BW 05/2021 – Schwerpunkt

Sauberer, leiser, smarter

Fabian Wirth arbeitet bei der Havelländischen Eisenbahn AG (HVLE). In Berlin-Spandau gehört der Bahnhof Johannesstift mit mehreren Logistikgleisen sowie einer Ladestraße zu dem Unternehmen. Westlich von Berlin betreibt die HVLE den Rangierbahnhof Wustermark. Zu den Aufgaben des Vorstandsreferenten gehört es, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sich der Güterverkehr zwischen peripheren Logistikstandorten und Berlins Innenstadtbezirken nachhaltig von der Straße auf die Schiene verlagern lässt.
Antworten darauf hat er gleich mehrere. „Beispielsweise bietet innovative Umschlagtechnik die Chance, zwischen dem Güterverkehrszentrum in Wustermark 30 Kilometer westlich von Berlin und dem Berliner Westhafen trotz der kurzen Strecke Straßen- und Schienentransport effizient und wirtschaftlich zu verknüpfen“, erklärt Wirth. „Ab dem Westhafen würden dann emissionsarme Lkws nur die letzte Meile zu den Filialen des Einzelhandels übernehmen: So könnten der Berliner Innenstadt zahlreiche Zubringerfahrten mit 40-Tonnern erspart werden.“ Das dazugehörige Konzept der „City-Logistik“ ist bereits fertig erarbeitet.
Eine weitere gute Idee des Bahnunternehmens für eine nachhaltige Entlastung des Verkehrs in Berlin legt den Fokus auf die Baustellenlogistik. „In diesem Bereich sehen wir die Chance und Notwendigkeit, vor allem bei der Ver- und Entsorgung von Großbaustellen wie etwa den Großvorhaben Siemens-Campus, TXL und Haselhorst in Berlin verstärkt die Schiene einzusetzen“, so der Logistikexperte von der HVLE. Die Hauptstadt verfügt derzeit noch über ein verhältnismäßig dichtes Schienennetz, an dem projektbezogen auch temporäre Ladestellen geschaffen werden können. Der Standort in Wustermark ließe sich dann als Umladebahnhof und zur Konsolidierung der Mengen nutzen.

Von der Bahn auf den E-Lkw

Auch die Deutsche Bahn bringt derzeit ein nachhaltiges Projekt auf die Schiene, unterstützt von der IHK Berlin. Im Mittelpunkt des Projektes steht der Transport von Waren für den Berliner Einzelhandel vom Güterbahnhof in Lehrte bei Hannover bis zum Berliner Westhafen mit einer anschließenden Verteilung durch E-Lkws in die einzelnen Bezirke der Hauptstadt.
Die Beispiele zeigen, wie sich der Transport von Gütern in die Hauptstadt nachhaltig verändern lässt. Zugleich machen sie deutlich, welche Bedeutung dem Standort Westhafen für den Wirtschaftsverkehr in der Hauptstadt zukommt. Es ist das größte Hafenareal Berlins – und zentrumsnah in Moabit gelegen. „Sowohl für die Versorgung als auch für die Entsorgung einer wachsenden Stadtgesellschaft können wir mit kurzen Wegen auf der Straße den Wirtschaftsverkehr stadtverträglich gestalten“, freut sich Klaus-Günther Lichtfuß. Der Prokurist des Bereiches Logistik bei der Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH (Behala) treibt mehrere ökologische Projekte voran, um die Vorteile des Standortes weiter auszubauen.

