Drei Fragen. Drei Antworten. Das Interview mit Gaby Bischoff (SPD)

Ihr Fazit nach 100 Tagen im Amt: Was war bisher das prägendste Ereignis?
Wie schnell die Brandmauer gefallen ist und die Europäische Volkspartei mit Rechtsextremen und Faschisten stimmt, um Mehrheiten jenseits der demokratischen Mitte des Hauses zu finden, hat mich erschüttert. Das hätte ich so nicht für möglich gehalten.
Stellen Sie sich vor, Sie wären EU-Wirtschaftskommissar*in: Welche drei Punkte würden Sie angehen?
Meine drei Prioritäten wären: Investitionen, Investitionen, Investitionen. Für eine wettbewerbsfähige EU sind laut dem Draghi-Bericht in den kommenden Jahren rund 800 Mrd. Euro an zusätzlichen Investitionen pro Jahr erforderlich. Dazu gehören Investitionen in Infrastruktur, die Energiewirtschaft, die Digitalisierung sowie insbesondere in die Bildung und Ausbildung. Wir haben uns in der EU ambitionierte Ziele für eine nachhaltige, moderne und sozial gerechte Gesellschaft gesetzt. Die können wir nur erreichen, wenn wir dazu auch die benötigten Weichen stellen. Wir müssen dringend die Grundlagen bereiten für eine zukunftsfähige Industrie, die gute Arbeitsplätze sichert und Wettbewerbsfähigkeit mit Verbraucherschutz, Arbeitnehmer*innenrechten und Nachhaltigkeit verbindet. Daneben müssen wir insbesondere auch mit Blick auf die derzeitigen globalen Entwicklungen strategische Abhängigkeiten reduzieren. Die EU muss eine unabhängige Energieversorgung gewährleisten und Lieferketten diversifizieren, um sich weniger erpressbar zu machen.
Woran wollen Sie sich am Ende Ihrer Legislaturperiode messen lassen: Was wollen Sie für die Berliner Wirtschaft erreichen?
Ich werde mich für faire Lösungen gegen den Fachkräftemangel einsetzen. Um unsere Wirtschaft zukunftsfähig zu machen, brauchen wir ausreichend viele Arbeitskräfte auf allen Qualifikationsebenen. Im Vordergrund steht hier die Förderung und Sicherstellung guter Arbeit und guter Bezahlung, um Arbeitskräfte zu finden und zu halten. Zusätzlich brauchen wir öffentliche und private Investitionen in Aus- und Weiterbildung, um vorhandene Potentiale zu nutzen. Wir haben den Rahmen geschaffen für einfachere Möglichkeiten für die legale Einreise in die EU, um Menschen aus Drittstaaten für unseren Arbeitsmarkt zu gewinnen. Zusätzlich müssen wir auch die EU-Integrationsstrategie vorantreiben und sicherstellen, dass Beschäftigte aus Drittstaaten bei uns unter guten Bedingungen arbeiten und leben. Ein weiteres Herzensprojekt für mich ist die Einrichtung eines Sonderausschusses Wohnen, der an Lösungen für die Wohnungskrise in der EU arbeitet und dazu beiträgt, dass wir alle notwendigen Ressourcen mobilisieren, um explodierende Grundstückspreise und Mieten zu stoppen und allen Menschen Zugang zu guten, nachhaltigem und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.