Politische Positionen

Alternativen zum Ehegattensplitting prüfen und umsetzen

Rund 70 Prozent der Berliner Unternehmen sehen im Fachkräftemangel ihr größtes Geschäftsrisiko. Die Wirtschaftsforschung kommt zu dem Ergebnis, dass durch eine Abschaffung des Ehegattensplittings neue Fachkräftepotenziale für den Arbeitsmarkt erschlossen werden können. So führt die steuerliche Veranlagung bei Ehepaaren dazu, dass sich für viele Frauen die Aufnahme von Arbeit bzw. eine Ausweitung der Arbeitsstunden nicht rechnet. Daher muss das steuerliche Instrument angesichts der sich weiter verschärfenden Situation am Arbeitsmarkt hinterfragt werden. Die IHK appelliert an die Politik, Alternativen zum Ehegattensplitting zu prüfen und hier, zusammen mit flankierenden Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Übergangslösungen für bestehende Ehen, zukunftsweisende Neujustierungen auf den Weg zu bringen.  

Steuerliche Vorteile bei ungleichem Verdienst

Das Ehegattensplitting ist ein steuerliches Instrument, das Ehepaaren in Deutschland ermöglicht, ihre Einkommen gemeinsam zu versteuern und dadurch von steuerlichen Vorteilen zu profitieren. Es wurde ursprünglich eingeführt, um traditionelle Ehe- und Familienstrukturen zu unterstützen und gilt nur für verheiratete Paare oder eingetragene Lebenspartnerschaften. Bei der Zusammenveranlagung als Besteuerungsform addiert das Finanzamt das Einkommen beider Partner, teilt diesen Betrag durch zwei, errechnet dann, wie viel Einkommensteuer auf eine Hälfte zu zahlen ist und verdoppelt diese Steuerschuld anschließend. Durch den progressiven Verlauf des Einkommensteuertarifs ergeben sich im Vergleich zu unverheirateten Paaren in der Regel steuerliche Vorteile, die umso größer ausfallen, je größer der Einkommensunterschied zwischen den Ehepartnern und je höher das gemeinsame Gesamteinkommen ist.

Mehr Fachkräftepotenziale für den Arbeitsmarkt wären möglich

Als Folge des Ehegattensplittings unterliegen beide Ehepartner dem gleichen Durchschnitts- und Grenzsteuersatz. Umgekehrt bedeutet dies: Durch die gemeinsame Veranlagung wird das geringere Einkommen des Zweitverdienenden in der Regel mit einem Grenzsteuersatz belastet, der höher ist als es dem individuellen Einkommen eigentlich entspricht. Diese hohe Belastung hat laut Studien von DIW, ifo Institut, RWI und dem wissenschaftlichen Beirat im Bundesfinanzministerium negative Erwerbsanreize für Zweitverdienende zur Folge. Das Ehegattensplitting schafft demnach für Zweitverdienende – bei denen es sich größtenteils um Frauen handelt – finanzielle Anreize, nicht oder nur geringfügig zu arbeiten. So werden von 508.481 Teilzeit-Beschäftigungen in Berlin rund zwei Drittel von Frauen wahrgenommen:
2023-10-23-Ehegattensplitting-SV-Beschäftigung
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Dez. 2022, Zahlen für Berlin
Das DIW schätzt, dass der deutschen Wirtschaft durch die negativen Anreize des Ehegattensplittings im Durchschnitt 280 Arbeitsstunden pro Frau und pro Jahr entgehen. Durch eine Reform des Ehegattensplittings könnte somit erhebliches Fachkräftepotenzial für den Arbeitsmarkt erschlossen werden. Dies beträfe in erster Linie Branchen in denen überwiegend Frauen - derzeit oft in Teilzeit - beschäftigt sind, wie bspw. Careberufe. Einer RWI-Simulation zufolge würden der deutschen Wirtschaft durch einen steueraufkommensneutralen Übergang vom Ehegattensplitting hin zur Individualbesteuerung der Ehepartner theoretisch mehr als eine halbe Million zusätzliche Vollzeitarbeitskräfte zur Verfügung stehen. Auf Berlin umgelegt würde dies ein theoretisches zusätzliches Arbeitskräftepotenzial von über 26.000 Vollzeitarbeitskräften bedeuten. Der europäische Vergleich zeigt, dass diverse EU-Länder wie bspw. Schweden, Niederlande, Österreich oder Spanien die gemeinsame Besteuerung von Ehepartnern, nicht zuletzt vor diesem Hintergrund, abgeschafft haben. Laut Berechnungen des DIW hätte eine Abschaffung des Ehegattensplittings zudem auch positive fiskalische Effekte: Durch die Ausweitung der Frauenerwerbstätigkeit würden demnach mindestens 4,2 Milliarden Euro mehr Arbeitseinkommen erwirtschaftet. Ein Teil davon würde in die Sozialversicherungen zurückfließen, was angesichts des sich verschärfenden demografischen Wandels dringend notwendig wäre.