Schubboot mit Brennstoffzelle

Zwei von ihnen heißen „Elektra“ und „A-Swarm“. Unter dem Namen „Elektra“ entwickelt die Behala weltweit das erste Kanalschubboot mit einem völlig neuen Energie- und Antriebskonzept für die Binnenschifffahrt. Es ist kein Verbrennungsmotor an Bord, die elektrische Energie kommt aus den Batterien und wird mit Wasserstoff und Luft in den Brennstoffzellen erzeugt. Noch in diesem Jahr soll das Schiff zu Wasser gelassen werden und in einer mehrjährigen Erprobungsphase Testfahrten absolvieren. „Am Ende möchten wir ein innovatives, umweltfreundliches und marktfähiges Produkt zur Verfügung stellen, das die größtenteils ,betagte‘ konventionelle Flotte zukünftig ablösen kann“, so Lichtfuß.
Bei dem Projekt „A-Swarm“ befasst sich die Behala mit autonom fahrenden Schiffseinheiten, die sowohl getrennt zu verschiedenen Umschlagstellen als auch im Schubverband gekoppelt fahren können. Diese kleineren Schiffe werden umweltfreundlich mit elektrischer Energie aus Batterien und Brennstoffzellen versorgt und können ohne Bordpersonal dank einer Vielzahl an Radar- und Lasersensoren auch auf den kleineren Wasserstraßen in der Metropolregion eingesetzt werden. Dadurch, dass der Personalkostenanteil bei diesen Transporten entfällt, ist auch der Betrieb kleinerer Schiffseinheiten wirtschaftlich darstellbar. An den über die ganze Stadt verteilten Anlegestellen holen Fahrradkuriere die Ladung anschließend ab und transportieren sie umweltfreundlich bis an ihr Ziel. Die Demonstratoren im Projekt „A-Swarm“ werden voraussichtlich im dritten Quartal 2021 zu den ersten Testfahrten im Westhafen eingesetzt.
Welche Bedeutung der Westhafen als Standort für den klimafreundlichen Güterverkehrhaben wird, betont auch das Berliner Mobilitätsgesetz. Bei der Erarbeitung des Gesetzes hat die IHK Berlin im Gesamtinteresse der Berliner Wirtschaft viele Ideen eingebracht. „Zugleich haben wir immer darauf gedrängt, dass auch der Wirtschaftsverkehr entsprechend seiner Bedeutung für die Stadt berücksichtigt wird“, erläutert Dr. Lutz Kaden. „Zwar finden sich mittlerweile viele Anforderungen eines nachhaltigen Wirtschaftsverkehrs wieder“, so der Mobilitätsexperte bei der IHK Berlin. „Allerdings fehlen immer noch wichtige Regelungen, um die Funktionsfähigkeit und die Effizienz des Wirtschaftsverkehr auch zukünftig zu gewährleisten.“
Dazu gehört die Frage, wie ein sicheres Neben- und Miteinander von Rad- und Lieferverkehrs in den belebten Hauptstraßen Berlins gelingen kann. Die Grundidee: Hauptverkehrsstraßen sollen in Zukunft für alle Verkehrsteilnehmenden leiser, sauberer, stadtverträglicher und sicherer werden. Dafür sind häufig ein Umbau und eine Neuaufteilung des Straßenraums notwendig. Berlin steht damit vor der Herausforderung, auf heterogenem Straßenraum auch für die komplexen Lieferbedürfnisse der Unternehmen ausgewogene, kompromissfähige und integrierte Lösungsansätze zu finden.
Gemeinsam mit Stakeholdern hat die IHK dafür das Pilotprojekt „Ladezone“ gestartet (siehe Seite 24). Dabei werden belieferte Unternehmen und die Lieferanten eines Innenstadt-Straßenzugs nach ihren räumlichen und zeitlichen Bedarfen in den jeweiligen Straßenabschnitten gefragt. Die Ergebnisse der Umfrage fließen anschließend in die konkrete Umplanung des Straßenraums. „Es gilt den wenigen Platz in der Stadt möglichst effizient und auch zur richtigen Zeit zu nutzen“, so Kaden. „Dafür ist es notwendig, den Bedarf in der öffentlichen Planung auch zu berücksichtigen.“.
Das Thema ist hochaktuell. Viele Experten gehen davon aus, dass schon in wenigen Jahren in Berlin ein Dreiklang aus Mikro-Hubs, E-Lastenrädern und intelligenter Ladeinfrastruktur bei der Lieferung auf der letzten Meile, also dem Weg von den regionalen Depots zum Kunden, zum Lieferalltag gehören werden. Grundsätzlich gilt, dass die drei Komponenten erst im Zusammenspiel zu echten Effizienzsteigerungen führen können.

