BW 05/2021 – Fachkräfte

Job und Wohnen im Doppelpack

Zum Teil stehen sie noch heute, gerade in Ballungszentren wie beispielsweise dem Ruhrgebiet: die klassischen Arbeitersiedlungen. Damals gebaut von Großfirmen wie Thyssenkrupp oder Siemens, will das Konzept „Job & Wohnen“ an genau diese Idee getreu dem Motto Friedrich Wilhelm Raiffeisens („gemeinsam sind wir stark“) anknüpfen und durch neu gegründete Mitarbeiterwohnungsbaugenossenschaften für bezahlbaren Wohnraum sorgen.
Im Zuge des Fachkräftemangels, den zuletzt rund die Hälfte der befragten Unternehmen in der IHK-Konjunkturumfrage als ihr größtes wirtschaftliches Risiko einstuften, wird Wohnungsmangel in urbanen Räumen zum Problem. Hier kommt das alternative Konzept von „Job & Wohnen“ ins Spiel, wodurch Firmen neben einem attraktiven Job zugleich ein bezahlbares Wohnungsangebot unterbreiten können. Indem KMU also selbst Wohnungen für ihre Mitarbeiter bauen, verschaffen sie sich einen Vorteil im Rennen um die besten Talente.
Federführend dahinter steht der Deutscher Verband „Job & Wohnen“ e. V. (DVJW), ein Zusammenschluss von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften sowie Sozial- und Wohlfahrtsverbänden. „Wir haben erkannt, dass der Staat bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum überfordert ist, und teilen die Auffassung, dass im Bereich der Daseinsvorsorge ein gemeinwohlorientierter Ansatz greifen muss“, sagt Rechtsanwalt Dr. Peter Diedrich, Initiator von „Job & Wohnen“ sowie Vorsitzender der Bundeskommission Recht beim BVMW.
Den Startschuss bildet ein erstes Mitarbeiterwohnungsprojekt in Berlin Spandau, wofür das Berliner Abgeordnetenhaus per Direktvergabe ein Grundstück an der Havelschanze zur Verfügung gestellt hat. Hierzu haben sich sieben kleine und mittlere Firmen, darunter ein Pflegedienst, eine Versicherung und ein Ingenieurbüro, zusammengeschlossen, die sich dadurch nicht nur einen positiven Effekt beim Recruiting, sondern auch eine langfristige Bindung von Beschäftigten an das Unternehmen versprechen.
6.382 Quadratmeter Fläche stehen an der Havelschanze zur Bebauung mit insgesamt 130 Mitarbeiterwohnungen bereit.
„Als Familienunternehmen engagieren wir uns schon lange gemeinnützig“, erzählt Mirko Fiedler, Geschäftsführer der Krieger+Schramm Berlin Brandenburg GmbH & Co.KG, die sich ebenfalls am Projekt beteiligt. Dass der Staat es allerdings nicht schafft, in der Breite für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, betrachten Arbeitgeber laut Fiedler zunehmend mit Sorge. „Die Idee, dass sich kleine und mittelständische Unternehmen zusammenschließen, um gemeinnützigen Wohnraum zu schaffen, hat uns daher sofort überzeugt.“ An der Havelschanze sollen auf über 6.382 Quadratmetern vier Gebäude mit 130 Wohneinheiten entstehen. Ein fünftes Gebäude soll neben einer eigenen Kita auch ein Gemeinschaftscafé und einen Co-Working-Bereich bieten. Neben einer guten ÖPNV-Anbindung sind auch Car- und Bike-Sharing geplant. Umgesetzt wurde das architektonische Konzept unter der Federführung von Eva Dedering, der geschäftsführenden Gesellschafterin von Dgk Architekten.
Derzeit vergebe man die Wohnungen an interessierte Firmen, so Fiedler, der auch als Vorstand der Genossenschaft beim Spandauer Projekt fungiert. Die Gesamtprojektkosten werden aktuell mit ca. 2.500 Euro pro Quadratmeter Mietfläche im Erbpachtmodell kalkuliert. Mitglieder erwerben Anteile, pachten gemeinsam ein Grundstück vom Land und teilen sich schließlich die Ausgaben für Bau und Unterhalt. Interessierte Unternehmen können sich direkt an „Job & Wohnen“ wenden.
Da die Genossenschaft keinen Grund und Boden kauft, wird es folglich günstiger. Für eine Einzimmerwohnung müssen die Firmen in Spandau einmalig etwa 17.500 Euro Eigenanteil aufwenden. Der Betrag wird der Genossenschaft als Darlehen übertragen. Für viele KMU sicher ein stattlicher Betrag, aber laut „Job & Wohnen“ eine realisierbare Investition, zumal zusätzliche Fördermittel des Landes in Aussicht stehen. So sollen Wohnungen entstehen, die kalt zwischen 6,60 Euro (gefördert) und 8,80 Euro pro Quadratmeter kosten. Obwohl der Gesetzgeber die Genehmigung „gemischt genutzter urbaner Quartiere“ erleichtert hat, gibt es für Diedrich weiterhin Handlungsbedarf, um seine Vision zu verwirklichen: „Um solche Projekte bezahlbarer zu machen, plädieren wir für die Unterstützung aus der Politik, den Erbbauzins herabzusetzen.“
Aktuell sind in ganz Deutschland weitere Projekte von „Job & Wohnen“ in Planung, im Berliner Umland sollen weitere Quartiere in Ruhlsdorf (Teltow), in Nuthetal und Bergholz-Rehbrücke entstehen. Diedrich hält es für realistisch, dass in fünf bis zehn Jahren in jedem Bundesland Mitarbeiterwohnungen nach diesem Vorbild realisiert werden. „Corporate Social Responsibility von Unternehmen hört nicht bei Gratis-Obst oder einer Fitnessstudiomitgliedschaft auf“, so Diedrich. „Mit unserem Konzept wollen wir das traditionelle Zusammenspiel von Fürsorge und Loyalität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder aufgreifen, und das für alle Seiten finanzierbar.“ Denn das, was große Unternehmen alleine stemmen könnten, das könnten viele Kleine auch – und zwar zusammen.
von Julian Algner