Standortpolitik

Innovationspolitik aktuell Juni 23: Schwarz-roter Koalitionsvertrag auf dem Prüfstand

Im aktuellen Koalitionsvertrag „Ein Aufbruch für die Stadt. Eine Koalition für Erneuerung. Ein Regierungsprogramm für alle“ der schwarz-roten Regierung sind einige wichtige innovationspolitische Themen aufgegriffen. Ob es dabei tatsächlich zu spürbaren Weichenstellungen kommt und wie eine Umsetzung erfolgen könnte, bleibt unklar. Eine Kommentierung aus Sicht der Wirtschaft.

Wissens- und Technologietransfer

Über Hochschulverträge Transfer mit KMU fördern
„Neben exzellenter Forschung und Lehre als Ziele der Hochschulen soll der Technologietransfer über Ausgründungen eine relevante Ergebnismessgröße in den Hochschulverträgen werden…“
IHK-Einschätzung: Den Transfer auch über die Hochschulverträge zu steuern, ist der richtige Ansatz. Transfer muss als 3. Säule gleichberechtigt neben Forschung und Lehre stehen. Die Anzahl der Ausgründungen als einziger zu messender Indikator greift angesichts der vielfältigen Transferoptionen und -wege in KMU jedoch zu kurz. Ein Indikatoren-Set, das dieser Vielfalt Rechnung trägt und hochschulindividuell anwendbar ist, ist der erforderliche Schritt für eine höhere Kooperationsbilanz mit der regionalen kleinen und mittelständischen Wirtschaft.
Innovationsnetzwerke aus Hochschulen und Wirtschaft schaffen
„Hochschulen sollen stärker untereinander und mit der Wirtschaft in Innovationsnetzwerken zusammenarbeiten, hierfür prüft die Koalition auch die Etablierung eines KMU-Büros …“
IHK-Einschätzung: Die „Idee KMU-Büro“ wurde im Dialog mit der Wirtschaft geboren und wirkt bei entsprechender Umsetzung als gut geöltes Scharnier zwischen exzellenter Hochschulexpertise und innovationsaffiner Wirtschaft. Dafür müssen die KMU-Büros grundfinanziert sowie mit den erforderlichen personellen Ressourcen ausgestattet sein. Sie untermauern die Aufwertung der Transferaktivitäten als gleichberechtigter dritter Säule neben Forschung und Lehre an den Hochschulen und erhöhen die dringend erforderliche Transparenz gegenüber der kooperationsbereiten und -suchenden Wirtschaft am Standort.

Wissenschaftsstandort

Höhere Hochschuletats für Potenzialentfaltung nutzen
„Die derzeit jährliche Steigerung der Hochschulverträge von 3,5 Prozent wird ab 2024 auf jährlich 5 Prozent erhöht.“
IHK-Einschätzung: Auch aus Wirtschaftssicht ist der geplante Aufwuchs der Hochschuletats ein starkes Signal. Mit ihren unter­schiedlichen Profilen holen Hochschulen Studierende, Lehrende und Forschende nach Berlin und beeinflussen mit, dass diese als akademische Fachkräfte und Gründende am Standort bleiben. Die zusätzlichen Mittel müssen der Aufgabenerfüllung dienen und tatsächlich Freiräume zur Potenzialhebung schaffen. Keinesfalls dürfen sie nur durch Kostensteigerungen (z. B. für Personal, Energie und Bauen) verpuffen. Ein Teil guten Ressourceneinsatzes ist der Ausbau und die Verstetigung erfolgreicher hochschulischer Verbünde, wie Science & Startups/ K.I.E.Z und IFAF Berlin.
Klarer, eindeutiger Rechtsrahmen motiviert Hochschulen und Unternehmen
„Die zentralen rechtlichen Rahmenbedingungen werden wir dahingehend überprüfen, ob sie es den Hochschulen erleichtern, bestmögliche Leistungen in Studium und Lehre zu erbringen, sich im Forschungswettbewerb zu behaupten und geeignete Formen der Mitbestimmung sicherzustellen.“

IHK-Einschätzung: Mindestens 20 Rechtsvorschriften gelten in Berlin für den Bereich Wissenschaft und Hochschulen. Diese auf den Prüfstand zu stellen, ist auch aus Sicht der Berliner Unternehmen wichtig und richtig. Als ein Beispiel sei die Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) genannt, die die Themen Fachkräftesicherung und Wissens- und Technologietransfer betrifft. Mit ihr steht bzw. fällt die Integration der Unternehmenspraxis in möglichst viele Studiengänge. Sei es im Rahmen von Praktika, dualer Studien­gänge, studiengangsintegrierter Praxisphasen oder auch anderer innovativer Praxisformate. Hierfür brauchen die Hochschullehrenden klare, eindeutige Regelungen und Anreize, um Unternehmen mit ins Boot zu holen.