Mikro-Hubs und Lastenräder

Unter Mikro-Hubs versteht man Zwischenlager, in die Versandunternehmen Fracht liefern, die anschließend mit Lastenrädern zum Endkunden gebracht wird. Die Hauptstadt nimmt hier eine Vorreiterrolle ein, insbesondere durch das Modellprojekt „Kooperative Nutzung von Mikro-Depots durch die Kurier-, Express- und Paket-Branche für den nachhaltigen Einsatz von Lastenrädern in Berlin“, kurz KoMoDo (siehe Interview, Seite 26). Nach erfolgreichem Start im Prenzlauer Berg geht das Projekt nun an neuen Standorten und mit längerer Laufzeit in die nächste Runde. Auch hier mischt die Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mit: Für zunächst fünf Jahre sollen die Mikro-Hubs an Standorten am Westhafen und in der Jungfernheide unter Federführung der Behala bereitstehen. Neu hinzu kommen beispielsweise sanitäre Anlagen und Umkleideräume für ein Plus an Aufenthaltsqualität für die Fahrer der E-Lastenräder. Starttermin für den Hub am Westhafen ist der 1. Juli. Am S-Bahnhof Jungfernheide könnte es etwas später im Jahr werden. Die längere Laufzeit des Projektes ermöglicht es Unternehmen, die sich dort einbringen wollen, sich besser auf das Projekt einzustellen. Zudem teilen sich die Akteure Infrastruktur und Verwaltungsprozesse, was deutliche Effizienzsprünge erlaubt.
Die Groth Gruppe verfolgt das Projekt aufmerksam, denn das Unternehmen entwickelt im Bezirk Steglitz-Zehlendorf auf 97 Hektar ein neues Stadtquartier mit dem Namen Neulichterfelde. Eine der zentralen Fragen bei der Entwicklung des Quartiers lautet: Wie lassen sich Ökologie und Ökonomie, Klima und Umwelt in Einklang bringen? „Um das Ziel eines autoarmen Quartiers zu erreichen, soll auch für Neulichterfelde ein Teil des neuen Mobilitätskonzepts ein emissionsfreier Lieferverkehr sein“, sagt Thomas Groth. Dafür werden bereits Möglichkeiten emissionsfreier Paketlieferungen nach dem Vorbild von KoMoDo ausfindig gemacht. „Aus dem Pilotprojekt kann abgeleitet werden, dass bereits ein Mikro-Depot im Quartier und ein Fahrer pro Dienstleister ausreichen würden, um das Quartier vollständig abzudecken“, erklärt der Geschäftsführer der Groth Gruppe. „Interessant könnte es sein, dieses Konzept auch auf die umliegenden Quartiere zu erweitern.“

Bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur fehlt

Klar sind bereits heute die Regeln für alle neuen stadtverträglichen Logistik-Lösungen: Sie müssen die Nachfrage nach Lieferungen befriedigen und gleichzeitig effizient, schnell und umweltverträglich sein. Dies gilt nicht nur für die Lieferung auf der letzten Meile, sondern auch für die Belieferung des Einzelhandels. Eine wichtige Rolle wird künftig unter anderem eine bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur spielen. Diese Infrastruktur ist aber bislang noch nicht für elektrisch angetriebene Lkws ausgelegt.

Elektrische Eislieferungen

Auf dieses Problem hat Olaf Höhn hingewiesen. Der Inhaber der weit über Spandaus Grenzen hinaus bekannten Florida-Eis Manufaktur setzt in seinem Fuhrpark dank einer weltweit bislang einzigartigen Technologie sechs komplett elektrische Lkws im Berliner Straßenverkehr mit Tiefkühlung ein, um das hergestellte Eis zu 100 Prozent CO2-frei in die Innenstadt zu liefern. „Ich habe bereits an die Verkehrssenatorin geschrieben und darauf hingewiesen, dass es wichtig wird, auch innerstädtisch eine Ladeinfrastruktur für Lkws mit im Verkehrskonzept einzuplanen“, sagt Olaf Höhn. „Denn für Lastkraftwagen ist der Stellplatz an der E-Ladesäule einfach zu klein.“ Zudem ist nach Überzeugung des engagierten Unternehmers die Zahl der verfügbaren Ladesäulen eher knapp bemessen und vom Standort her äußerst ungünstig ausgewählt. „Ich persönlich favorisiere, dass es ein Umladen von großen Lkws auf mittlere und kleinere im Außenstadtbereich gibt, die dann mit ,voller Energie‘ in den Innenstädten ausliefern können“, schlägt Olaf Höhn vor. Für ein schnelles Laden der Fahrzeuge schweben ihm dann Pausenhöfe vor, bei denen neben der Ladesäule auch eine Station mit Snack und WC bereitsteht.
Auch im Berliner Senat macht man sich Gedanken über die Zukunft des Verkehrs in der Stadt. Eines der Ergebnisse ist der neue Stadtentwicklungsplan mit der sinnfälligen Abkürzung „MoVe“, die für Mobilität und Verkehr steht. Bis 2030 soll der Anteil der Wege, die in Berlin umweltfreundlich zurückgelegt werden, auf 82 Prozent steigen. Dagegen soll der motorisierte Individualverkehr erheblich an Bedeutung verlieren: Der Anteil des Autos soll in den kommenden neun Jahren von 28 auf 18 Prozent sinken. Fachleute halten das für sehr ambitioniert. Zudem wird beispielsweise kritisiert, dass sich im neuen Stadtentwicklungsplan wenig über die Möglichkeiten künftig autonom fahrender Autos mit umweltfreundlichem Antrieb oder die Perspektiven für den Pendelverkehr finden lässt. Und das in einer Zeit, in der das Umland viel schneller wächst als Berlin selbst. Gerade das klimabewusste Pendeln zum Arbeitsplatz könnte erheblich zur Reduzierung des Wirtschaftsverkehrs in der Hauptstadtregion beitragen. Gute Beispiele dafür gibt es auch in diesem Bereich bereits jetzt. Dazu gehören die Initiative „Fahrradfreundlicher Arbeitgeber“ und das „Pendlernetz“.

