Arbeitsmarktpolitik

Ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltiger dank multilokaler Arbeit

Verstärktes multilokales Arbeiten kann einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. So können Fahrten zum Arbeitsplatz und Geschäftsreisen reduziert sowie Ressourcen eingespart und Betriebskosten gesenkt werden. Von der Wirtschaft wird erwartet, hierzu einen Beitrag zu leisten. Die Flexibilisierung des Arbeitens ist mittlerweile breit erprobt. Dennoch fehlt gerade für mobiles Arbeiten weiterhin ein entsprechender Rechtsrahmen. Um diese Arbeitsform und ihre nachhaltigen Effekte dauerhaft zu etablieren, brauchen Betriebe einen hohen Technikstandard, die Freiheit zur Steuerung und Selbstorganisation sowie Anreize und Erleichterungen.  

Multilokales Arbeiten ist die Zukunft

Hatte die mobile Arbeit vor Corona eher ein Nischendasein, ist mittlerweile klar: digitaler, flexibler und individueller zu arbeiten hat Vorteile. Größte Motivation für Firmen ist aktuell, den Beschäftigten ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. 
54 Prozent bzw. über 550 der befragten Unternehmen der IHK-Nachhaltigkeitsumfrage 2022 begründen ihr Angebot multilokaler Arbeit damit, dass sie ihre Arbeitgeberattraktivität steigern wollen. Die Relevanz dieses Faktors nimmt zu, je größer das Unternehmen ist. 
Multilokale Arbeit wird demnach von der Mehrheit der Betriebe bereits als Instrument und unverzichtbarer Wettbewerbsparameter zur Fachkräftesicherung verstanden. So helfen Beschäftigten flexible Arbeitsbedingungen, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben leichter zu organisieren. Wenn dazu durch weniger Pendeln der Stress gemindert wird oder die Arbeit besser an persönliche Bedürfnisse angepasst werden kann, steigt die Zufriedenheit mit dem Job und die Lebensqualität erhöht sich. Regelmäßige IHK-Umfragen haben ergeben, dass zwischen 40 und 60 Prozent der Unternehmen, in denen mobile Arbeit möglich ist, künftig multilokal arbeiten wollen, also einen Mix aus Präsenz- und Mobilarbeit anstreben. Bei Veränderungsprozessen ist jedoch von großer Bedeutung, dass diese im Dialog mit den Beschäftigten erfolgen und mit den unternehmensspezifischen Sozialstrukturen kompatibel sind. Darüber hinaus eröffnet multilokales Arbeiten Chancen im Hinblick auf den Abbau von Barrieren und damit die berufliche Teilhabe von Fachkräften mit Behinderung.
GRAFIK 1

Nachhaltigkeitseffekte multilokaler Arbeit 

Dabei bietet multilokales Arbeiten nicht nur individuelle Vorteile für Beschäftigte und Betriebe. Auch hinsichtlich ökologischer sowie sozialer Nachhaltigkeit kann Impact erzielt werden. Der Büroflächen-, Strom- sowie Wasserbedarf kann optimiert werden, sodass im Unternehmen zunächst einmal Betriebskosten gesenkt und Ressourcen eingespart werden können. Gängige Studien gehen davon aus, dass rund fünf Prozent des Energieverbrauchs eingespart werden kann. So fallen bspw. zusätzliche Energiekosten für den Transport zum Arbeitsplatz oder bei Dienstreisen weg.
Rund ein Viertel der Unternehmen in der IHK-Nachhaltigkeitsumfrage geben eine Senkung der Betriebskosten als Begründung für multilokales Arbeiten an.
Durch eine Mischform aus Homeoffice und Arbeit im Büro kann - je nach Annahmen - ein Minderungspotenzial von rund 1 bis zu 3,7 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr realisiert werden (vgl. Öko-Institut e. V. und Agora Energiewende). Neben verkehrsbedingter CO2-Reduzierung kann durch den Grad der mobilen Arbeit beim multilokalen Arbeiten auch ein dauerhafter Rückgang bei Luftschadstoffen, Lärmbelastung und verkehrsbedingten Unfällen angenommen werden, sofern Beschäftigte bspw. verstärkt Zuhause arbeiten.
33 Prozent der jüngst von der IHK befragten Unternehmen zielen mit ihrem Angebot multilokaler Arbeit unmittelbar darauf ab, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Generell ist aber der Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit durch multilokales Arbeiten von sogenannten „Rebound-Effekten” abhängig. Sie umfassen z. B. Fragen rund um die Veränderung der Wohn- und Lebenssituation der Beschäftigten. Wenn sich Fahrwege beispielsweise durch einen Umzug aus der Stadt in die Peripherie erhöhen, steigt der CO2-Ausstoß. Auch „Workation“ (Arbeit und Urlaub kombiniert) aus dem Ausland, übertrifft deutlich die Emissionen der monolokalen Büroarbeit. Das Bewusstsein und die Haltung der Unternehmensführung und der Beschäftigten zur Thematik spielen demzufolge eine zentrale Rolle bei der Realisierung des Nachhaltigkeitspotenzials. Zusätzlich zu Reduzierung der Emissionen kann durch multilokales Arbeiten auch ein Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit erfolgen. So könnten z. B. durch eine geringere Nachfrage an Büros bzw. Gewerbeflächen diese Flächen möglicherweise als Wohnflächen genutzt werden oder digitales Arbeiten suburbane und ländliche Regionen zu attraktiveren Arbeitsorten machen. Hierfür kommt es darauf an, die gesteckten Ziele zum Gigabit-Ausbau durch effiziente Koordinierung schnell umzusetzen. 