Startup-Politik

Finanzierung der Startup Agenda sichern und von der Prüfung in die Umsetzung gehen
„Die Startup-Agenda wird umgesetzt, mit bestehenden Strategien und Bestandsunternehmen verzahnt und Social Entrepreneurship gefördert. Der runde Tisch „Startups“ wird von der Wirtschaftsverwaltung fortgeführt und die Startup-Map weiterentwickelt.“
IHK-Einschätzung: Die Umsetzung der im November 2022 beschlossenen Agenda ist das richtige Zeichen wirtschaftspolitischer Kontinuität. Was weiterhin fehlt, ist die Unterlegung aller Agenda-Punkte im kommenden Doppelhaushalt des Landes. So bleiben Vorhaben wie die bessere internationale Vermarktung Berlins als Standort für Impactgründungen ebenso Stückwerk wie ein angestrebtes Startup Festival. Auch das Vorhaben, Startups und Verwaltung insbesondere bei sustainable Innovation besser zu vernetzen und das Land zu einem exzellenten Reallabor für derartige Produkte zu machen, wird scheitern, wenn es nicht mit ausreichend Ressourcen untersetzt ist. Auf die in den letzten Wochen erfolgte Prüfung, wie Strukturen für den Wissenstransfer von Startups in die Verwaltung beschaffen sein könnten, muss nun die weitere Umsetzung bis hin zu Implementierung solcher folgen.
Großen Worten müssen große Taten folgen
„Die künstliche Intelligenz ist eine der Schlüsseltechnologien unserer Zeit. Deshalb werden wir zur Bündelung der existierenden Initiativen und Vernetzung mit der Wirtschaft ein Berliner KI-Hub gründen.“
IHK-Einschätzung: Was sich wie eine hoffnungsstiftende Ankündigung liest, scheint nach aktuellen Informationen ein Investment von 800.000 Euro in ein oder zwei Lehrstühle zur KI-Forschung zu beinhalten. Zwar ist Berlin in der KI-Forschung relativ gut aufgestellt – angesichts der ungeheuren Dynamik, mit der sich KI entwickelt, müssen solchen Ankündigungen andere (finanzielle) Taten folgen. Baden-Württemberg etwa unterlegt seine KI-Strategie mit einer hohen zweistelligen Millionensumme. Ein Schritt, der Berlin angesichts des postulierten Ziels gut zu Gesicht stünde.

Beschaffungs- und Vergabepolitik

Mehr innovative Lösungen in die öffentliche Anwendung holen
„Wir wollen, dass sich mehr kleine und mittlere Unternehmen an Ausschreibungen beteiligen. Das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz wird samt Verordnungen im Jahr 2024 evaluiert. Der Koalition ist besonders wichtig, dass der Zuschlag auf Grundlage einer transparenten Bewertungsmatrix aus Qualität, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit.“

IHK-Einschätzung: Die IHK begrüßt die Entbürokratisierung des Vergaberechts und die Evaluation des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes samt Verordnungen. Ziel muss sein, über eine echte Entlastung von KMU als Kunden der öffentlichen Hand wieder mehr potenzielle Bieter zu erreichen und qualitativ hochwertige Angebote zu generieren. Die Fokussierung auf eine Bewertungsmatrix aus qualitativen, wirtschaftlichen und nachhaltigen Kriterien ist ein großer Fortschritt. Wichtig bleibt, die Vergabeverantwortlichen in der Verwaltung mit den erforderlichen Ressourcen aus Personal, Know-how und politischem Rückenwind für die Umsetzung auszustatten – und damit sollte Berlin nicht erst auf Evaluierungsergebnisse warten, sondern sofort loslegen.