Arbeitgeber beim Radeinsatz gefragt

Bei der Initiative „Fahrradfreundlicher Arbeitgeber“ geht es um ein EU-weites Zertifikat des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, mit dem Unternehmen Anreize gegeben werden, sich fahrradfreundlicher aufzustellen. „Wer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern optimale Bedingungen dafür bietet, öfter mal das Auto stehen zu lassen und mit dem Rad zur Arbeit zu kommen, profitiert mehrfach“, erzählt Carolin Kruse. „Radfahrende Arbeitnehmende sind nachgewiesenermaßen gesünder, zufriedener und motivierter als solche, die inaktiv ins Büro kommen“, so die Beraterin der Initiative. „Fahrradfreundliche Arbeitgeber sind außerdem sehr attraktiv für gut ausgebildete Nachwuchskräfte und sparen bares Geld durch geringere Infrastrukturkosten wie zum Beispiel für Auto-Parkplätze.“
Carolin Kruse ist sich sicher, dass bei einem Umbau der öffentlichen Infrastruktur noch viel mehr Menschen, auch aus Brandenburg, mit dem Fahrrad zur Arbeit pendeln würden. „Dafür sehe ich vier notwendige Maßnahmen: Netz- und Kapazitätsausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, Fahrradverleihsysteme an jeder S- und U-Bahn-Station und Nutzung dieser Dienstleistung mit dem Ticket für den öffentlichen Nahverkehr, Radschnellwege vom Berliner Umland nach Berlin und Park-&-Bike-Anlagen an größeren S-Bahnhöfen.“
Dagegen zielt das Portal Pendlernetz auf Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit das Auto bevorzugen. Pendlernetz.de ist ein Internet-Mitfahrportal, das der ADAC in Kooperation mit ride2go provisionsfrei und ohne versteckte Nebenkosten anbietet. Es ermöglicht Menschen, die regelmäßig gleiche oder ähnliche Strecken bewältigen, sich zu einer Fahrgemeinschaft zusammenzuschließen – unabhängig von einer ADAC-Mitgliedschaft. So sollen Straßen- und Parkraum entlastet und die Umwelt zugleich geschont werden.
„Auch im Jahr 2025 wird das Auto die Hauptlast des Pendlerverkehrs zwischen Berlin und Brandenburg tragen, wenngleich der ÖPNV weiter an Bedeutung gewinnt“, ist Matthias Regner überzeugt. „Beide Verkehrsarten werden an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen“, glaubt der Leiter Verkehr&Technik beim ADAC in Berlin-Brandenburg. „Damit es nicht zu größeren und andauernden Verkehrsstörungen kommt, müssen Berlin und Brandenburg unter anderem stärker und auf Augenhöhe zusammenarbeiten, die Alternativen zum Auto und die Entlastung durch geteilte Fahrten weiter ausbauen und die Umsteigemöglichkeiten verbessern.“ Damit Berlin in Zukunft leiser, sauberer und gesünder wird.
von Jens Bartels