Alternative: Individualbesteuerung
Ein Wechsel zur Individualbesteuerung stellt die weitgehendste Reformvariante dar. Gleichzeitig wären damit die stärksten Erwerbsanreize gegeben. Bei einer Individualbesteuerung wird die Steuer grundsätzlich individuell berechnet, unabhängig vom Familienstand. Infolgedessen entfällt nicht nur der Splittingtarif. Auch das zu versteuernde Einkommen ist getrennt zu berechnen. Bezieherinnen und Bezieher hoher Einkommen würden aufgrund des bestehenden progressiven Tarifs dann stärker besteuert als Personen mit niedrigem Einkommen, unabhängig vom Einkommen der jeweiligen Partnerinnen oder Partner.
Quelle: Bertelsmann Stiftung

Bürokratiereduzierung und finanzielle Einsparungen können forciert werden

Das RWI berechnet für das BIP bei Abschaffung des Ehegattensplittings eine Steigerung von 1,5 Prozent, wodurch sich auch die Staatsverschuldung reduzieren ließe. Schon moderate Reformen, die bspw. den Splittingvorteil nur für besonders hohe Einkommen beschränkten, würden laut DIW Einsparungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro einbringen. Aktuell kostet das Ehegattensplitting laut Bundeszentrale für politische Bildung den Staat rund 20 Milliarden Euro im Jahr. Eine gewaltige Summe, mit der sich bei Abschaffung eine Menge politischer Probleme lösen ließen: So wären die für eine Ausweitung der Frauenerwerbstätigkeit notwendigen Investitionen im Rahmen der Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen in großen Teilen durch die Einsparungen refinanzierbar. Zudem könnten bildungs- und familienpolitische Investitionen wie bspw. die Kindergrundsicherung, das Elterngeld oder Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen des Kinderfreibetrags für Familien ausgeweitet werden.
Alternative: Ehezusatzfreibetrag
Es handelt sich hierbei um einen Reformvorschlag, der eine prinzipielle Individualbesteuerung vorsieht, gepaart allerdings mit einem einkommensabhängigen zusätzlichen Freibetrag für Eheleute. Dieser zusätzliche Freibetrag ist so gestaltet, dass er die Grenzbelastung der zweitverdienenden Person im Fall eines niedrigen Einkommens gezielt verringert.
Quelle: Bertelsmann Stiftung
Das Ehegattensplitting führt zudem zu einer Vielzahl von Sonderregelungen und Ausnahmen. Dies erhöht die Bürokratiekosten und erschwert die Steuererklärungen für Ehepaare. Ein vereinfachtes Steuersystem mit einheitlichem Steuertarif und Regelungen für alle Bürgerinnen und Bürger würde es Unternehmen und Einzelpersonen dagegen ermöglichen, ihre Steuern effizienter zu verwalten und somit die Wirtschaft insgesamt entlasten. Zur weiteren Verwaltungsvereinfachung wäre denkbar, auch nach einer Abschaffung des Ehegattensplittings eine gemeinsame Einkommensteuer-Erklärung der Ehegatten zuzulassen, damit die Anzahl der Veranlagungen und der Erklärungsaufwand nicht über Gebühr steigen. Insgesamt könnten so mit einer Reform des Splittings eine Effizienzsteigerung erreicht, Verwaltungskosten reduziert und – so weit in der Theorie – zusätzliche personelle Kapazitäten in Wirtschaft und Verwaltung freigesetzt werden.
Alternative: Realsplitting
Es gilt im Prinzip die Individualbesteuerung, aber der Erstverdienende kann steuerlich einen gewissen Betrag auf den Zweitverdienenden übertragen. Die Höhe des übertragbaren Betrags bestimmt dann den Spielraum der Splittingwirkung im Spektrum zwischen Individualbesteuerung und Ehegattensplitting.
Quelle: ifo Institut

Zusätzlich werden positive Effekte bei der Gleichstellung und Rentenvorsorge erwartet


Bereits 2013 wurde dem Ehegattensplitting im Rahmen der Gesamtevaluation aller ehe- und familienorientierten Leistungen des BMFSFJ bescheinigt, die meisten Ziele der Familienpolitik - vor allem die gleichstellungspolitischen - nicht zu erfüllen. Über 78 Prozent der verheirateten Frauen in Deutschland sind Zweitverdienerinnen und damit aufgrund des Ehegattensplittings von einem verhältnismäßig hohen Grenzsteuersatz betroffen. So werden zum großen Teil Frauen darin entmutigt, einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen oder ihre Arbeitszeit zu erhöhen, da die Besteuerung stark vom Einkommen des Ehepartners abhängig ist. In der Praxis führt dies oft dazu, dass Frauen ihre beruflichen Ambitionen hintenanstellen, was den Fachkräftemangel begünstigt und damit zu einer geringeren Produktivität führt.

