicht erst an öffentlichen Vergaben beteiligen, weil es schlichtweg nicht attraktiv ist. Mit der Novellierung des Vergabegesetzes könnte – und sollte – die Politik jetzt gegensteuern“, so Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin. „Der Mittelstand ist das Herz der Berliner Wirtschaft. Um ihn zu stärken, muss das Vergaberecht Innovationen fördern und Preissteigerungen bei den Unternehmen durch höhere Schwellenwerte bei Verhandlungsvergaben und beschränkten Vergaben nachvollziehen. Deshalb fordern wir den Senat auf, die Bedenken der Berliner Wirtschaft ernst zu nehmen und das Vergabegesetz zu verschlanken.“
„Das Handwerk boomt in der Hauptstadt. Die Auftragsbücher sind voll und Handwerksbetriebe fragen sich natürlich, ob es sich lohnt, sich für einen öffentlichen Auftrag zu bewerben. Die Antwort lautet meistens: Nein. Öffentliche Aufträge sind für die Unternehmen oft nicht wirklich attraktiv. Der bürokratische Aufwand ist viel zu hoch. Die Anzahl und Art der Nachweise muss praktikabel und vom Aufwand her vertretbar bleiben. Schlanke Verfahren und weniger Nachweise sind das A und O für eine attraktive Vergabe. Kriterien, die mit der zu erbringenden Leistung nichts zu tun haben und immer weiter ergänzt werden können, erhöhen die Hürden der Teilnahme. So kommen „Stadt“ und „Handwerk“ nicht zusammen“, so der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Berlin, Jürgen Wittke.
Christian Hanke, Geschäftsführer Wehner-Tischlerei „Neben dem ohnehin schon hohen bürokratischen Aufwand macht ein gegenüber dem gesetzlichen Mindestlohn regional noch erhöhter Vergabemindestlohn öffentliche Aufträge Berlins zusätzlich unattraktiv. Nehmen wir an, der Vergabemindestlohn beträgt 11,30€. Dann müsste ein Betrieb mit niedrigerem Branchenmindestlohn – wie meine Tischlerei - eigentlich je nach Auftraggeber unterschiedliche Mindestlöhne für ungelernte Mitarbeiter ansetzen: einmal den erhöhten Mindestlohn für den öffentlichen Auftraggeber und - um wettbewerbsfähig anzubieten - den niedrigeren Mindestlohn für den privaten Auftraggeber. Das führt zu erhöhtem Dokumentationsaufwand sowie Mehrarbeit und Mehrkosten in der Lohnbuchhaltung. Wenn in Brandenburg dann auch noch ein weiterer, abweichender Vergabemindestlohn gilt, wird das Chaos in der Wirtschaftsregion perfekt. Unterschiedliche Mindestlöhne führen auch dazu, dass das Gerechtigkeitsempfinden in meinem Betrieb berührt wird. Wie soll ich einem Mitarbeiter erklären, dass er im Vergleich zu seinem Kollegen weniger verdient, nur weil er für einen privaten Auftraggeber arbeitet? Das schafft Ungerechtigkeiten. In der Realität wird es aber so kommen, dass schlicht und ergreifend auf den Einsatz von Helfern verzichtet werden muss. Das kann doch nicht der Sinn der Übung sein. Unabhängig von einem tatsächlichen Auftrag führt allein das Festlegen eines (zweiten) Mindestlohns dazu, dass das mit der Gewerkschaft ausgehandelte Tarifgefüge von außen zerstört wird und die Löhne von ausgebildeten Fachkräften entwertet werden. Das geht wirklich zu weit."
Christian Rücker, Geschäftsführer ARDOR SE: „Das wirtschaftlichste Angebot ist nicht das billigste. Qualität kostet. Die öffentliche Hand muss sich daher endlich selbst verpflichten, das Rundum-Paket in den Fokus zu rücken.“
André Richter, Geschäftsführer der queo Berlin GmbH: „Das Land Berlin sollte seine Vergabepraxis dafür nutzen, selbst vom digitalen Fortschritt, von innovativen Produkten und Servicelösungen zu profitieren. Das gelingt nur, wenn die Verantwortlichen endlich aktiv Innovationen nachfragen und den Dialog mit der Wirtschaft suchen. Nur so erlangen sie die Kompetenz, die es braucht, um Marktentwicklungen und Technologietrends einzuschätzen und für dringend benötigte Investitionen in die Zukunft mit in die Waagschale zu werfen.“