Fokus

Weg vom Müll

Mit Innovationen Ressourcen schonen hat in Berlin Konjunktur. Von Geschäftsmodellen, die auf ­Wiederverwertung und ­Abfallvermeidung bauen, profitieren Umwelt und Unternehmen.
Die Richtung ist klar: weg von der Wegwerfwirtschaft, hin zur Kreislaufwirtschaft, in der bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, repariert, aufgearbeitet, wiederverwendet und recycelt werden. Gut 400 Unternehmen mit weit mehr als 8.500 Beschäftigten gehören zur Berliner Circular Economy, die bereits zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden ist. „Das Spektrum reicht von den klassischen Entsorgern und spezialisierten Wiederverwertern über Innovatoren, die neue Technologien für die Kreislaufwirtschaft entwickeln, bis zu Start-ups, die aus Sekundärrohstoffen neue Produkte herstellen“, weiß Wolfgang Korek, Bereichsleiter Energie, Umwelt, Smart City bei der Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH, an der auch die IHK Berlin beteiligt ist.
Ein wahrer Riese ist die Berliner Stadtreinigung (BSR), die für saubere Straßen, Wege und Plätze sorgt und sich um die Abfälle von zwei Millionen Haushalten kümmert. Wenn Deutschlands größtes kommunales Stadtreinigungs- und Abfallwirtschaftsunternehmen nun für den renommierten Deutschen Nachhaltigkeitspreis im Bereich Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft nominiert worden ist, wird damit auch das Engagement für nachhaltige Abfallvermeidung, umweltgerechte Stadtreinigung und klimafreundliche Kreislaufwirtschaft gewürdigt. „Die Nominierung bestätigt uns in unserer Arbeit für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen, den Schutz des Klimas und mehr Lebensqualität in Berlin“, freut sich Stephanie Otto, Vorstandsvorsitzende der BSR.
Vom Gebrauchtwarenkaufhaus NochMall über die BSR-Kieztage bis zum digitalen Tausch- und Geschenkmarkt – mit solchen bedarfsorientierten Services und Re-Use-Angeboten demonstriert das Unternehmen, wie Abfallvermeidung, Wiederverwendung und Recycling funktioniert. Neben den klassischen Entsorgern wie BSR oder Alba gibt es spezialisierte Entsorgungsbetriebe wie Bartscherer, der vor allem Altpapier der Wiederverwertung zuführt (siehe auch S. 23), zu den Innovatoren zählt Korek Firmen wie Made of Air, die geringwertige Holzabfälle in hochwertige und kohlenstoff-negative Thermoplaste verwandelt, oder EcoLocked, die an der Entwicklung und Vermarktung von CO2-optimierten Rezepturen für Beton arbeitet.

