BW 05/2021 – Agenda

Harte Landung für die Konjunktur

Die Anfang März herausgegebenen Zahlen zum Berliner Wirtschaftswachstum 2020 wurden gelegentlich mit Erleichterung aufgenommen, legen sie doch auf den ersten Blick nahe, dass die Berliner Wirtschaft resilienter ist, als zu befürchten stand. Um 3,3 Prozent verringerte sich das Berliner BIP im Vergleich zu 2019, während es in Deutschland um 4,9 Prozent schrumpfte. Unter anderen Umständen würde ein solcher Einbruch als katastrophal betrachtet, doch angesichts der Prognosen von fünf bis zehn Prozent Rückgang der Wirtschaftsleistung nimmt sich die nun amtlich festgestellte Zahl geradezu komfortabel aus. Für solch eine beruhigende Deutung besteht jedoch keinerlei Anlass: Es ist der schwerste konjunkturelle Absturz seit Beginn der Aufzeichnungen, dreimal so stark wie in der Finanzkrise. Zudem handelt es sich bei den Zahlen um die Erstberechnung, der Korrekturen folgen werden. Wir werden erst in einigen Jahren genauer wissen, wie Corona die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Jahr 2020 tatsächlich beeinflusst hat.
1,6% Wachstum verbuchte der Informations- und Kommunikationssektor in Berlin, bundesweit verlor er 0,9 Prozent.
12,4% Rückgang verzeichneten in Berlin Handel, Verkehr, Gast- und Tourismusgewerbe, doppelt so viel wie im Bundesdurchschnitt.
Darüber hinaus offenbaren die vorliegenden Zahlen die unterschiedliche Belastung für die Branchen. Überraschend gut kam die Berliner Industrie durch das Jahr. Sie büßte drei Prozent ihrer Wertschöpfung ein, deutschlandweit waren es 10,5 Prozent. Möglich, dass der höhere Anteil chemischer und pharmazeutischer Produkte in Berlin diesen Unterschied erklärt. Ebenfalls überdurchschnittlich entwickelten sich der Informations- und Kommunikationssektor, der sogar um 1,6 Prozent wuchs, sowie die Finanz- und Versicherungsdienstleister, die um 6,9 Prozent wuchsen, auf den Bund gerechnet jedoch um 0,2 Prozent Wertschöpfung einbüßten. Diese drei Sektoren wirkten gemeinsam als konjunktureller Anker, im Unterschied zu den übrigen Branchen.
Die verheerende Situation für Handel, Verkehrs-, Gast- und Tourismusgewerbe ist lange bekannt, nun fasst die Statistik die Tragödie in eine Zahl: Um 12,4 Prozent stürzte die Wertschöpfung dieser Branchen ab. Es ist der bisher schlimmste Einbruch. Berlin, die internationale Stadt und Reisedestination, leidet weit stärker als andere Standorte unter der Corona-Krise. Resilient ist der Berliner Standort also keineswegs, allein die relativ gute Entwicklung dreier Branchen kompensiert teilweise die tiefe Krise der übrigen Sektoren. Da die ersten Monate dieses Jahres keine Entlastung brachten, dürfte sich die wirtschaftliche Talfahrt fortgesetzt haben.
von Christian Nestler
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