Fachkräfte

Das Tempo erhöhen

Die Bundesregierung will Geflüchtete mithilfe des Programms Job-Turbo schneller integrieren. Berliner Unternehmen können davon profitieren.
Mehr als die Hälfte der Geflüchteten, die sechs Jahre in Deutschland leben, sind erwerbstätig. Damit gelingt die Arbeitsmarktintegration vielfach besser als in der Vergangenheit. Doch der erste Blick trügt: „Es gibt durchaus Hinweise darauf, dass der Integrationsprozess trotz ersten Erfolgen nach circa fünf bis sieben Jahren nur noch wenig ansteigt. Daher ist Deutschland nur bedingt erfolgreich. Insbesondere die Niedrigqualifizierten haben noch erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt, ebenso schneiden Flüchtlingsfrauen in Deutschland schlecht ab“, stellt Dr. Thomas Liebig, leitender Ökonom in der Abteilung für Internationale Migration bei der OECD, klar.

Beschäftigungspotenzial ist riesig

Die Bundesregierung will nun das Tempo und die Vermittlungserfolge bei der Integration in die Arbeitswelt erhöhen. Das Beschäftigungspotenzial in Berlin ist riesig: Im vergangenen Jahr wurden 32.752 Geflüchtete (Asyl, Ukraine und Aufnahmeprogramme) in Berlin aufgenommen, im Jahr zuvor wurden allein 70.000 Personen aus der Ukraine als Geflüchtete registriert. Eine Arbeitserlaubnis bekommen fast alle, lediglich bei Geduldeten ist der Prozentsatz etwas niedriger, jedoch dürfen auch unter diesen laut Landesamt für Einwanderung noch 88 Prozent einer Arbeit nachgehen.

Positive Berliner Beispiele

Im Rahmen des sogenannten Job-Turbo sollen Jobcenter Geflüchtete, die sich im Leistungsbezug befinden, nun häufiger einbestellen und ihnen mehr Jobs vorschlagen. Wer grundsätzliche Sprachkenntnisse besitzt und den obligatorischen Integrationskurs absolviert hat, soll direkt anfangen zu arbeiten und Deutsch berufsbegleitend weiterlernen. „Der Job-Turbo fördert nicht nur die soziale Integration, sondern stärkt auch die Berliner Wirtschaft“, sagt Lutz Mania, Geschäftsführer des Jobcenters Berlin-Mitte. Denn die Jobcenter unterstützen zusätzlich beim Onboarding durch spezielle Berufssprachkurse oder beim Einstieg in den neuen Job durch ein gefördertes Coaching der Geflüchteten. Auch könne man Kosten der Betriebe für die nötige Einarbeitung übernehmen. Mit der Einstiegsqualifizierung, einem längeren Praktikum, kann der Job-Turbo auch bei der Suche nach neuen Auszubildenden helfen. Mania ist sich sicher: „Wer geflüchteten Menschen jetzt eine Chance bietet, findet Beschäftigte, die langfristig zum Unternehmen stehen.“
Ein positives Beispiel für genau diese Loyalität verbucht Pascal Kuna von Kuna Dienstleistungen. Das Unternehmen bietet Gebäudereinigung, Garten- und Landschaftspflege, aber auch Winter- und Hauswartdienste. Nach der ersten Jobmesse bei der IHK Berlin hat der Betrieb zwei geflüchtete Menschen eingestellt. Die Ukrainerin Olha ist nach wie vor bei ihm beschäftigt und hat sich gut eingefunden. Auch spricht Olha besser Deutsch, sie hat parallel zur Arbeit Sprachkurse besucht. „Der beidseitige Wille zur Integration ist für uns der wichtigste Erfolgsfaktor“, resümiert Kuna. Der Unternehmer schätzt zudem die Zusammenarbeit mit den Jobcentern und Agenturen für Arbeit: „Der Kontakt ist gut, wenn ich ein Anliegen habe, wird es zeitnah bearbeitet.“ Die von Unternehmen benötigten Sprachkenntnisse hängen jedoch maßgeblich mit der geforderten Position und den Rahmenbedingungen zusammen, meint Dieter Mießen, Prokurist bei Frisch & Faust Tiefbau GmbH: „Für das Angebot von Ausbildungsverträgen an Geflüchtete sind sehr gute Sprachkenntnisse, mindestens auf einem guten B2-Niveau, aus unserer Sicht unerlässlich. Unsere Erfahrungen zeigen, dass unterhalb dieser Schwelle ein Erfolg in der Berufsschule nahezu ausgeschlossen ist.“
Über die Agentur für Arbeit hat das Unternehmen erst kürzlich eine Bauingenieurin aus der Ukraine zu einem Kurzpraktikum eingeladen und ist zuversichtlich, dass es in Kürze zur regulären Arbeitsaufnahme kommt. ­Bernhard Wildt, Koordinator Ausbildung bei Frisch & Faust,ergänzt, dass das Erfolgskonzept des Unternehmens auf der stetigen Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit beruhe sowie den Unterstützungsmaßnahmen Einstiegsqualifizierung und Arrivo Berlin. „Zusätzlich bieten wir eine individuelle Betreuung und zeitgemäße Nachhilfemöglichkeiten für alle unsere Auszubildenden“, so Wildt.
Sprachliche Herausforderungen sind für Wachtang Budagaschwili, Geschäftsführer der BrandBrandNew GmbH, der mit der Marke Heatle induktive Tauchsieder herstellt, weniger relevant. Der in Russland geborene Unternehmer spricht fließend Russisch: „Wir hatten als Unternehmen den Vorteil, dass wir einen direkten Draht in die Community haben, da wir auch zu Beginn des Angriffskrieges unterstützt haben. Dadurch haben wir viele Geflüchtete kennengelernt, und die Möglichkeit, bei uns zu arbeiten, hat sich herumgesprochen.“

Möglichkeiten nutzen

Acht Leute hat die BrandBrandNew GmbH aus der Ukraine eingestellt, heute arbeiten noch drei davon im Betrieb. Für alle haben sie Förderung und Unterstützung durch das Jobcenter erhalten. „Man muss dokumentieren, und teilweise lief die Förderdauer nicht so lange, wie ein Integrationsprozess im Unternehmen generell dauert. Dafür kriegt man aber auch Lohnkostenzuschüsse, die aus unserer Sicht attraktiv sind.“ Budagaschwili empfiehlt, Möglichkeiten zu nutzen, um mit Geflüchteten in Kontakt zu treten wie beispielsweise Jobmessen: „Unternehmen sollten auf jeden Fall die Augen aufhalten, um Menschen mit Fluchthintergrund zu beschäftigen. Die meisten wollen etwas leisten und ihr Bestes tun.“
von Julian Algner