Humus aus Babywindeln

Mit überraschenden Geschäftsmodellen warten Start-ups auf wie Kaffeeform, das aus Kaffeesatz mit recycelten Naturfasern zum Beispiel To-go-Becher produziert, oder Dycle, das aus benutzten Babywindeln fruchtbaren Humus macht. Weil 60 Prozent der deutschen Abfälle aus dem Bausektor kommen, hat sich Concular dem zirkulären Bauen verschrieben und will damit die Bauwirtschaft revolutionieren (siehe auch S. 20), und Circleback hat sich das Ziel gesetzt, durch ein Pfandsystem einen geschlossenen Kreislauf für Mehrwegverpackungen aus Kunststoff im Onlinehandel aufzubauen. Zu den größeren Playern der Kreislaufwirtschaft gehören die Vanguard AG, die durch Medical Remanufacturing hochwertigen Medizininstrumenten weitere Lebenszyklen verschafft (siehe auch S. 22), oder der Secondhand-Riese Rebuy, der gebrauchte Medien und vor allem gebrauchte Elektronikprodukte kauft, gegebenenfalls repariert und weiterverkauft. „Verbraucherinnen und Verbraucher fragen sich vermehrt, ob sie wirklich alles neu kaufen müssen – oder ob sie auch mit gebrauchten und wiederaufbereiteten Geräten zufrieden sind“, sagt Rebuy-Chef Philipp ­Gattner. Dazu beigetragen hätten die Corona-Pandemie und die hohe Inflationsrate.
„Die Implementierung zirkulärer Geschäftsmodelle macht es möglich, sich im Wettbewerb als ein nachhaltigeres Unternehmen zu positionieren und eine höhere Kundenbindung und Anziehungskraft als Arbeitgeber zu erlangen, während gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit und Resilienz des Unternehmens gesteigert werden können“, sagt IHK-Präsidiumsmitglied Dr. ­Caroline Heil. Viele Berliner Unternehmen würden gern Circular-Economy-Strategien umsetzen wollen, scheiterten jedoch bislang an zentralen Hürden, „beispielsweise an unklaren Rahmenbedingungen, die parallel mit komplexer Bürokratie einhergehen, aber auch an begrenzten Ressourcen im Betrieb oder fehlendem Fachwissen“.
Um die Etablierung zirkulärer Geschäftsmodelle voranzutreiben, so Caroline Heil, müsse bei der zirkulären Transformation durch Netzwerkbildung, Beratungsangebote und Investitionsprogramme gezielt unterstützt werden. „Zudem sollte der Wissensaufbau durch die Stärkung von Kompetenzen und Kapazitäten in den Unternehmen aktiv gefördert werden.“ So veranstaltet zum Beispiel die IHK Berlin im Rahmen ihrer „EU-Taxonomie Kompakt“-Reihe am 26. September eine Online-Session, in der auch über den Transformationsprozess in die Circular Economy informiert wird (Anmeldung über den QR-Code rechts).
Berliner Circular-Economy-Player können sich in Umweltcluster, Kreislaufwirtschaft-Ini- tiativen und ähnliche Netzwerke einbringen und dort wertvolle Informationen und Anregungen bekommen. „Die Stadt kann dabei mit der räumlichen Nähe der Akteure punkten, die es erlaubt, sich besonders gut zu vernetzen, sowie mit der Existenz physischer Hubs wie dem Impact Hub, der auch mit seinem Gebäude exemplarisch für das Thema Kreislaufwirtschaft steht“, sagt ­Wolfgang Korek von Berlin Partner. Der Impact Hub hat seinen Sitz im CRCLR House, einer vor allem aus Holz, Stroh, Lehm und Kalk umgebauten und aufgestockten Halle der früheren Kindl-Brauerei in Neukölln. „Punkten kann Berlin auch damit“, so Korek, „dass regionale Netzwerke wie circular.berlin über die Hauptstadtregion hinaus mit ähnlichen Initiativen bundes- und europaweit kooperieren, sich aber zunehmend auch international vernetzen – zum Beispiel im Projekt CircularPSP.“

Fördermittel für Forschungskooperationen

Zudem profitiert die wachsende Berliner Kreislaufwirtschaft von der hohen Dichte an wissenschaftlichen Einrichtungen in der Stadt. „Vorhandene Fördermittel stellen zum Teil explizit auf die Zusammenarbeit zwischen innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen einerseits und Forschungsinstituten andererseits ab“, erklärt der Experte Korek. Forschung sei dabei kein Selbstzweck: „Viele Ansätze der Circular-Economy-Start-ups erfordern durchweg Expertise aus der Forschung sowie Labore, Maschinen oder anderes teures Equipment zur Materialtestung oder -weiterentwicklung.“ Außerdem würden zahlreiche Start-ups direkt aus den Universitäten ausgegründet und proaktiv gefördert: „Dadurch werden Forschungserkenntnisse in Geschäftsmodelle transferiert.“
Um auch die Öffentlichkeit für die nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu sensibilisieren, hat jetzt die erste deutsche Zero-Waste-Agentur (ZWA) ihre Arbeit aufgenommen. Im Zuge des Abfallwirtschaftskonzepts 2030 des Landes Berlin ist die ZWA als eine unabhängige Einheit bei der Berliner Stadtreinigung angesiedelt worden und soll sich übergreifend dem Thema „Null Verschwendung“ widmen. „Die ZWA will die Abfallwirtschaft in Berlin zur Kreislaufwirtschaft transformieren“, sagt ZWA-Leiterin Meike Al-Habash, die vorher für die IHK Berlin tätig war. „Uns geht es darum, aktuelle und zukünftige Maßnahmen in Berlin rund um das Thema Zero Waste zu vernetzen, zu koordinieren und durch gemeinsame Synergien die Kräfte zu bündeln.“ Abfallvermeidung und Wiederverwendung funktionierten nur im Dreiklang Verbrauchende, Wirtschaft sowie Politik und Verwaltung. „Wir wollen das Bewusstsein dafür schärfen, dass der beste Abfall der ist, der gar nicht erst entsteht.“
Von Almut Kaspar