Rechtlicher Rahmen muss den Anforderungen multilokalen Arbeitens entsprechen

Die Begriffe „Homeoffice“, „Telearbeit“ und „mobiles Arbeiten“ werden oft synonym verwendet, müssen rechtlich jedoch unterschieden werden. „Homeoffice“ ist ein umgangssprachlicher Begriff, der für die zuvor erläuterten Arbeitsweisen genutzt wird. Bislang wurde „mobiles Arbeiten“ lediglich in der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel sowie dem bislang nicht umgesetzten Referentenentwurf eines Gesetzes zur mobilen Arbeit (MAG) definiert. Dort heißt es, dass „die geschuldete Arbeitsleistung unter Verwendung von Informationstechnologie außerhalb der Betriebsstätte“ erbracht wird. Aus Wirtschaftssicht sollte mobiles Arbeiten rechtlich als ortsungebunden und damit multilokal definiert werden. Zudem werden die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) dem multilokalen Arbeiten in seiner aktuell in der Praxis ausgeübten Form nicht gerecht. Es bedarf Regelun-gen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die mit Kindererziehung oder Pflege betraut sind, die auto-nome Bestimmung der Arbeitszeit zu erleichtern.  Beispielsweise könnte Mehrarbeit an bestimmten Tagen Freiräume an anderen Tagen schaffen. Auch sollte klar sein, dass der Arbeitgeber aufgrund mangelnder Kontrollmöglichkeiten bei Verstößen gegen das ArbZG von Beschäftigten nicht verantwortlich gemacht werden kann. Rechtssicherheit und part-nerschaftliche Zusammenarbeit sollten im Hinblick auf Anpassungen des ArbZG im Fokus sein und so-wohl im Einklang mit dem Mitarbeiterschutz sowie den Bedarfen der betrieblichen Praxis stehen. Denn Unternehmen brauchen Freiheit und Freiraum bei der Ausgestaltung ihrer Arbeitsformen. Niederschwellige, unbürokratische Lösungen müssen das Ziel sein. Vorschläge, wie ein Recht auf mobile Arbeit für Beschäftigte, sind aus Sicht der IHK der falsche Weg, da sie direkt das Spannungsfeld zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung bedienen. Vielmehr sollte die Politik Win-Win-Situationen herstellen, um die Skalierung flexibler und nachhaltiger Arbeitsformen zu fördern.


Mobiles Ausbilden rechtssicher gestalten

Der Grad der digitalen und mobilen Ausbildung sollte im Ausbildungsplan festgelegt werden. Praxiserfahrungen belegen bisher, dass mobiles Ausbilden eine sinnvolle Ergänzung sein kann. Jedoch erschwert der fehlende Rechtsrahmen bislang das Gestalten der Betriebsvereinbarungen. Gleichzeitig zu einem rechtlichen Rahmen für multilokales Arbeiten ist es nur folgerichtig, bestehende rechtliche Lücken auch beim mobilen Ausbilden zu schließen, damit diese rechtssicher erfolgen kann. Hier sollte gelten, dass jeder Ausbildungsbetrieb den Grad der Digitalität bzw. Mobilität im Rahmen der Ausbildung festlegt. 


Unternehmen wissen, welche Stellschrauben zu mehr Nachhaltigkeit führen

Um multilokales Arbeiten erfolgreich umzusetzen, brauchen 60 Prozent der Berliner Unternehmen einen hohen Standard bei der technischen Infrastruktur. Hier haben Politik und Verwaltung die zentrale Aufgabe, diese bereit zu stellen und die Gigabit-Strategie effizient voranzutreiben. Speziell für kleinere Unternehmen, die noch nicht den technischen sowie organisationalen Standard flexiblen Arbeitens haben, kommen auch steuerliche Förderungen oder Anreize infrage. Einmalige Maßnahmen, wie „Homeoffice-Pauschalen“, sind hier zu wenig zielgenau.
 
GRAFIK 2
 
Um die Nachhaltigkeitspotenziale multilokalen Arbeitens politisch maximal auszuschöpfen, könnte eine Förderung an Erfolge bei Emissionseinsparungen geknüpft werden, z. B. konkrete Anreize für Klimaschutz im Unternehmen, konkret erzielte CO2-Einsparungen im Betriebsablauf sowie flächendeckende Modernisierungen der Arbeitsformen. Im Kern bedarf es Veränderungen bei den rechtlichen Rahmenbedingungen, die Planungssicherheit bieten.

Handlungsempfehlungen im Überblick: 

  • Technische Infrastruktur für multilokales Arbeiten bereitstellen. Die Ziele zum Breitbandausbau des Landes Berlin müssen effizient koordiniert und umgesetzt werden
  •  Keine rechtlichen Ansprüche auf multilokales Arbeiten schaffen, sondern das Angebot flexibler Arbeitsweisen als Wettbewerbsfaktor beibehalten
  • Novellierung des Arbeitszeitgesetzes anstoßen
  • Bessere Rechtssicherheit z. B. beim Arbeitsschutz gewährleisten und auf Win-Win-Situationen ab-zielen, die die Ausweitung flexibler Arbeitsformen fördern
  •  Förderstruktur für KMU erproben, die CO2-Einsparungen mit der Umstellung auf multilokales Arbeiten verbindet
  •  Rechtssicherheit für mobiles Ausbilden schaffen