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Sechs Kilometer Kostüme

Der gigantische Fundus des Traditionsunternehmens Theaterkunst GmbH mit Andrea Peters an der Spitze birgt reichlich Stoff für Stars und Sternchen.
Metropolis“ und „Ben Hur“, „Des Teufels General“ und „Eins, zwei, drei“ und „Der Soldat James Ryan“ – Filme, die Geschichte geschrieben haben, und Filme, die trotz ihrer unterschiedlichen Zeit- ­epochen eins gemeinsam haben: Sie alle sind eng mit der Geschichte des Berliner Unternehmens Theaterkunst GmbH verbunden.
Gegründet 1907, ist Deutschlands ältester Kostümfundus heute neben zwei Standorten in Berlin mit Dependancen in Köln, Penzing bei München, Warschau und Budapest einer der Großen unter den Kostümfundus weltweit. Hier wurden Stars wie Marlene Dietrich, Curd Jürgens, George Clooney, Tom Hanks und Leonardo DiCaprio für ihre Filme eingekleidet sowie Peter Fox, Wir sind Helden und Kat Frankie für Musikvideoproduktionen. Namen, die die Bedeutung traditioneller Gewerke und Dienstleister bei visuellen Produktionen unterstreichen und die zeigen, dass es neben Schauspielern, Regisseuren und Produzenten eine Vielzahl an Fachkräften gibt, die die „zweite Reihe“ mit Kompetenz und Engagement füllen und ohne die kein Film das Licht der Leinwand sehen würde.
Das weiß auch Geschäftsführerin Andrea Peters, die nach 13 Jahren als Vorstandsvorsitzende beim Mediennetzwerk medianet berlinbrandenburg seit 2021 das Zepter bei der Theaterkunst nicht nur in der Hand hat, sondern auch Hüterin von über zehn Millionen Kostümen und Accessoires ist: „Das sind sechs Kilometer hängende Ware, also einmal um den Schlachtensee. Das ist Verantwortung und Herausforderung gleichermaßen, und ohne die Unterstützung meiner 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätte ich mich nie so schnell zurechtgefunden.“
Dass sie in Zeiten der Pandemie angefangen hat, war ein Glücksfall für sie. Zwar war die Filmbranche in ihren Wertschöpfungsketten auch eingeschränkt, dafür begann – bedingt durch den Stillstand des öffentlichen Lebens – die Zeit der Streaming-Dienste. Davon profitierte auch die Theaterkunst GmbH, da bei mehrmonatigen Drehzeiten von Serien Kostüme für den gleichen Zeitraum ausgeliehen werden: „Gerade von uns ausgestattete Serien wie ,Babylon Berlin‘, ,1899‘, ,KaDeWe‘ oder die ,Ku’damm‘-Reihe sind unternehmerisch relevant, da aufgrund der geringeren Verfügbarkeit von historischen Kostümen die Margen höher sind“, erklärt Andrea Peters.
Die guten alten Zeiten, wie ein Blick ins Theaterkunst-Archiv zeigt, sind jedoch kaum wiederzubeleben. So wurden für den 1959 erschienenen Monumentalfilm „Ben Hur“ 3.000 Rüstungen in Berlin angefertigt. Zur Anprobe reisten die Darsteller per Schiff von New York nach Berlin, und anschließend wurden die angepassten Rüstungen auf dem gleichen Weg zurückgeschickt.
Egal ob Serie, TV- oder Kinofilm, Werbung oder Musikvideo, erster Ansprechpartner bei einer Produktion sind für das Berliner Traditionsunternehmen nicht Produzent oder Regisseur, sondern die Kostümbildnerinnen und -bildner. Nach Terminvereinbarung kommen sie meist zum 4.800 Quadratmeter großen Theaterkunst-Hauptsitz in der Eisenzahnstraße oder in die Halle in der Forckenbeckstraße in Wilmersdorf, wo sie die benötigten Teile auswählen und ausleihen. Dabei reicht die Auswahl von antiken Kostümen bis zeitgenössischen Kleidungsstücken – und sollte einmal etwas fehlen, wird es in der angeschlossenen Schneiderei hergestellt, die auch Aufträge für Spezialanfertigungen oder Ausstellungsstücke annimmt. Auch können für die Kostümrecherche die 4.800 Bücher umfassende Bi-bliothek oder die unzähligen alten Kataloge von Otto, Neckermann und Co. genutzt werden.
Parallel zum Tagesgeschäft steht bei der Theaterkunst GmbH seit mehr als einem Jahr die Digitalisierung der Prozesse im Fundus und in der Verwaltung an. So werden alle Kleidungsstücke mit einem sogenannten RFID-Chip ausgestattet, auf dem die Daten gespeichert sind, die früher noch per Hand auf Karteikarten geschrieben wurden. Anschließend werden sie gescannt und digital registriert, was die Arbeitswege und -zeiten erheblich reduziert. So waren früher zwei Mitarbeitende bei Projekten mit ca. 5.000 verliehenen Teilen zehn Tage mit der Rücknahme beschäftigt, heute schafft es eine Angestellte in drei Tagen, was zudem im Sinne der Nachhaltigkeit ist: „Bis vor drei Jahren haben wir pro Quartal rund 50.000 Stück Papier verbraucht, heute benötigen wir so gut wie kein Papier mehr“, freut sich Andrea Peters.
Von Jürgen Schepers