Neben zusätzlichen Erwerbsanreizen würden Änderungen hier also auch gleichstellungspolitische Ziele verfolgen, welche der Zielsetzung der Sustainable Development Goals zur Geschlechtergerechtigkeit entsprechen. Das Ehegattensplitting hat traditionelle Geschlechterrollen zementiert und laut Forschung dazu beigetragen, dass viele Frauen finanziell von ihren Ehepartnern abhängig sind. Auf lange Sicht ist dieser Sachverhalt problematisch: So bekommen Frauen im Schnitt durch jahrzehntelange Teilzeitarbeit deutlich weniger Rente als Männer. Der sogenannte Gender-Pension-Gap – die geschlechtsspezifische Altersvorsorgelücke – liegt im EU-Vergleich in Deutschland auf einem hohen Niveau:
2023-10-23-Ehegattensplitting-Gender-Pension-Gap
Quelle: DIW u. Deutsches Institut für Altersvorsorge, 2019
2021 lag die durchschnittliche Altersrente für Frauen bei 807 Euro im Monat, bei Männern dagegen bei 1.227 Euro. Ohne Splitting hätten diese vermutlich mehr für die eigene Altersvorsorge einbezahlt. Somit tragen steuerpolitische Änderungen vor diesem Hintergrund auch zur Reduktion der sozialen Ungleichheit bei. Zudem erscheint das Ehegattensplitting auch in der generellen Gerechtigkeitsfrage als fragwürdig, denn bei einem Drittel der Berliner Familien handelt es sich um Alleinerziehende. Diese profitieren genauso wenig wie Unverheiratete vom Ehegattensplitting.

Alternative: Familiensplitting
Hierbei erfolgt ähnlich dem Ehegattensplitting eine steuerliche Zusammenveranlagung von Ehepartnern, jedoch werden zusätzlich kindergeldberechtigte Kinder berücksichtigt. Das zu versteuernde Einkommen wird also nicht durch zwei geteilt, sondern durch einen Divisor, der sich nach der Anzahl der Kinder richtet. Beim Teilen des Einkommens entsteht ein steuerlicher Vorteil, der umso größer ist, je höher der Divisor ist. Um zu verhindern, dass der Splittingvorteil für eine Familie mit Kindern im Verhältnis zu einer vergleichbaren Familie ohne Kinder unverhältnismäßig groß wird, werden Deckelungen des Splittingvorteils diskutiert. Eine Anwendung des Familientarifsplittings erfolgt derzeit in Frankreich („Quotient familial“).
Quelle: DIW

Politische Handlungsempfehlungen

Bisherige Erfahrungen mit dem Ehegattensplitting zeigen, dass es eine Hürde in Richtung der Stärkung des Arbeitsmarkts, zur Förderung der Gleichstellung und zur Vereinfachung des Steuersystems darstellt. Es ist jedoch elementar, dass ein Steuersystem den aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realitäten angepasst wird, um ein nachhaltiges und inklusives Wachstum zu fördern. Institutionen wie die EU-Kommission oder die OECD haben Deutschland in den letzten Jahren immer wieder dazu aufgerufen, die negativen Auswirkungen des Ehegattensplittings auf die Erwerbsbeteiligung von vornehmlich verheirateten Frauen durch entsprechende Reformen zu korrigieren. Alternative Besteuerungsmodelle könnten viele Frauen ermutigen, ihre eigenen beruflichen Ambitionen stärker zu verfolgen und dadurch die Wirtschaft in ihrer Produktivität und Innovationskraft stärken.
Eine Abschaffung des Ehegattensplittings allein ohne flankierende Maßnahmen im Vorfeld, die bspw. zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie führen, wäre allerdings als wenig wirksam einzustufen hinsichtlich der Effekte auf die Beschäftigung. Denn nur, wenn die Kinderbetreuung oder Pflege der Angehörigen sichergestellt ist, können betroffene Frauen auch tatsächlich mehr arbeiten. Neben den flankierenden Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsste bei einer Reform des Ehegattensplittings - angesichts der teilweise langfristig geschlossenen Dispositionen von Ehegatten - zudem eine Übergangslösung für bestehende Ehen diskutiert werden. Die IHK Berlin empfiehlt dem Land Berlin, sich im Bund mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass Alternativen zum Ehegattensplitting auf ihre Machbarkeit geprüft und dann mit einer Übergangsfrist sowie den notwendigen flankierenden Maßnahmen umgesetzt werden.

Quellen und weitere Informationen:
Stand: 21.09.2023